Der G20-Gipfel ist vorbei. Hamburg befand sich tagelang im Ausnahmezustand. Die Lage ist eskaliert. Zurückbleibt verbrannte Erde. Gerrit Spallek blickt auf die Ereignisse in seiner Stadt zurück.
Die Air Force One ist wieder in den Staaten gelandet. Mit laufenden Motoren stand sie das gesamte Wochenende abflugsbereit auf dem Hamburger Flughafen. Wie sie war die gesamte Stadt diese Tage im Ausnahmezustand. Was dann aber geschah überraschte sogar all diejenigen, die selbstsicher propagierten, sie würden mit „allem rechnen“.
Was in Hamburg hinterlassen wurde, ist vor allem verbrannte Erde.
Das Ergebnis des G20-Gipfels ist ein Minimalkonsens der Mächtigsten. Was in Hamburg hinterlassen wurde, ist vor allem verbrannte Erde. Das ist zunächst wortwörtlich zu verstehen. Das linksalternative, wenn auch zunehmend gentrifizierte, Schanzenviertel wurde im Zuge von Protesten verwüstet. Autos und Mülltonnen wurden angezündet, Gehwegplatten und Pflastersteine zu Wurfgeschossen umfunktioniert, Fensterscheiben mithilfe von Verkehrsschildern zerschlagen und Geschäfte – nicht nur von verhassten Ketten – geplündert und demoliert. Verbrannte Erde hinterlässt der Gipfel aber auch metaphorisch. Das Restvertrauen in die großen Global Player der Weltpolitik hat weiter gelitten. In der aktuellen Zusammensetzung ist von ihnen nicht zu erwarten, was zumindest die meisten von ihnen versprechen. Bis jetzt schaut es nicht danach aus, als sei dieser Gipfel ein Fortschritt in Richtung Frieden, Gerechtigkeit und Klimaschutz.
Nicht nur Donald Trump hat mittlerweile die Stadt verlassen. Auch eine erschreckende, gleichzeitig aber nur schwer zu schätzende Zahl gewaltrealisierender Autonomer dürfte mittlerweile in ihre Heimaten zurückgekehrt sein. Wir wissen nicht, was sie ihren daheim gebliebenen Freunden und Verwandten berichten werden: Werden sie von den Ereignissen berichten, als ein ganzes Viertel zum rechtsfreien Raum wurde? Werden sie sich mit ihren Taten brüsten und über erfahrene Polizeigewalt schimpfen? Oder wird vielleicht auch Raum für den Schrecken über die Dynamik einer freigesetzten Masse und den Momenten der Panik sein?
Protestdemo „Welcome to Hell“ – Ausdruck unversöhnlicher Kritik
Am Donnerstag eskalierte die „linksradikale Vorabenddemo“ mit dem Motto „Welcome to Hell“. Sie sollte „ein erster starker Ausdruck“ einer „unversöhnlichen Kritik“ sein. Ziel war es, „entschlossen laut und wütend“ zu sein. Es ging um den „Kampf gegen kapitalistische Zustände“, welche die Demonstrantinnen und Demonstranten „nicht mehr ertragen wollen.“ [1]
Im Internet berichteten Lireticker, Fernsehsender hielten live drauf.
Im Vorfeld schaukelte sich die Stimmung durch gegenseitige Provokationen von Polizei und linker Szene hoch. Was folgte, sind die Bilder, die um die Welt gingen. Es hat ganz eigene medienethische Relevanz, dass die Marodeure nicht alleine waren. Nicht nur, dass viele Schaulustige sich das Spektakel vor Ort nicht entgehen lassen wollten.
Im Internet berichteten Liveticker, als würde es sich um eine Sportveranstaltung mit zwei gegeneinander antretenden Mannschaften handeln. Fernsehsender hielten live drauf, so dass Randaliererinnen und Randalierer nicht nur die von ihnen provozierte Aufmerksamkeit geschenkt bekamen. Vom Sofa aus gelang es, sich schaulustig anstacheln zu lassen. Andere saßen angsterfüllt vor dem Fernseher, weil Familienmitglieder und Freunde im Polizeieinsatz, unter den Demonstrierenden oder als Einwohnerinnen und Einwohner im Schanzenviertel eingeschlossen waren.
Was machen, wenn die geäußerte Kritik und das Echo der Adressaten als „unversöhnlich“ wahrgenommen werden?
Was sich bei Kastortransporten bewährt hat, wird bei dieser Protestform ad absurdum geführt. Durch Krawall wird versucht, eine Sache so aufwändig und kostspielig wie möglich zu machen, dass der Aufwand sich nicht lohnt. Das hat bei Protesten gegen Konzerne seine Logik, die mit Atomkraft ihr Geld verdienen. Politische Prozesse so kostspielig wie möglich zu machen, wirkt schlicht sinnbefreit. Was aber machen, wenn die geäußerte Kritik und das Echo der Adressaten als „unversöhnlich“ wahrgenommen werden?
Die erhöhte Polizeipräsenz hat mich zur Einstimmung auf den Gipfel in die digitale Punk-Plattenkiste greifen lassen. Die Punkband ZSK bringt dieses unversöhnliche Gegenüber für michtreffend auf den Punkt:
„Das sind eure Grenzen – und nicht meine!
Eure Politik, damit ihr noch mehr Geld verdient.
Das sind eure Armeen – und nicht meine!
Die innere Sicherheit, die Abweichungen im Keim erstickt.
Das sind eure Talkshows – und nicht meine!
Heile Welt für alle, als Schutz vor der Realität.
Das ist mein Leben – und ich hab keine Lust, den Normalzustand hinzunehmen!
Fahrt zur Hölle! Ich kann euch nicht mehr sehn!
Fahrt zur Hölle, denn diese Welt gehört euch nicht und ist nicht zu verkaufen!“
(Und da gehen unsere Wege auseinander, 2002)
Auch ich bin wütend und habe keine Lust, den Normalzustand dieser Welt hinzunehmen.
Ich kann durchaus den ursprünglichen Grundgedanken der besagten Demonstration verstehen. Auch ich bin wütend und habe keine Lust, den Normalzustand dieser Welt hinzunehmen. Auch ich empfinde die Kontexte meiner Existenz zu größten Teilen als unerlöst. Ich weigere mich aber, die Hölle willkommen zu heißen. Ich will ihr gerade entfliehen.
Die wirkliche Hölle muss angesichts der G20 nicht erst durch Marodeure und Chaos entfacht werden. Müsste ich die Hölle beschreiben, dann würde ich sie als einen Ort beschreiben, an dem gnadenlos das Recht des Stärkeren gilt. Ein solcher Ort war das Schanzenviertel in den letzten Tagen.
Eine Hölle auf Erden erleben viel zu viele Menschen auf dem Globus tagtäglich.
Eine Hölle auf Erden erleben viel zu viele Menschen tagtäglich. Ich denke an die Menschen, die um ihr Überleben kämpfen, weil ihnen das tägliche Brot fehlt. Ich denke an diejenigen, die unter widrigsten Umständen unsere Klamotten nähen, auch an die vergessenen Messopfer, deren Blut am menschenunwürdig geschürften Gold unserer Ziborien klebt. Da sind die Menschen, die Polizeigewalt erfahren haben – nicht weil sie Steine schmeißen, sondern weil sie ihre Meinung sagen. Ich denke auch an alle, die an jedweder Diskriminierung leiden. Das alles sind genügend Gründe zu protestieren – besonders für Christinnen und Christen.
„Welcome to Heaven“
Zeichen und Werkzeug der Liebe Gottes lassen sich nicht nur mit Liebenswürdigkeit realisieren, wohl aber immer in der Gewissheit, dass das Gegenüber der Liebe Gottes würdig ist. Die hinzuhaltene Wange ist nicht mit einem Wendehals zu verwechseln, der sich denen zuwendet, die Geld und Einfluss bescheren. Protest darf aber nicht die Hölle willkommen heißen, schon gar nicht heraufbeschwören. Für Christinnen und Christen müsste es heißen: „Welcome to Heaven“, „Willkommen Reich Gottes“ – oder eben: „Dein Reich komme, wie im Himmel so auf Erden“.
Das Zentrum des christlichen Glaubens sagt gerade aus, dass Gott sich niemals unversöhnt in Opposition zu seiner Schöpfung verhält – unabhängig davon, wie die Mächtigsten dieser Welt seinen Willen und seine Schöpfung mit Füßen treten. Die große Herausforderung christlicher Nachfolge ist es, diese Gewissheit zur Maxime des eigenen Handelns zu machen.
Getragen wird eine hier wurzelnde Protestform vom ohnmächtigen Gott am Kreuz.
Das schließt Gewalt- und Machtdemonstrationen als Optionen aus. Stattdessen ermöglicht diese erhoffte Wirklichkeit, die Ohnmacht in den Mittelpunkt zu stellen: Die Ohnmacht derer, die in der Hölle leben – wie auch unsere eigene Ohnmacht, gegen diese Hölle nichts ausrichten zu können.
Getragen wird eine hier wurzelnde Protestform vom ohnmächtigen Gott am Kreuz. Welche Welt wäre möglich, wenn es uns immer mehr gelingen würde, auf diese Ohnmacht transparent zu werden? Welche Räume für Versöhnung wären denkbar, wenn augenscheinlich unversöhnliches Gegenüber nicht in gnadenloses Gegeneinander überschlägt, weil es mir gelingt, in meinem Gegenüber – hinter der Vollvermummung, unter dem Polizeihelm, in Sträflingskleidung, im Porsche etc. – den Menschen zu sehen?
Ich gehe nachdenklich und ohne abschließendes Urteil aus diesen Tagen. Ich weiß nicht, wie ich reagiert hätte, hätte ich jenseits der Barrikade gestanden. Ich weiß nicht wie ich empfinden würde, wenn ich die Gewalt von Polizisten oder Demonstranten am eigenen Leib erfahren hätte. Beides habe ich nicht. Ich habe nur die Rauchschwaden gesehen.
Was von diesem Gipfel bleibt, ist die verbrannte Erde des Schanzenviertels.
Was von diesem Gipfel bleibt, ist die verbrannte Erde des Schanzenviertels. Ich hoffe, die vielen friedlichen und kreativen Protestformen wurden nicht vom Feuer der heraufbeschworenen Hölle verschlungen. Die Aufarbeitung der Ereignisse beginnt jetzt erst. Hierzu werden auch die Erzählungen von denjenigen zählen, die inmitten des Ausnahmezustands Zivilcourage bewiesen haben wie auch von jenen, die im Zentrum von Gewalt und Zerstörung für den Frieden geworben haben. Zu den Punkrockohrwürmern der letzten Tage haben sich stille Gebetszeilen gesellt:
Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens,
dass ich liebe, wo man hasst,
dass ich verzeihe, wo man beleidigt,
dass ich verbinde, wo Streit ist,
dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist,
dass ich den Glauben bringe, wo Zweifel quält,
dass ich die Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält,
dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert,
dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.
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Autor: Gerrit Spallek ist Theologe am Institut für Katholische Theologie der Universität Hamburg und Redaktionsmitglied von feinschwarz.net
Bilder: Jakob Bartz
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[1] https://g20tohell.blackblogs.org/2017/06/28/aktionsbild-fuer-die-internationale-antikapitalistische-demonstration/ [Abgerufen am 09.07.2017]