Dieser Text ist seit längerem geplant. Nach dem Anschlag von Berlin ist er dringlicher denn je. Es geht um die Weihnachtsbotschaft, heute, konkret. Von Helga Kohler-Spiegel.
Täglich sehen wir Menschen, die vor dem Krieg und der Zerstörung flüchten, die in Europa, die bei uns Schutz und Sicherheit suchen. Wir feiern heuer Weihnachten wie damals zur Zeit Jesu: Menschen müssen ihre Heimat verlassen, weil sie dort nicht leben können, Menschen brauchen „Herberge“. Wir erinnern, wie Jesus in die Welt kam, weg von Zuhause, abhängig davon, dass jemand wenigstens einen Stall zur Verfügung stellt. Täglich sehen wir Bilder von Krieg, Zerstörung und Gewalt, wir sehen Bilder von Flucht, vom Sterben und vom Überleben. Und dann die Weihnachtsbotschaft: „Ängstigt euch nicht. Friede.“ Es klingt wie Hohn: „Ängstigt euch nicht. Friede.“ Mehr als sonst beschäftigt mich heuer die Botschaft zu Weihnachten.
Vielleicht können Sie vorweg diesen bekannten Text des Weihnachtsevangeliums bewusst lesen: Lukasevangelium 2, 1-20. Vielleicht haben Sie sogar zwei verschiedene Bibelausgaben, die den Text unterschiedlich übersetzen. Ich habe im Folgenden bei den Bibelzitaten die Übersetzung von Fridolin Stier verwendet.Drei Abschnitte, drei Szenen bestimmen diesen Text.
Erstens: Die Welt ist so, wie sie ist
Der erste Abschnitt (Vers 1-7) beschreibt die Welt, wie sie ist. Es gibt Menschen, die Macht haben, die andere dazu zwingen können, zu einem bestimmten Zeitpunkt auf den Weg zu gehen, an dem sie nie freiwillig von Zuhause weggehen würden, es gibt Macht und Herrschaft und auch Gewalt.„Es geschah in jenen Tagen: Eine Verfügung ging von Kaiser Augustus aus, die ganze bewohnte Welt aufzuschreiben.“ (Lk 2, 1)In dieser Welt gibt es ein junges Paar, das sein erstes Baby erwartet, sie wären gerne zuhause, in der sicheren Umgebung. Aber die Machthabenden und ihre Gesetze verunmöglichen das. Die erste Szene: Die Welt, wie sie ist – damals wie heute.„Da geschah es: Während ihres Dortseins erfüllten sich die Tage ihres Gebärens. Und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen, und sie wickelte ihn und legte ihn in einen Futtertrog, weil in der Herberge kein Platz für sie war.“ (Lk 2, 6-7)
Zweitens: In dieser Welt gibt es auch eine andere Botschaft. Und ein „Zeichen“.
Zweite Szene (Vers 8-14): Ein Zeichen. In dieser Welt, die so ist, wie sie ist, gibt es Zeichen – für die, die diese Zeichen hören und sehen können. Engel sind in der Bibel „die sichtbare Seite Gottes“, denn Gott selbst kann der Mensch nicht sehen. Also Engel, „die sichtbare Seite Gottes“, sind die Stimme Gottes, sie verkünden eine andere Botschaft: Sie sprechen nicht von Gewalt und Macht und Herrschaft, sondern von Heil und Freude und Frieden.„Und der Engel sprach zu ihnen: Ängstet euch nicht! Denn da! Heilbotschaft bringe ich euch – große Freude, die dem ganzen Volk widerfahren wird: Ein Retter ward euch heute geboren…“ (Lk 2, 10-11)
Diese Botschaft mag schon damals „unrealistisch“ geklungen haben. Aber es gibt ein Zeichen für diese Botschaft: ein Kind, ein Neugeborenes. Ein eigenartiges, weil so alltägliches Zeichen. Denn alle Sekunden kommen Babys zur Welt. Was also soll das für ein Zeichen sein? Soll das ein Zeichen für Frieden sein?„Und dies sei euch das Zeichen: Ein Neugeborenes werdet ihr finden, das gewickelt ist und in einem Futtertrog liegt.“ (Lk 2, 12)
Drittens: Es braucht Menschen, die hinhören und sich aufmachen…
Dritte Szene (Vers 15-20): Es gibt Menschen, die diese Botschaft hören und das Zeichen sehen wollen. Denn es ist schon eigenwillig zu sagen: Ich habe gehört, da gibt es ein neugeborenes Baby. Das ist ein Zeichen dafür, dass sich die Welt verändern wird.„Und es geschah: Als die Engel von ihnen zum Himmel weggegangen, sagten die Hirten zueinander: Gehen wir nach Betlehem hinüber und sehen dieses Wort, das Geschehnis, das der Herr uns kundgetan.“ (Lk 2, 15) Die Hirten, die Menschen am Rande der Gesellschaft, verstehen das „Zeichen“: Die Welt wird durch ein Neugeborenes nicht anders.
Der erste Abschnitt des Weihnachtsevangeliums bleibt richtig: Unsere Welt funktioniert nach den Spielregeln von Herrschaft, von Macht und Gewalt, von oben und unten. Und doch – es gibt eine Botschaft – genau in diese Welt hinein: Friede, Freude, Heil. Als Zeichen kann uns ein Baby dienen, ein Neugeborenes – hier und heute sowie damals in der Krippe.Erwachsen geworden wird Jesus immer wieder den Menschen diese frohmachende Botschaft verkünden, er wird die Menschen einladen, seinem Handeln zu folgen und es ihm gleich zu tun, so zu leben und zu handeln wie er. Nach der grausamen Ermordung Jesu ist der erste Gruß, die erste Botschaft des Auferstandenen im Johannesevangelium 20, 19 u.ö.: Ängstet euch nicht. Und: Friede. Schalom.
Viertens: Für uns heute.
Immer wieder fasziniert mich: Es gibt so viele Gründe, auf der Welt Angst zu haben. So vieles ist unsicher, so viel Leid, so viel Leben ist bedroht, damals wie heute. Die Botschaft am Beginn des Lebens Jesu und nach seinem Tod heißt vielleicht gerade deshalb so klar: „Ängstet euch nicht.“ Und: „Friede.“ Für diese Botschaft braucht es Zeichen, ein Neugeborenes oder andere Menschen, die Mut machen, die Hoffnung geben, die diese Botschaft zu leben versuchen, ganz konkret: „Ängstet euch nicht.“ Und: „Friede.“ Vielleicht ist dann ein wenig „Weihnachten“. Ich wünsche es mir…
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Erstveröffentlichung in: „Dein Wort – mein Weg. Zeitschrift für Bibel im Alltag, 9. Jahrgang, Heft 1/2016, 13-15.
Helga Kohler-Spiegel ist Professorin für Pädagogische Psychologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg und Redakteurin von feinschwarz.net.