Bis 31. Mai haben Sie noch die Wahl zwischen zehn Büchern. Sie können online Ihre Stimme abgeben und bei der Verleihung des LiBeraturpreises 2017mitbestimmen. Lisa Straßberger stellt Ihnen die Autorinnen vor.
„Ministerium für öffentliche Erregung“, „Gesänge einer verbotenen Frau“, „Reis und Asche“, „Tal des Schweigens“ – schon mit diesen vier Titeln können Sie eine Weltreise der anderen Art machen, nach Singapur, in den Iran, nach Indien, nach Südafrika. Sie treffen auf ausgezeichnete Schriftstellerinnen. Jede führt Sie in Gegenden ihres Heimatlandes, die Sie alleine nie gefunden hätten. Jede konfrontiert Sie mit einer Wirklichkeit, die in Reiseführern kaum auftauchen. Es sind historisch aufgeladene, rebellische, aufklärerische Zeitreisen, zugleich innere Landschaften von Frauen, in die sich die politischen und gesellschaftlichen Unwetter eingegraben haben.
Fehlgeschlagene Leben
Amanda Lee Koe erzählt melancholische Geschichten über das koloniale Erbe im Vielvölkerstaat Singapur. Ihre Erzählungen führen das Harmonie-Gesetz und die Nützlichkeitsnorm vor, die die autokratische Führung ihren BewohnerInnen aufdrückt und sie in Produktivitätsmaschinen verwandelt. Koe schenkt ihre Zuneigung vor allem den Alten mit ihrem fehlgeschlagenen Leben. Ihr lakonisch-ironischer Kommentar sei wie ein subversiver Samen in den Ritzen der Geldstadt, so die Jurorin und BR-Literaturredakteurin Kornelia Zetsche bei der Auftaktveranstaltung zur Publikumsabstimmung im Frankfurter Haus am Dom am 18. Mai.
… von Schwestern der Angst und Männern des Schreckens
Granaz Moussavi singt in ihren Gedichten von den Schwestern der Angst und den Männern des Schreckens, die sich den Iran untertan gemacht haben, singt unverblümt, aggressiv, betörend in ihrem australischen Exil von einer verlorenen Generation: „Spätnachmittag. Ich komme vom Kitten der Tage nach Haus“. Sie notiert den Stillstand, die Steinigungen, die Sprüche der Demonstranten, bewahrt die Erinnerung an eine unersetzliche Heimat, in der „kein Platz für mich ist“, zitiert sie der HR-Journalist Ruthard Stäblein und empfiehlt „seine“ Kandidatin, wohlwissend, dass Lyrik bei Preisverleihungen besondere Zuwendung braucht.
Rebellisches Hoffnungszeichen
Meena Kandasamy nimmt Sie hinein in das historische Massaker in Südindien, bei dem am 25. Dezember 1968 ein Aufstand gegen die Ausbeutung der Bauern und LandarbeiterInnen brutal niedergeschlagen wurde und die Verantwortlichen sich bis heute keinem Gericht stellen mussten. Ihren sarkastischen Roman versteht die Nachgeborene eines der 44 getöteten Dalits als rebellisches Hoffnungszeichen, Hommage an den politischen Widerstand in ihrem Land, das immer noch von feudalen Strukturen geprägt sei, sagt die Literaturkritikerin Claudia Kramatschek.
Historischer Konflikt als Krimi
Malla Nunn hat wieder einen Krimi geschrieben und darin die historischen Konflikte zwischen Zulus und Weißen in Südafrika aufgefaltet. 1953: Eine junge Frau wird tot aufgefunden. Die weiße Polizei kümmert sich nicht, bis ein Trio, das die rassistische Ordnung in Drakensberge durcheinanderbringt, sich des Falles annimmt: ein deutsch-jüdischer Arzt, ein dolmetschender Zulu, ein weißer Ermittler mit Zulu-Verwandtschaft. In zarter, leiser Prosa, werden die Fronten zwischen den sich bekriegenden Gruppen, Weiße, Schwarze, Frauen, Männer, abgeschritten. Malla Nunn ist die einzige, international anerkannte, farbige Krimiautorin Südafrikas, so der Publizist Thomas Wörtche.
Der LiBeraturpreis will den Blick des lesenden Publikums auf die Regionen des Globalen Südens richten. Die Kandidatinnen kommen aus Afrika, Asien, Lateinamerika oder der arabischen Welt. Der Verein LITPROM, Literaturen der Welt, unter der Leitung von Anita Djafari, organisiert die Wahl in Zusammenarbeit mit einer prominent besetzten Jury. Nominiert werden die Autorinnen, die ins Deutsche übersetzt wurden und es auf die monatliche Bestenliste „WELTEMPFÄNGER“ geschafft haben. Damit präsentiert der Verein regelmäßig ausgewählte Literatur aus diesem Teil der Welt. Der Preis ist mit einem Preisgeld, einem Stipendium für eine Schreibwerkstatt im Heimatland, sowie einer Einladung zur Frankfurter Buchmesse verbunden. Die Preisverleihung findet dort am 14. Oktober 2017 statt.
Die Schönheit des Wortes und die Freiheit der Schreibenden gehören zusammen.
Der „LiBeraturpreis“ trägt sein Programm im Titel, dass nämlich die Schönheit des Wortes und die Freiheit der Schreibenden zusammengehören. Gerade für Frauen ist Meinungsfreiheit, Unversehrtheit, Selbstbestimmungsrecht und Öffentlichkeit noch längst keine im Alltag verankerte Norm. Fehlt ihre literarische Perspektive, fehlen in den narrativen Mustern der Erinnerung wesentliche Bausteine. Ein breites Publikum ließ sich im voll besetzten Saal bei der Auftaktveranstaltung der Katholischen Akademie Rabanus Maurus auf diese Perspektiven ein. Eine Spitzenreiterin gab es bei der Abstimmung an diesem Abend nicht, aber erste Trends.
Das Schreiben als Aufbruch in unvereinnahmbare Selbstbestimmung.
Fariba Vafi brachte ein iranisches Thema nach vorn: Sie erkundet in „Tarlan“ die Bewegungsräume einer intellektuellen jungen Frau im Iran der Islamischen Revolution. Die Nahaufnahme von 1979 zeigt eine Polizistin, die den Erwartungen ihrer Familie entkommen will und in der Ausbildungskaserne „ein neues Leben aufbauen soll“, das alle Erinnerung abstreift. Eine „geistige Jungfräulichkeit“ für eine Existenz auf Befehl wird von den Mädchen verlangt, die aus dem Vielvölkerstaat zusammenkommen. Das Schreiben wird der Heldin zum Tor, zum Aufbruch in unvereinnahmbare Selbstbestimmung.
Ausbrüche aus vorgefundenen Strukturen
Kettly Mars aus Haiti richtet den Blick auf einen Mann, der in einer Anstalt unter Schizophrenen lebt. Das verheerende Erdbeben von 2010 wird zum Anlass, die schon lange gestörten Familienverhältnisse in inneren Monologen zu erkunden. Psychologisch fein gestaltet erscheinen Figuren aus der verarmten Landbevölkerung, Nachkommen der westafrikanischen Sklaven, und Patriarchen aus der herrschenden Gruppe der ehemaligen spanischen und französischen Kolonialmächte. Kettly Mars zeichnet die versuchten Ausbrüche aus den vorgefundenen Strukturen und die Schatten des Elends in beiden Welten: „Ich bin am Leben“ – der Titel zeigt die Fallhöhe.
Von Korrekturen gezeichnete Geschichte
Jeong Yu-jeong entfaltet in „Sieben Jahre Nacht“ ein Drama aus Unfall, Schuld und Vertuschung. Der südkoreanische Stausee, an dem das Verhängnis seinen Ausgang nimmt, und dessen Schleusen am Ende geöffnet werden, ist dafür eine mächtige Metapher. Das versinkende Mädchen, dessen von „Korrekturen“ gezeichnete Geschichte im Rückblick entrollt wird, der trauernde Junge, auf dem das moralische Versagen des Vaters lastet: Beide stehen für eine Jugend, die durch beklemmende Gewalttätigkeit um ihre Lebenskraft gebracht werden, kommentiert Katharina Borchardt vom SWR2.
umgekehrte Orpheus-und Eurydike-Geschichte
Yvonne Adhiambo Owuor stellt das Verschweigen von Verbrechen in den großen Kontext der kenianischen Geschichte und der universalen Verstrickungen im 20. Jahrhundert. „Der Ort, an dem die Reise endet“, empfohlen von Insa Wilke, handelt von Mord, Korruption und Wahlfälschung im Jahr 2007 und verfolgt die Gewaltspirale zurück bis in die Tage der Unabhängigkeit Kenias 1963. Der Versuch, Ablehnung und Einsamkeit zu durchbrechen und sich zugehörig zu fühlen, führt in dieser umgekehrte Orpheus-und Eurydike-Geschichte zur Erkenntnis, dass Männer und Frauen Orte anders wahrnehmen, anderes mit ihnen verbinden. So prägt eine unaufdringliche feministische Perspektive die Erinnerungsarbeit in diesem zeitgeschichtlichen Panorama.
Rückzug aus der normierten Welt
Han Kang aus Südkorea durchbricht eine Grenze, wenn sich ihre Heldin aus dem Buch „Die Vegetarierin“ zuletzt in einen Baum verwandelt. Gezeigt wird der Rückzug aus der normierten Welt und aus den Erwartungen ihres Ehemannes, die sie auf einen handhabbaren Durchschnitt festlegen. Ihre rebellische Entscheidung, Vegetarierin zu werden, steht im eigentümlichen Kontrast zu ihren gewaltbeladenen Träumen. Sie stellt sich für ein Kunstprojekt zur Verfügung und lässt ihren Körper mit Pflanzen bemalen. Abgemagert bis zur Verordnung von Zwangsernährung erschließt sich der Zerfall der Figur aus einer dreifachen Außenperspektive. Die eigene Stimme bleibt in ihre Träume eingeschlossen.
Ästhetischer Widerstand
Zeina Abirached aus dem Libanon schlägt mit der Graphic Novel „Piano Oriental“ eine Brücke zwischen den Kulturen auf den Pfeilern der Musik: Westliches Klavierspiel trifft auf die Viertelton-Tradition orientalischer Musik. Der Hintergrund des libanesischen Bürgerkriegs 1981 verblasst in dieser autobiographisch geprägten Geschichte um den Großvater. Das Bild vom gewaltfreien Libanon tritt als ästhetischer Widerstand in den Vordergrund. Die Weltläufigkeit der Autorin, ihre Freiheit zwischen Sprachen und Zeichnungen und Kulturen hin- und herzuwechseln, ihre künstlerische Entscheidung, die Musik über die thematische Vorherrschaft von Waffen und Glaubensstreit zu stellen, machen ihr Buch aus meiner Sicht keineswegs unpolitisch. Es feiert den Freiraum der Kunst.
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Text: Lisa Straßberger, Katholische Akademie Rabanus Maurus, Frankfurt am Main; Bild: Litprom.