Wie wird es mit dem ruandischen Friedens- und Versöhnungsprozess nach dem Genozid von 1994 weitergehen? Katharina Peetz kehrt zu einem Forschungsaufenthalt nach Ruanda zurück und findet sich im Wahlkampf von Paul Kagame wieder.
Paul Kagame wird wiedergewählt
Im Juli 2017 kehrte ich nach Ruanda zurück, um dort erneut mit Überlebenden und Täter*innen des ruandischen Genozids über ihre Vorstellungen von Gott, Jesus Christus, Versöhnung und Vergebung zu sprechen. Bereits kurz nach meiner Ankunft merkte ich, dass sich das Land intensiv auf die anstehenden Präsidentschaftswahlen vorbereitete. Die ruandische Verfassung, die nur zwei Amtszeiten für den Staatspräsidenten vorsah, wurde 2015 per Referendum geändert, um die Wiederwahl des Amtsinhabers Paul Kagame zu ermöglichen [1] (eine Praxis, für die das nachkoloniale Afrika nur allzu bekannt ist).
Für mich als Muzungu (Weißer) waren die Wahlvorbereitungen sehr präsent: Das Militär war im öffentlichen Raum noch einmal deutlich präsenter als sonst ohnehin schon. Busse, in denen ich fuhr, wurden angehalten und durchsucht. Im Radio liefen Wahlkampfschlager für Kagame (z.B. Tora Paul Kagame – Wähle Paul Kagame). Autos waren mit Bannern der Regierungspartei RPF (Ruandische Patriotische Front) beklebt.
Der Präsident kommt zum Wahlkampf, die Messe fällt aus.
Während im kleinen und beschaulichen Butare mein Alltag zunächst wie gewohnt verlieft, entdeckte ich am 14. Juli blau-weiß-rote Bänder und Fahnen, die entlang der Hauptstraße aufgestellt waren. Auch in meinem Viertel waren viele Tore und sogar Palmen in diesen Farben geschmückt. Dass dies nichts mit dem französischen Nationalfeiertag zu tun haben konnte, war mir schnell klar. Gespräche mit Nachbarn ergaben, dass der Präsident an diesem Wochenende zum Wahlkampf nach Butare kommen sollte. Sonntags fiel dann die französischsprachige Messe aus, die ich sonst in der Kirche St. Therese besuche, offenbar wegen der Wahlkampfveranstaltung. Zudem waren (anders als an gewöhnlichen Sonntagen) fast alle Geschäfte geschlossen. Es schien, als sei ganz Butare im Stadion versammelt, um die Ansprache des Präsidenten zu hören.
Der wohl eindrücklichste Moment im Wahlkampf war der Tag, bevor ich nach Uganda reiste. Als ich am Busbahnhof Nyabogogo in Kigali ankam, wunderte mich zunächst, dass der sonst so lebendige und von Reisenden, hupenden Bussen, Motorrädern, Verkäufern und Tagedieben wimmelnde große Platz fast menschenleer war. Doch am Randes des Platzes, wo üblicherweise die Motorrad-Taxis stehen standen Menschen dicht an dicht gedrängt – so als würden sie auf etwas warten. Ich wollte mir gerade ein Motorrad-Taxi nach Kiyovu nehmen, wo mein kirchliches Gästehaus liegt, als plötzlich Polizisten aufmarschierten und uns signalisierten, dass wir alle enger zusammenrücken sollten.
Ich fragte meinen Moto-Fahrer, warum wir nicht fahren könnten und wie lange das dauern würde. „Der Präsident kommt“ – meinte er. Es war für mich ein angespanntes, zähes Warten. Nach ca. 15 Minuten fuhren dann gepanzerte Limousinen und Militärfahrzeuge vorbei – in einer saß wohl Präsident Kagame. Es fühlte sich für mich befreiend an, als wir endlich losfahren konnten und sich die unzähligen Busse, Lastwagen, Moto-Taxis und Fußgänger die große Straße am Nyabogogo-Busbahnhof in einem pulsierenden Gemisch von Hupen, Schreien und Quietschen zurückeroberten.
Ruanda: ein politisierter Kontext, in dem die Regierung soziopolitische Diskurse und Menschen kontrolliert.
Während der Wahl am 4. August 2017 war ich nicht in Ruanda, sondern habe Uganda besucht. Es war spannend, die Perspektiven meiner ugandischen Freunde auf Ruanda wahrzunehmen. Viele mit denen ich sprach, hielten Ruanda zwar für ein sicheres Land, wollten aber selbst dort nicht leben. „Ruanda ist kein freies Land, die Menschen dort werden überwacht“ – so lautete die allgemeine Einschätzung. Tatsächlich habe ich im Rahmen meiner Feldforschung immer wieder gemerkt, dass ich einem politisierten Kontext forsche, in dem die Regierung soziopolitische Diskurse und Menschen kontrolliert. So waren beispielsweise ein apostolischer Pastor und ein katholischer Überlebender im Raum Butare nicht bereit, mit mir zu sprechen, weil ich „nur“ eine Forschungserlaubnis des Vorsitzenden der Ruandischen Bischofskonferenz, Philippe Rukamba, und nicht der regierungsnahen Nationalen Einheits- und Versöhnungskommission vorweisen konnte. Mein Dolmetscher ist zudem der Überzeugung, dass unsere Aktivitäten vor Ort im Nachhinein überprüft werden.
Paul Kagame wurde jedenfalls mit 98% der Stimmen wiedergewählt und im Land blieb – im Gegensatz etwa zu Kenia, dass nach den letzten Präsidentschaftswahlen heftige Unruhen erlebte – alles ruhig.
Nationale Einheit als Voraussetzung von Versöhnung
Nach den Wahlen stellt sich für mich die Frage, wie es mit dem ruandischen Friedens- und Versöhnungsprozess langfristig weitergehen wird. Es gibt Menschen in Ruanda, die von sich selbst sagen, dass sie sich miteinander versöhnt haben. Theologische Überzeugungen sind für Menschen dabei sehr oft ein Antrieb dafür, um Vergebung zu bitten und Vergebung zu gewähren. Versöhnung meint für sie, wieder miteinander Alltag und Leben teilen zu können.
Ethnische Identität soll durch nationale Identität ersetzt werden.
Aber ich sehe auch den Unterschied zwischen einem stabilen Land, in dem Sicherheit durch hohe Militärpräsenz und permanente Kontrollen aufrechterhalten wird, und einem dauerhaft friedlichen Land. Ich denke, dass die Versöhnungsstrategie der Regierung durch einen Demokratisierungsprozess ergänzt werden muss, wenn ihr Ziel tatsächlich in einer dauerhaften Befriedung des Landes liegt. Zentrale politische Slogans der ruandischen Regierung sind „Ich bin ein Ruander” (Ndi umunyarwanda) sowie „Einheit und Versöhnung“ (ubumwe n’ubwiyunge). Im postgenozidalen Ruanda soll mit Hilfe dieser Slogans ethnische Identität, die im Genozid von 1994 die wesentliche Konfliktlinie bildete, durch nationale Identität ersetzt werden. Demnach gilt nationale Einheit als wesentliche Voraussetzung von Versöhnung. [2]
Doch dieser Diskurs wird – so mein Eindruck – in Ruanda nicht durch Demokratisierung sowie eine gerechte Verteilung von (politischer) Macht und Ressourcen begleitet. Er läuft daher Gefahr, von der Hutu-Mehrheit Ruandas nicht wirklich akzeptiert zu werden. Wie es Sebastian Silva-Leander treffend formuliert: The longer the country puts off necessary democratic reform for fear of upsetting stability, the greater the risk of a rejection of government policies by the population and of a renewed manipulation of ethnicity in the future. [3]
___
Katharina Peetz ist Theologin und arbeitet an einem Forschungsprojekt zu „Gelebter Theologie“ am Beispiel Ruandas. Für dieses Vorhaben hat sie bereits mehrere Monate im Land verbracht und ist auch von Juli bis Oktober 2017 wieder vor Ort.
Bild: cc Fanny Schertzer (Creativ Commons)
___
[1] Vgl. Dagmar Dehmer, Völkermord in Ruanda – 20 Jahre danach. „Sag‘ es doch Kagame“, in: tagesspiegel.de vom 7.4.2017, online unter: http://www.tagesspiegel.de/politik/voelkermord-in-ruanda-20-jahre-danach-sag-es-doch-kagame/9722232-all.html, Zugriff am 11.09.2017.
[2] Vgl. James Jay Carney, A Generation After Genocide: Catholic Reconciliation in Rwanda. Theological Studies 76.4 (2015), 785-812, hier 791-793.
[3] Sebastian Silva-Leander, On the Danger and Necessity of Democratisation: trade-offs between short-term stability and long-term peace in post-genocide Rwanda. Third World Quarterly, 29.8 (2008), 1601-1620, hier 1601.
___
Bereits bei feinschwarz.net von Katharina Peetz erschienen:
Nostra Culpa: Vergebungsbitte der Katholischen Kirche in Ruanda