Schon Paulus ermutigte diejenigen, die interreligiösen Partnerschaften mit Ängsten und Sorgen begegneten, zu Vertrauen und zur gegenseitiger Liebe und Toleranz. Bis heute verunsichern Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlicher religiöser Identitäten unsere Gesellschaft – und unsere Seelsorgenden. Aliyah El Mansy zeigt Risiken und Chancen interkultureller Partnerschaften auf.
Durch alle Zeiten und Kulturen hindurch dichteten Menschen Texte über die Liebe, die Hindernisse überwinden muss, die scheinbar Gegensätzliches miteinander verbindet. Interreligiöse Partnerschaften sind solche grenzüberschreitenden Beziehungen. Hier verbindet die Liebe Menschen verschiedener Religionsgemeinschaften und damit verschiedener Traditionen. Die Metal-Band Metallica besingt in ihrem Lied „Nothing Else Matters“ diese brückenschlagende Kraft der Liebe: So close, no matter how far. Nähe trotz Entfernung. Couldn’t be much more from the heart. Zuneigung, die das Herz einer anderen Person zuwendet. Forever trust in who we are. Vertrauen und Rückhalt in die eigene Identität. And nothing else matters? Interreligiösen Paaren ist oft in besonderer Weise bewusst, dass noch andere Dinge von Belang sind. Im gemeinsamen Alltag werden Fragen aufgeworfen und Vorbehalte von außen herangetragen: Es geht um die Gestaltung eines gemeinsamen Lebens – seien es die Hochzeitsplanung, Kindererziehung oder religiöse Feiertage. Doch verwässert so ein enges Miteinander zweier Religionen nicht zwangsläufig die eigene religiöse Identität?
Verwässern interreligiöse Beziehungen die eigene religiöse Identität?
Auch in der Antike gab es interreligiöse Ehen. In der paulinischen Gemeinde in Korinth, einer quirligen und multikulturellen Hafenstadt, gerieten sie schnell in den Fokus der Aufmerksamkeit: Denn hatte Paulus nicht davon gesprochen, dass man eben nicht mehr zu dieser Welt mit ihrer Ausbeutung, Gewalt, Ungerechtigkeit und ihren falschen Gottheiten gehören sollte (1Kor 6,9–11)? Und mit solchen Personen, die ihren Hausgottheiten Rauchopfer darbrachten, in den Tempel der Aphrodite gingen und bei Einladungen Götzenopferfleisch aßen, lebten einige ChristInnen zusammen. Ein Durcheinander und keine klaren Grenzen. Das konnte der Gemeinde doch nur schaden. Rufe wurden laut, dass solche Ehen getrennt werden sollten. Auch hier also Ängste und Vorurteile. Paulus will der Gemeinschaft zur Seite stehen, sie beraten. Aber er empfiehlt etwas, was damals sicherlich so sehr wie heute überraschte: Wenn du mit einer ungläubigen Person verheiratet bist und diese stimmt einem Zusammenleben zu, sollst du dich nicht trennen (1Kor 7,12f). Du musst nicht eure gegenseitige Unterstützung und Versorgung aufkündigen,[1] denn die ungläubige Person wird in dir geheiligt (1Kor 7,14). Durch dich ist sie mit uns verbunden. Warum solltest du weniger zu Gott und zur Gemeinschaft gehören oder sie gefährden, wenn dein/e Ehepartner/in nicht christlich ist? Und auch eure Kinder sind nicht unrein, sondern heilig (1Kor 7,14). Glaubst du allen Ernstes, dass deine Kinder dir fremd werden, nur weil sie mal am Fest für Poseidon teilnehmen oder Lieder über Herakles singen? Gott hat euch in Frieden gerufen (1Kor 7,15). Hab doch ein wenig Vertrauen: Gott schafft die Voraussetzung dafür, dass ihr zusammen leben könnt. Was wisst ihr, ob ihr die andere Person retten könnt (1Kor 7,16)? Es liegt nicht in deiner Hand, ob deine Frau/dein Mann zu uns gehören möchte – das kann sich so ergeben oder auch nicht.
Und auch eure Kinder sind nicht unrein, sondern heilig.
Paulus zeigt eine Gelassenheit, die er aus der neu geschenkten Christusidentität[2] schöpft. Er sagt nicht, wie eine interreligiöse Ehe gelebt, seelsorgerlich begleitet und rituell gestaltet werden kann. Doch das sind die Fragen, mit denen Paare, Familien, FreundInnen und SeelsorgerInnen heute konfrontiert sind.
Ein atheistischer jüdisch-christlicher Journalist erzählt unter dem Pseudonym Niklas Rebenstein im Dezember 2016 seine Liebesgeschichte mit einer muslimischen Frankotunesierin unter dem Titel „Ich heirate den Islam“, die seine Konversion zum Islam in Tunis schildert.[3] Was ihn zu der Konversion drängt, sind zum einen (religiöse) Endogamie, die von Muslimas im Islam gefordert wird, und zum anderen die muslimische Familie seiner Freundin, die einen nichtmuslimischen Ehemann nicht akzeptieren würden. Es handelt sich um ein typisches und auch in anderen religiösen Gemeinschaften vorfindliches Phänomen. Bis in die 70er und 90er hinein haben die christlichen Kirchen selbst mit interkonfessionellen Ehen gerungen und positionieren sich in aktuellen Handreichungen und Orientierungshilfen interreligiösen Ehen gegenüber mindestens skeptisch bis warnend. Bergen interreligiöse Partnerschaften die Gefahr, sich von Religion abzuwenden?
Noch heute sind die Kirchen
selbst interkonfessionellen Ehen gegenüber skeptisch.
Naomi Schaefer Riley hat für die USA auf Grundlage von Interviews und Umfragen eine Bestandsaufnahme der Erfahrungen interreligiöser Paare gemacht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass „interfaith marriages are generally more unhappy (…) and often more unstable (…) Interfaith couples tend to marry without thinking through the practical implications of their religious differences.“[4] Sie stellt heraus, dass besonders die Herausforderungen und auch die Einwirkungen der Herkunftsfamilien unterschätzt werden. Das beginnt bei der Frage religiöser Rituale bei der Hochzeit, über die Gestaltung der Jahresfeste der Religionsgemeinschaften, bis hin besonders zur Erziehung und religiösen Initiation, wenn das erste Kind unterwegs ist. Viele gute Vorsätze, wie den Kindern beide Traditionen gleichberechtigt nahezubringen, werden als zu schwer und auch verwirrend aufgegeben. Es können Gefühle von Heimatlosigkeit in den eigenen Gemeinschaften entstehen, die zu einer Distanzierung führen können. Damit gehen den Gemeinschaften allerdings besonders die liberalen Mitglieder verloren. Zudem wird häufig nicht erwartet, dass Religion einen Bedeutungswandel im Leben einer jeden Person durchlaufen kann. Durch Schicksalsschläge, Tod, Krankheit, Verlust der Arbeit etc. können Sinnfragen aufgeworfen werden, die Menschen religiöser werden lassen.
interfaith marriages: more unhappy…more unstable?
Erfahrungen der interkulturellen Seelsorge im deutschen Raum bestätigen einige dieser Beobachtungen, doch zeichnen sie ein nicht ganz so negatives Bild. Festgestellt wird auch hier, dass der Druck der Familien Loyalitätskonflikte verursacht,[5] dass die Paare mit gesellschaftlichen Themen wie Integration, Exklusion oder Rassismus in existentieller Weise konfrontiert sind[6] und dass sie häufig nicht die nötige Unterstützung erhalten.[7] Zudem wird in der Praxis beobachtet, dass Religion zum einen eine Stellvertreterinnenfunktion bei Auseinandersetzungen bekommen kann, d.h. dass grundsätzliche Beziehungsprobleme auf religiöse Unterschiede zurückgeführt werden.[8] Zum anderen kann Religion auch einen Zufluchtsort bieten, wenn die eigene Identität in Frage gestellt wird und Anerkennung und Wertschätzung fehlen.[9] D.h. selbst wenn Religion anfangs vielleicht keine Rolle spielt, kann sie im Laufe der Beziehung immer virulenter werden.
Die eigene Religion wird plötzlich zum virulenten Beziehungsthema.
Der Gewinn dieser komplexen Beobachtungen liegt auf verschiedenen Ebenen. Sie lichten zum einen den Schleier romantischer Ideale, deren Erwartungsdruck Beziehungen ausgesetzt sind und sich selbst aussetzen. Sie rütteln auch an der Tabuisierung der Schwierigkeiten interreligiöser Beziehungen zu Gunsten einer falsch verstandenen „Toleranzprämisse“.[10] Sie konfrontieren uns mit den strukturellen Problemen unserer Gesellschaft statt ein individuelles Scheitern vorzuwerfen. Damit nehmen sie uns nicht zuletzt gesamtgesellschaftlich in die Verantwortung.
Mit dieser Verantwortung beschäftigen sich z.B. Verbände oder Lobby Gruppen wie der seit 1972 tätige Verband binationaler Familien und Partnerschaften e.V. Doch was können die religiösen Gemeinschaften tun? Zuallererst ist ihre Aufgabe die Beratung und Begleitung – und zwar nicht aus einer Haltung der Angst heraus, Mitglieder zu verlieren, sondern in Akzeptanz, Wertschätzung, Respekt und Verständnis. Es sollten Räume geschaffen werden, in denen interreligiöse Paare mit ihren speziellen und allgemeinen Erfahrungen einen Ort haben, sei es in der Seelsorge, im Gemeindealltag oder den Gottesdiensten. Vor allem aber sollte die Existenz interreligiöser Beziehungen als Chance begriffen werden, ein friedliches Miteinander in der Gesellschaft zu fördern. Die Neugier und das Interesse, zuzuhören, voneinander zu lernen und Neues zu gestalten, lassen religiöse Gemeinschaften lebendig werden und sich entwickeln.
interreligiöse Beziehungen als Chance für unsere Gesellschaft
Dafür können sie sich sogar – entgegen des Augenscheins so mancher Handreichung – auf biblische Traditionen stützen. Paulus ermutigt dazu, interreligiöse Partnerschaften nicht zu trennen und darauf zu vertrauen, dass das Eigene im Miteinander nicht verloren geht. Ängste, Unsicherheiten und Vorurteile können losgelassen werden. And nothing else matters.
[1] In der Antike spielte der ökonomische Aspekt von Ehen eine überlebenswichtige Rolle für beide Geschlechter.
[2] D.h. befreit von gewaltförmigen Strukturen, starren Festschreibungen, beziehungszerstörenden Handlungen und ängstlichen Denkmustern. Vgl. 1 Kor 3,16; 6,11.19; 15,10.
[3] DIE ZEIT Nr. 51/2016, 8. Dezember 2016.
[4] Schaefer Riley, Faith, XV.
[5] Butt, Ehebegleitung, 147.
[6] Kunze, Konfliktberatung, 201.
[7] Wagner-Rau, Festpraxis.
[8] Butt, Ehebegleitung, 145.
[9] Kunze, Konfliktberatung, 202.
[10] Schaefer Riley, Faith, 15.
Literatur
Aliyah El Mansy, Exogame Ehen. Die Traditionsgeschichtlichen Kontexte von 1Kor 7,12-16, BWANT 206, Stuttgart 2016.
Ulrike Wagner-Rau, Ritual- und Festpraxis in multireligiösen Familienkonstellationen. Ein Prospekt, in: Hans Gerald Hödl u.a. (Hg.), Christliche Rituale im Wandel, (Reihe „Wiener Forum für Theologie und Religionswissenschaft“), Wien 2017 (im Erscheinen).
Naomi Schaefer Riley, ʻTil Faith Do Us Part. How Interfaith Marriage Is Transforming America, Oxford 2013.
Norbert Kunze, Konfliktberatung bei bireligiösen Paaren, in: Helmut Weiß u.a. (Hg.), Handbuch interreligiöse Seelsorge, Neukirchen-Vluyn 2010, 198-212.
Eva Butt, Ehebegleitung. Gott hat viele Namen. Bireligiöse Beratung am Beispiel eines deutsch-tunesischen Paares, in: Karl Federschmidt u.a. (Hg.), Handbuch interkulturelle Seelsorge, Neukirchen-Vluyn 2002, 143-151.
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Aliyah El Mansy, Dr. theol., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Neuen Testament der Philipps-Universität Marburg.
Bild: Karin Jung / Doppelherz, pixelio.de