Hat es zwischen Körperkult und Cyberwelt noch Platz für den christlichen Gedanken der Inkarnation? Jan-Heiner Tück bespricht das Buch „Endlich unsterblich“ von Klaus Müller.
Geist und Selbstbewusstsein des Menschen sind eingebunden in einen Leib, der seine eigenen Bedürfnisse hat, die sich von der Regie der Vernunft nicht immer dirigieren lassen. Lange hat die moderne Subjektphilosophie den Leib stiefmütterlich behandelt, so dass die Wiederkehr des Körpers im aktuellen Diskurs der Geisteswissenschaften als Nachholung des Versäumten verstanden werden kann. Der faktische Umgang mit dem Körper ist allerdings ambivalent. Die einen vergötzen ihn und machen ihn zum Mittelpunkt ausgeklügelter Lifestyle-Praktiken. Die anderen würden ihn am liebsten abstreifen und in körperlose virtuelle Welten entfliehen. Der Münsteraner Philosoph Klaus Müller hat diese Ambivalenz scharf diagnostiziert und in seinem Buch „Endlich unsterblich“ (Kevelaer 2011) eine Bruchlinie zum christlichen Inkarnationsglauben ausgemacht.
Körper als Klaviatur
Man kann den Körper als Klaviatur verstehen, auf der sich das Ich mehr oder weniger virtuos inszeniert. Doch der Körper hat seine Macken. Er kann oder will oft nicht so, wie er soll, er kommt außer Atem, wird müde und schwitzt, er altert und stirbt. Der Körper- und Fitnesskult rebelliert gegen diese Macken und arbeitet – so gut es geht – an der Selbstvervollkommnung: „Am Körper wird ästhetisch, chirurgisch, chemisch laboriert, was das Zeug hält. Nur so wird und bleibt der Körper marktfähig in der Konkurrenz der Schönen und Fitten um die Schönen und Fitten“, schreibt Müller. Man will eben anders und besser sein, als man ist, will vor dem Blick der anderen, dem oft gnadenlosen Gerichtshof, bestehen. Daher wird der Körper zum Laboratorium der Selbstperfektionierung. Für eine gewisse Zeit helfen die Programme von Fitness und Diätetik. Bei den weniger Schönen versprechen plastische Chirurgie und Wellness nachzubessern, was die Natur unperfekt gelassen hat. Selbst gegen das Älterwerden gibt es Mittel. Körpermanipulationen und Prothesen sind weit verbreitet.
Bio-Technik und Genetik arbeiten an einem Menschen jenseits des Menschen.
Eine qualitativ neue Stufe wird indes erreicht, wenn die Kolonialisierung des Körpers über das äußere Design hinaus biochemisch weitergeführt wird. Neuro-Enhancement verspricht die Optimierung der intellektuellen Fähigkeiten. Bald schon soll durch die Implantation von Mikro-Chips der kognitive Horizont des Menschen erheblich erweitert werden. Bio-Technik und Genetik arbeiten an einem Menschen jenseits des Menschen. Schon Nietzsche hatte in „Also sprach Zarathustra“ eine Vorahnung von diesen Willen zur Überschreitung, als er notierte: „Alle Wesen bisher schufen etwas über sich hinaus: und ihr wollt die Ebbe dieser großen Flut sein und lieber noch zum Tier zurückgehen als den Menschen überwinden?“
Der gnostische Grundzug der Cyberphilosophie wird hier deutlich.
Einen vielstimmigen Nachklang zu dieser Vision gibt es im heutigen Posthumanismus der Cyberphilosophie. „Dieser Primatenköroper, der sich in den letzten vier Millionen Jahren nicht verändert hat, kann mit den Visionen unseres Geistes nicht Schritt halten. Unser Geist ist draußen im Universum, greift nach den Sternen und nach der Unsterblichkeit, und diese armseligen, schlampigen Körper fesseln uns hier unten an den Dschungel“ – zitiert Klaus Müller eine Stimme, die unter dem Pseudonym „Futurist FM-2030“ im Netz publiziert. Der gnostische Grundzug der Cyberphilosophie wird hier deutlich. Zum Programm der Gnosis in ihren unterschiedlichen Spielarten gehört die Leibverachtung. Der Geist muss die Materie hinter sich lassen, um eine reine, von keiner Stofflichkeit kontaminierte Sphäre des Geistes zu erreichen. Klaus Müller weist zu Recht darauf hin, dass es unbeschadet der gemeinsamen Materie- und Leib-Verachtung gravierende Unterschiede zwischen antiken und heutigen Spielarten der Gnosis gebe. In den Strömungen der antiken Gnosis musste man einen spirituellen Prozess der Askese durchlaufen, um die Welt des Materiellen abzustreifen und die rettende Sphäre des Lichts zu erreichen. Ohne Selbstdisziplin keine Erlösung! Anders in der „digitalen Technognosis“ von heute: hier kann das Ziel, die immaterielle Geist-Existenz zu erlangen, ohne harte Arbeit und Hingabe erreicht werden. Das Fraglichwerden des eigenen Leibes wird zur Verabschiedung des Leibes selbst. „Es gibt ja einen neuen Kult der Körperverächter, sie nennen sich Extropisten und schwärmen davon, den menschlichen Geist in die Maschine zu retten, damit er dem verrottenden Planeten in letzter Minute entkommt. Theology of the ejector seat. Sein Geist, sein Wissenswille soll sich – wohl mit der Antriebskraft des Urfluchs – über den Menschen hinwegheben und wird schließlich ohne ihn, ganz körperlos, eine noetische Ekstase, durchs Weltall irren.“ So der Schriftsteller Botho Strauß.
Das Fraglichwerden des eigenen Leibes wird zur Verabschiedung des Leibes selbst.
Das Christentum ist für die Cyberpropheten eine retardierende Kraft, die den Aufbruch in eine posthumanistische Welt verhindert. Es nimmt die Entwürdigten in den Blick, kultiviert eine Haltung der compassio mit den Schwachen und versucht die physisch Angeschlagenen und Kranken zu stärken. Die Cyberphilosophie ist demgegenüber unverhohlen sozialdarwinistisch beeinflusst. Nur die Elite, die sich Zugang zur Welt der neuen Medien verschafft und sich in der Nutzung kompetent macht, hat Chancen, die Tore zum Paradies der posthumanistischen Welt zu durchschreiten. Wer sich dies nicht leisten kann, verschwindet von der Bildfläche. Nietzsches polemische Attacken gegen die Mitleids-Ethik, als sei die christliche Moral eine Strategie der Schwachen, die Lebenstüchtigen und Starken in Schach zu halten, finden hier starken Nachhall.
Die neuen Propheten der Cyberwelt sehen den Fortschritt in einer Desinkarnation.
Wichtiger aber ist, dass die Cyberphilosophie das Zentrum des Christentums, den Gedanken der Inkarnation, der Fleischwerdung des göttlichen Wortes, aushöhlt und pervertiert. Die neuen Propheten der Cyberwelt sehen den Fortschritt in einer Desinkarnation, in einer Abstreifung der „Krücke“ des Fleisches, um virtuell in neuen Welten existieren zu können. Dagegen heißt es schon bei Tertullian: Caro cardo salutis. Das Fleisch ist der Angelpunkt des Heils. Das göttliche Wort hat Fleisch angenommen, damit das sterbliche Fleisch des Menschen zu Gott finden kann. Dieser Gedanke des Admirabile Commercium, des wunderbaren Tausches, hat die Theologie zwei Jahrtausende in Atem gehalten, er gibt ihr auch heute zu denken. Der göttliche Logos verbleibt nicht in der geistigen Sphäre, er nimmt menschliche Gestalt an, wird verwundbar und stirbt. Die Spuren der gelebten Geschichte werden nicht annulliert, sie zeichnen sich ein in die leibliche Gestalt. Die Wundmale des Gekreuzigten prägen auch die postmortale Identität des Auferweckten. So erzählen es die Evangelien in den Erscheinungsberichten. Die Vollendung wäre keine, wenn sie die Sphäre des Leibes nicht rettend einbegriffe! In der Gnade der Vollendung, die das Christentum dem verwundbaren und sterblichen Leib verheißt, liegt eine Alternative zu den oft gnadenlosen Selbstperfektionierungstechniken in Lifestyle und Fitness, aber auch eine deutliche Absage an eine Technognosis, die den Leib als Kadaver verächtlich macht.
Das Buch:
Klaus Müller, Endlich unsterblich. Zwischen Körperkult und Cyberworld, Kevelaer 2011.
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Dr. Jan Heiner Tück ist Professor für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.