Isabella Guanzini zu einigen Fragen, die sich bei Maria, der Mutter Jesu, einfach stellen.
Wer war Maria?
Maria war ein unbekanntes, jüdisches Mädchen, von dem damals niemand etwas wusste und von dem wir eigentlich auch heute sehr wenig wissen. Gott hat sich jedoch für Maria als Mutter seines menschgewordenen Sohnes entschieden. Als die Väter des Konzils von Ephesus bestätigten, dass Maria als „Gottesmutter“ verehrt werden sollte, wurde dieses unbekannte Mädchen zu einer Frau, welche die Geschichte nicht mehr vergessen kann.
Wenn man wissen möchte, wer Gott für uns ist, muss man an den Sohn dieses unbekannten Mädchens denken. Man muss daran denken, dass der Körper eines unbekannten Mädchens den geeignetsten Ort darstellte, in dem der „Menschensohn“ Wohnung nehmen konnte. Jedes Mal, wenn ein Kind neu auf diese Welt kommt, darf das nicht vergessen werden.
Die Geburt jedes Kindes erinnert uns an die göttliche Würde der Menschen. Im Neuen Testament finden wir also eine Geburtsgeschichte von überragender Bedeutung, welche die Identität und die Zukunft des Gottesvolkes neu bestimmt. Ihre vertrauensvolle Zustimmung zu diesem geheimnisvollen Erwählt-Werden hat dieses jüdische Mädchen in einen Brennpunkt der Geschichte umgewandelt.
Ihre eigene, selbständige Bejahung zu diesem Ereignis sollte tiefer bedacht werden, da sie über alle patriarchale, also männliche Logik der damaligen Zeit hinausgeht. Es steht uns dabei kein übermannendes Schicksal vor Augen, sondern ein selbstständiger Akt, eine risikobereite und vertrauensvolle Entscheidung.
Aber Maria war außerdem auch eine Prophetin, auch wenn es nicht üblich ist, sie so zu betrachten. Wir können sofort an das „Magnifikat“ (Lk 1,26–56) denken: Hier kann man sehen, dass Maria eine besondere Situationsempfindlichkeit und ein Sensorium für eine vielfach erfahrene sozio-politische Unterwerfung und Ungerechtigkeit zeigt, die sie in einem Lobpreis auf Gott hin ausdrückt. Als Prophetin erkennt sie Gott als den Erlöser der Geschichte, der diejenigen, „die im Herzen voll Hochmut sind“, zerstreut, der die Mächtigen vom Thron stürzt und die Niedrigen erhöht.
Aus der Perspektive ihrer eigenen Position der Fragilität vermag sie die göttlichen Zeichen der Schöpfung und der Befreiung zu erkennen und eine neue Vision der Zukunft zu eröffnen. Ihre besondere Sensibilität für die Zeichen der Erlösung und der Hoffnung, ebenso wie ihre vertrauensvolle Haltung gegenüber dem Handeln Gottes in der Geschichte hat sie allerdings auch einen schwierigen Weg beschreiten lassen – bis hin zum Kreuzweg.
Ist Marienverehrung heute noch zeitgemäß?
Die Figur Maria bezeugt, dass es einen unauflösbaren Bund zwischen Gott und allen „von-einer-Frau-geborenen Menschen“ gibt. Diese weibliche und mütterliche Vermittlung zwischen uns und Gott hat die ganze Geschichte des Volkes Gottes bestimmt und soll immer wieder entdeckt werden: Es geht um eine konkrete Frau (und nicht um einen Mythos des kollektiven Unbewussten), die ohne Verlieblichung, Exhibitionismus und Unterwerfung, aber mit überraschender Schlichtheit und voller Würde ihre außerordentliche Aufgabe erfüllte.
Darüber hinaus war sie eine junge, unsichtbare Frau an der Peripherie der Welt, die im Christentum und im Islam durch die Epochen hindurch eine überragende Stellung bekommen hat. Wir müssen an die unendlichen unsichtbaren Frauen denken, die in den Zentren und an den Randorten unserer Gesellschaften glauben, leben, kämpfen, leiden und Kinder gebären: Maria erinnert uns an diese Frauen, sie wird hier zum Symbol für die unsichtbaren Frauen, die mit ihrem Handeln, Denken und Kämpfen jedes Mal einen neuen Beginn der Geschichte darstellen.
Maria Mutter und Jungfrau?
Nachdem Maria erstaunt aber auch erschüttert den Engel fragt, wie sie schwanger werden sollte, ohne sexuellen Kontakt zu einem Mann zu haben (Lk 1,34), verweist der Engel auf die späte Schwangerschaft der unfruchtbaren und sich schon in vorgerücktem Alter befindlichen Elisabet (wie übrigens auch Sara, die Frau Abrahams), sagend, dass „bei Gott nichts unmöglich“ sei (V. 37).
Hier wird eine außerordentliche Geburtsgeschichte das Zeichen einer anderen prophetischen Ordnung, welche die Machtverhältnisse herauszufordern vermag und eine neue, messianische Zukunft durch die Zustimmung einer Frau zum Ausdruck bringt.
Unsere Gegenwart hat jedoch große Probleme mit den Wundern (und mit der Vision der Zukunft im Allgemeinen). Ich möchte mit Christa Wolff antworten: „Sogar auf Wunder gefaßt zu sein, hatten wir verlernt. Wir hoffen im Gegenteil auf den Bestand der Zufälle. (…) Wenn es Wunder gab, war dies eins, aber die rechte Art, es aufzunehmen, war uns auch abhanden gekommen. Wir ahnten kaum, dass man einem Wunder anders als mit halben Sätzen, mit spöttischen Blicken gegenübertreten kann.“
Was ist mir an Maria besonders wichtig?
Zwei Elemente sind es: „Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach“ (Lk 2,19). An erster Stelle möchte ich bei Maria nicht die Dimension des Schweigens, sondern die Kraft des Bewahrens und des Nachdenkens betonen. Maria wird als eine Frau dargestellt, die über die Dinge nachgedacht hat und sich ihrer angenommen hat.
Marias Spiritualität besteht nicht darin, dass sie die Augen vor den Dingen und den Geschehnissen der alltäglichen Welt verschloss, sondern hier stehen wir vor einer „Mystik der offenen Augen“: Wir erfahren von ihr einen sensiblen und wachsamen Blick auf ihren Sohn und auf die konkreten Gegebenheiten des Alltäglichen, der jedoch nie ohne die Sorge und die Unruhe einer Mutter sind.
Das andere Element finde ich in der Erzählung von der Hochzeit in Kana. „Seine Mutter sagte zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut!“ (Joh 2,5). In beiden Fällen steht im Zentrum das tiefe Verhältnis zwischen Maria und Jesus. Auch für den Menschensohn wird also die kluge und wachsame Nähe seiner Mutter entscheidend gewesen sein.
Isabella Guanzini ist Professorin für Fundamentaltheologie in Graz.
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