Wolfgang Beck hat die Re:Publica 2017 besucht – eine Veranstaltung für mehr als Nerds und Flowerpower, wie er meint.
Das größte Treffen von Internet-AktivistInnen und -AkteurInnen in den digitalen Medien etabliert sich zunehmend zu einem Mega-Event. Von 7. bis 9. Mai trafen sich über 8.000 TeilnehmerInnen in Berlin zur Re:Publica 2017. Das Motto „LOVE OUT LOUD“ räumt nicht nur mit dem Nerd-Image der Internet-Anfangszeit auf, indem es eine Brücke zur alternativen Flowerpower-Kultur schlägt.
LOVE OUT LOUD
Dass das gerade nicht als Abtauchen in naive Blümchenmentalität missverstanden werden sollte, sondern ein wachsendes Bewusstsein für die Digitalität als gesellschaftlichem Wandlungsprozess ausdrückt, machen die OrganisatorInnen mit einer sehr profiliert politischen Ausrichtung des Groß-Events deutlich: In der zentralen Podiumsveranstaltung berichtet der türkische Journalist Can Dündar von der prekären Situation der von Staatspräsident Erdogan malträtierten und faktisch abgeschafften freien Presse in seinem Heimatland.
Und endlich stellt sich die Digital-Community zunehmend auch den Problemfeldern der Social Media: „hatespeech“ wird stellenweise zur dominierenden Unkultur in Internetforen. Die öffentliche Diskussion um Einflussname auf gesellschaftliche Diskussionsprozesse durch „fake news“, erzeugt Ratlosigkeit. Und UserInnen bewegen sich in den von intransparenten Algorithmen erzeugten „Filterblasen“ der Selbstbestätigungen, die freilich auch in analogen Milieuverengungen zu finden sind.
hatespeech und fake news
Immerhin werden diese Problemfelder in der Community der Digitals offen diskutiert. Das Benennen der Problemfelder lässt sich scheinbar nicht (mehr) unter den vorschnellen Verdacht des Kulturpessimismus oder des blanken Unverständnisses von SkeptikerInnen und „digital immigrants“ gegenüber den „digital natives“ vom Tisch wischen. Die Probleme liegen offen auf dem Tisch. Doch der Weg zu Lösungsansätzen ist steinig und langwierig. Die großen Köpfe der Community, wie Sascha Lobo, haben denn auch wenig mehr zu bieten, als moralische Appelle, die sich in dieser Reinform nicht mal mehr auf den Kanzeln von Dorfkirchen finden lassen dürften.
Wo sind die intellektuellen Irritationen?
Zu den Intellektuellen der Community gehört Gunter Dueck, dem es gelingt, gesellschaftliche Prozesse verständlich zu analysieren und dabei die vielleicht größte Herausforderung der digitalen AkteurInnen zu benennen: Es fehlt ihnen an bereichernden Irritationen durch intellektuell anspruchsvolle GesprächspartnerInnen aus den Geisteswissenschaften! Deren gern beklagte Berührungsängste mit der digitalen Welt sind für diesen Mangel an gemeinsamem Gespräch jedoch nicht allein verantwortlich. Es ist auch eine allzu putzig daherkommende, selbstbestätigende Euphorie, von der weite Teile der Community geprägt sind, und das Selbstbewusstsein, als gesellschaftliche Avantgarde kaum adäquate GesprächspartnerInnen außerhalb der Community finden zu können.
Ausnahme: Carolin Emcke
Eine große Ausnahme stellt erneut die Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels, Carolin Emcke, dar. Sie zeigt in einem mutig uncoolen, aber in gewohnter sprachlicher Qualität vorgestellten Referat die Dimension des Tagungsmottos auf. Nicht nur TheologInnen werden darin ein Beispiel für wirkkräftige und gelingende Verkündigung der Botschaft des Volkes Gottes von der Nächstenliebe jenseits der offenbar zu eng gewordenen und deshalb lustvoll überschrittenen institutionellen Grenzen der Kirchen identifizieren können. Emcke entlarvt die sprachlichen Mechanismen, die immer Realitäten erzeugen und deshalb in ihrer problematischen Instrumentalisierung für Ausgrenzungen und Abwertungen der aus manchen Perspektiven als abweichend deklarierten Lebensformen und Biographien mitverantwortlich sind.
Immerhin, erstmals durften in kleinen Foren auch evangelische (Johanna Haberer) und katholische (Andreas Büsch) TheologInnen vorkommen. Damit wird das Gesamtsetting dieser Konferenz zu einem Spiegelbild kirchlicher Präsenz in von Digitalität geprägten, modernen Gesellschaften: sie prägt nicht die gewichtigen, inhaltsstarken Hauptforen und bestimmt längst nicht mehr die öffentlichen Debatten, sondern mischt sich in diese eher am Rand ein. Kirchliche VertreterInnen sind willkommen, sich selbstbewusst ins Gespräch einzubringen. Aber sie müssen auch einsehen, dass dies aus der Position der Schwäche heraus geschieht. So bleibt es Carolin Emcke überlassen, Anwältin für die Präsenz von Religion in moderner und weithin säkularisierten Gesellschaft zu sein.
Religion als Lieferantin ethischer Orientierung?
Was Emcke in dieser Rolle nachzusehen ist, macht jedoch eine erkennbare Problematik aller Vermittlungsversuche zwischen Theologie und Digitalität aus: Religion wird in der Regel nur als bloße Lieferantin von ethischen Orientierungen verstanden. Das Phänomen ist aus anderen Gesellschaftsbereichen bekannt, wenn etwa auf schulischen Elternabenden christliche Werte bejubelt werden. Tragisch wird diese Verengung jedoch, wenn Theologie selbst sich auf diese gesellschaftliche Funktion reduziert. Was sich als „digitale Theologie“ vorstellt, ist eben doch vor allem Medienethik oder Medienpädagogik. Beides ist zweifellos wichtig und mag eine dringend notwendige Dienstleistung sein.
Eine Theologie, die sich risikofreudig auf die Logik der Digitalität einlässt, ist es indes noch nicht und steht aus. Der vernehmbare Ruf nach intellektuellen GesprächspartnerInnen und externen IrritationslieferantInnen für die Community der digitalen AkteurInnen verlangt mehr als eine medienethische Flankierung – und könnte am Ende an Theologie und Kirche vorbeigehen.
Wolfgang Beck ist Juniorprofessor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen, Frankfurt a. M.
Bild: Wolfgang Beck