Am Weltgebetstag, Fr. 7. März 2025, wird mit Bildern voller Südseeidylle gefeiert. Ute Dilger über weisheitliches Staunen bis zu den Wurzeln menschlicher Solidarität.
Vor weit über 100 Jahren haben christliche Frauen angefangen, sich zum Gebet für Frieden auf der ganzen Welt zu treffen. Fast 100 Jahre ist es her, seitdem sie ein Land damit beauftragen, den Gottesdienst zu schreiben, der am ersten Freitag im März einmal rund um die Erde gefeiert wird. Für 2025 wurden bei der letzten internationalen Konferenz die Cookinseln bestimmt.
Und schon Anfang des 20. Jh. haben Frauen aus dem globalen Süden die Bewegung mitgetragen. Damals schon war klar: wir beten miteinander, nicht füreinander. Und außerdem: Wir wollen informiert beten. Dafür wurden eigens Studienbücher zu den einzelnen Ländern herausgegeben. Schon damals war klar: Wir wollen betend handeln. Aus dem Gottesdienst sollten Konsequenzen für das eigene Verhalten und Leben gezogen werden. Es geht um Empowerment für Frauen und Mädchen weltweit, um Bildung, um Solidarität und um ein Ende der Benachteiligung.
Wir beten miteinander, nicht füreinander
Mich fasziniert, wie sich dadurch der Horizont weitet – sowohl politisch, feministisch als auch theologisch und spirituell. „Ich wachse jedes Jahr ein Stück“, so fasst es eine Engagierte treffend zusammen. Mehr als tausend von ihnen darf ich jedes Jahr treffen und mit ihnen den Weltgebetstag vorbereiten – und regelmäßig kommen wir miteinander in den Flow – sind beflügelt und begeistert und kommen ins Tun. Grundlage unserer Arbeit sind die Leitlinien der internationalen Bewegung, die 2007 in Toronto verabschiedet wurden – unbedingt lesenswert. (https://weltgebetstag.de/fileadmin/user_upload/downloads/webseite_downloads_flyer_leitlinien2018_copyright_wgt-ev.pdf)
Leben von und mit dem Big Blue Body: dem pazifischen Ozean
Dieses Jahr hören wir also auf Christ*innen auf den Cookinseln und beten mit ihnen. Die Maori der Cookinseln leben von und mit dem Big Blue Body – dem pazifischen Ozean. Vor etwa 7.000 Jahren haben sie gelernt, das Meer zu bereisen. Mit einfachen Auslegerkanus und Surfbrettern. Sie konnten das Meer und die Gezeiten lesen. Wie der Wind und die Wellen zusammenspielen. Wie die Sterne und der Mond mitreden. Sie haben die vielen kleinen Inseln im riesigen Pazifik besiedelt und sind von den Cookinseln aus als erste in Neuseeland gelandet. Den pazifischen Ozean, der so groß ist wie die gesamte Landfläche der Erde zusammengenommen, verstehen sie als großen blauen Körper. Ihre Weisheit wurde von vielen Maori weitergetragen. Eine besondere spirituelle Kraft hatten dabei die Mahu, der Teil der Bevölkerung, der nonbinär, fluide, jenseits der üblichen Muster lebte.
Die spirituelle Kraft der Mahu, die nonbinär, fluide, jenseits der üblichen Muster leben
Die heilsame, indigene Spiritualität der Maori durchzieht den ganzen Gottesdienst. Nicht nur der Gruß „Kia Orana“ – mögest du lang leben, mögest du mit den Wellen tanzen, mögest du leuchten wie die Sonne – erzählt von Respekt, Wertschätzung und Staunen. Eine lange Meditation lässt uns spüren, wie unsere Körper, Meer und Erde miteinander atmen und durch Strömung und Fließen von Nährstoffen miteinander verwoben sind. Selbst unsere Haut tanzt mit der Erde um die Sonne durch Zeit und Raum. Psalm 139 hallt auf diese Weise ganz neu wider. Die vorgeburtliche Beziehung zu Gott, das Staunen über die kokreative Kraft von Erde und Mutterleib, die Entstehung der Würde im Werden unter Gottes Blick. Jeder Mensch ist unter Zutun Gottes geboren von einer Frau* – all das wird als heilig erkannt.
Der Mensch ist unter Zutun Gottes geboren von einer Frau*, all das wird als heilig erkannt
Dabei dient der Psalm in der Originalordnung nicht als Zentrum, sondern ist selbst Mittel, wie die Gottesdienstgemeinde sich spirituell vorbereiten kann auf das, was Gott uns heute in den Geschichten der Cookinsulanerinnen sagen will. Dabei leuchtet das meiste erst dann auf, wenn wir zwischen den Zeilen lesen, genau hinhören, ganz viel gefragt und gesucht haben.
Mii erzählt nicht nur von ihrer Panik vor Corona. Die Teenagerin trägt die Wunden in sich, die ins kollektive Gedächtnis der Maori eingesunken sind. Die Tot- und Fehlgeburten – und die “Jellyfishbabies“, die nach den Atomwaffenversuchen im Pazifik bis in die 1990er Jahre geboren sind. Corona war wieder so eine unbekannte, unsichtbare Gefahr, vor der besonders Schwangere Angst hatten.
Vainiu erzählt nicht nur von ihrem persönlichen Trauma, wenn sie von der Demütigung und rassistischen Diskriminierung durch das dualistische Denken im britisch-kolonialen Schulsystem erzählt. Blumenkränze, Tanz, Tattoos, das soziale Geschlecht der Mahu wurde verboten. Ganze Generationen sind von der Abwertung ihrer Herzenssprache betroffen und haben sich verbiegen lassen. Und sie haben beharrlich erkämpft, dass seit Juli 2024 wieder auf Maori unterrichtet wird.
Demütigung und rassistischen Diskriminierung durch das dualistische britisch-koloniale Schulsystem
Dawn erzählt nicht nur davon, wie sie selbst viel Kraft und Motivation aufbringen musste, um als Ärztin für das Gemeinwohl auf den Cookinseln arbeiten zu können. Sie erzählt von den Folgen des westlichen Ernährungsstils für die Gesundheit der Maori und vom Mana, der Würde und Selbstwirksamkeit der verletzlichsten Gruppen dort. Sie alle werden gebraucht, sie alle sollen teilhaben.
Ich habe die Autorinnen per Mail angeschrieben und ihnen für diesen heilsamen, fast therapeutischen Gottesdienst gedankt. Ich habe sie gefragt, ob sie in Psalm 139 diese indigene Kraft des „Mana“ finden, ob das Meer Mana haben kann, die Pflanzen, die Tiere – und ob es immer etwas Positives sei… Denn auch dort ist jede 3. Frau* von häuslicher Gewalt betroffen. Sie haben geantwortet, dass Psalm 139 gleichsam von Mana überfließt – alles hat Mana, die Erde, der Meeresboden, die leuchtende Nacht… Und ja, Mana sei nach christlicher Lesart grundsätzlich etwas Positives. Es könne aber auch falsch eingesetzt werden zum Schaden, zur Gewalt gegen das Leben. Das solle eigentlich aber durch das Christentum überwunden sein. Ja, eigentlich.
Am Weltgebetstag sind ausdrücklich alle (auch solidarische Männer) eingeladen!
Mit den Maori stehen wir schockiert vor dem, was gerade in der Welt passiert: Wie sich das Mana der Gier und der rücksichtslosen Ausbeutung, ja, das Faustrecht durchsetzt. Der Griff nach der letzten unberührten Wildnis, der Tiefsee, ist fast unausweichlich geworden. Tiefseebergbau wird in Zeiten, in denen Menschen wie Donald Trump mit ihrem „Drill, Baby, drill!“ das Sagen haben, sehr wahrscheinlich bald durchgesetzt. Die Re-Militarisierung im Pazifik wird fortschreiten. Der steigende Meeresspiegel wird die nördlichen fragilen Atolle schlucken.
Es wird Zeit, dass wir uns ihrem Staunen über das Leben dieses atmenden, blauen Planeten öffnen und uns auf unser eigenes Mana besinnen, das zum weltweiten Widerstand aufruft. Gerade die Frauen und alle vulnerablen Gruppen – hoffentlich unterstützt durch solidarische Männer*! Am Weltgebetstag sind ausdrücklich alle zu den Gottesdiensten eingeladen!
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Bild: WDP International, New York.
Ute Dilger, *1968, Gemeindepfarrerin und seit 2016 Studienleiterin für den Weltgebetstag in der Ev. Kirche Kurhessen-Waldeck, geb. in Sabah-Malaysia, Studium der Ev. Theologie in Tübingen, Heidelberg, Genf (Bossey), Studienreisen nach Indonesien, Südafrika, Malaysia, Äthiopien, Israel/Palästina, lebt in der Nähe von Kassel.