Kleider machen Leute. Auch in der Kirche, offensichtlich. Was aber, wenn diese Leute mit ihren Kleidern anderen etwas beibringen wollen? Der Moraltheologe Rudolf B. Hein rekonstruiert einen verwegenen Anspruch.
Digitale Leser sind experimentierfreudig, denke ich oft. Sie klicken sich gern an ein Thema heran. Also dann: Bereit für ein ästhetisches Wagnis? Ein kurzes, mutiges Atemholen und los geht’s. Ich gebe den Namen „Raymond Card. Burke“ (sic) in meine Lieblingssuchmaschine ein und klicke zaghaft den Reiter „Bilder“.
In Millisekunden ergießt sich über den Bildschirm ein Meer aus Spitzen, Hermelinfell und scharlachrotem Seidendamast. Kleidungsstücke, die man allenfalls in Historienfilmen zum Lutherjubiläum vermuten würde, feiern auf dem Bildschirm fröhliche liturgische Urstände. Dann, etwas weiter unten, mein persönliches Highlight: Auf dem halslosen Kopf des Gesuchten thront der flache, breitkrempige Galero, mitsamt seiner Quastenpracht. Ein Zeremonialhut, der mir vorher auf klerikalen Wappen begegnet war, präsentiert sich hier in voller Pracht vor dem spießigen Hintergrund eines bürgerlichen Wohnzimmers.
Vielleicht brauche ich nun therapeutische Hilfe, denn solche Bilder können verwirren, verstören – aber wen sollten sie betören?
Wie auch immer, eines bleibt bei diesem Experiment festzuhalten: Wenn es einen textilen Inbegriff von dem gibt, was man landläufig „Klerikalismus“ nennt, dann wohl diesen.
Klerikales Upskirting
Versuchen wir nun, ein wenig tiefer einzusteigen, eine Art klerikales Upskirting zu unternehmen.[1] Werfen wir gemeinsam einen hermeneutischen Blick unter jene Seidentaftstoffe und Spitzenrochetts, die zum Erkennungszeichen einer ästhetisch wie ethisch sehr dominant auftretenden Minderheit innerhalb der Katholischen Kirche geworden ist. Damit wäre auch gleichzeitig die eigene Motivation als Ethiker, nicht als Kostümhistoriker oder Soziologe beschrieben. Dazu möchte ich zunächst einen narrativ-ethischen Ansatz wählen.
So beginnt meine Geschichte mit dem „Wir-sind-Papst!“-Augenblick. Versetzen wir uns in die Szene hinein: Am 19.4.2005 tritt ein gewisser Joseph Ratzinger mit weißer, vorgeschneiderter Soutane (von Gamarelli) eher zögerlich auf einen Balkon am Petersplatz und offenbart der jubelnden Menge mit seinen eher abwehrend ausgestreckten Armen nicht nur das Ergebnis des Konklaves, sondern auch seinen schwarzen Professorenpulli. Textile Unbeholfenheit, könnte man schlussfolgern – vielleicht sogar eine gewollte Nachlässigkeit?
Niemand würde sich mit dem jüngsten Film zu B XVI („Verteidiger des Glaubens“) fragen, inwiefern sich schon hier ein besonderes Verhältnis zu papaler Macht offenbart – sondern eher das Gegenteil vermuten.
Hermeneutik der Kontinuität
Doch es sollte anders kommen. Am Tag nach der Amtseinführung enthüllen die Pressebilder ein sartoriales, gleichwohl durch die papale Tradition abgedecktes Detail. Es sollte später zum vielfach beachteten, medial totgetretenen Markenzeichen dieses Pontifex werden: Die roten Schuhe. Auch hier: an sich nichts Ungewöhnliches.
Doch wer genau hinschaute – und genau das taten seine glühenden Anhänger der „Generation Benedikt“ sehr wohl und zwar mit großer Sachkenntnis –, der bemerkte eine gekonnte farbliche Harmonie: Das leuchtend-scharlachrote, von nun an beständig getragene Seidenmozett erschien später im Ton genau auf die Maßschuhe abgestimmt.
Diese offensive Rückkehr zur Farbe Rot muss als Bekenntnis gelesen werden. Nein, nicht so sehr als Bekenntnis zu einem verquerten Blutzeugen-Ideal (der Papst watet gleichsam im Blut der Märtyrer), wie es G. Gänswein darzustellen versuchte, sondern als Bekenntnis zur imperialen Macht des Papsttums. Seit dem 11. Jh. wurde der rote Mantel, die cappa rubea (und nicht etwa die Tiara oder das Pallium), zum eigentlichen Ausweis und Erkennungszeichen päpstlicher Würde und Macht.
Als Begründung produzierte man damals die Fake-News der sog. Konstantinischen Schenkung. Kein Wunder also, dass Benedikt für sein päpstliches Pallium rote Kreuze und keine schwarzen (wie etwa Johannes Paul II.) wählte. Überall zeigten sich an seiner äußeren Erscheinung diese subtilen Ausdrucksformen einer feinsinnig inszenierten Ästhetik der Macht. Sie dienten als verschlüsselte semiotische Hinweise auf die eigentliche Botschaft, die sich hinter jenen funkelnden Brustkreuzen (von denen er im Laufe seines Pontifikates über 40 verschiedene trug), raschelnden Seidentaftstoffen, goldgewirkten Wappen und der imperial-goldenen Ferula Pius IX. (Hirtenstab in Form eines Kreuzes) verbarg: Eine Hermeneutik päpstlicher Kontinuität.
Benedikts zweiter Zeremoniar Guido Marini fasste diesen Gedanken nüchtern zusammen:
„Die Hermeneutik der Kontinuität ist immer das richtige Kriterium, um den Weg der Kirche in der Zeit zu deuten. Das gilt auch für die Liturgie. Ein Papst zitiert in seinen Dokumenten seine Vorgänger, um so die Kontinuität des Lehramtes aufzuzeigen. Ebenso verwendet ein Papst im liturgischen Bereich liturgische Gewänder und Geräte seiner Vorgänger, um dieselbe Kontinuität auch in der ‚lex orandi‘ anzudeuten.“[2]
Sicherlich, Benedikt zitiert seine Vorgänger – doch welche? Und in welcher Form? Es fällt nicht schwer, im Verlauf seines Pontifikates eine höchst subjektive Linie zu entdecken: Der Griff in die papale Mottenkiste war keineswegs nur einer beliebigen Zitationsfreudigkeit geschuldet, er blendete in seiner liturgischen Ästhetik gezielt die Entwicklungen des 2. Vatikanums aus. Theologische, liturgische und damit auch textile Hermeneutik treffen und durchdringen sich an dieser Stelle. Doch das ist längst nicht alles.
Glanz der Wahrheit
Das Ziel dieser Selbstdarstellung war also weder pure Eitelkeit oder eine Art plumpes klerikales Reenactment glanzvoller Tage papaler Pracht. Auch wenn es sich manchmal so ausnahm, Benedikt hat nicht als Wiedergeburt eines Barockpapstes wirken wollen. Ihm ging es vielmehr darum, sein Herzensanliegen textil zu umrahmen, das Erziehungsprogramm zur Reform der (Liturgie)Reform. Das ethische Element darin: Die Schau des Schönen sollte die Eingeweihten auch zur sittlichen Besserung führen. Ästhetik drängt in die ethische Erneuerung hinein.
Genau an dieser Stelle begegnet uns erneut Raymond Burke, der zur Liturgie Benedikts XVI. schreibt:
„Zugleich soll die Heiligkeit der Göttlichen Liturgie, die nichts Geringeres als das Wirken des verherrlichten Christus in unserer Mitte ist, gleichermaßen das Gesetz des Lebens (legem vivendi) bestimmen. Die Wahrheit der unersetzlichen, konstitutiven Beziehung der heiligen Liturgie zum Dogma und zur Moral wird negativ in der herrschenden lehrmäßigen und moralischen Verwirrung und dem Irrtum unserer Zeit erkennbar, die wiederum, wie mir scheint, großteils auf die verwirrende und falsche Durchführung der von der Lehre des Ökumenischen zweiten Vatikanischen Konzils geforderten Liturgiereform zurückzuführen sind.“[3]
Ein Gedanke tritt hier (neben anderen) klar hervor: Wer eine solche prächtige Liturgie feiert, der kann im Leben davon nicht unberührt bleiben – lex orandi, lex credendi und lex vivendi gehen Hand in Hand. Soweit die Theorie: Die vielbeschworene „Hermeneutik der Kontinuität“ im Hinblick auf die Konzilsrezeption würde dann auch eine ethische Dimension umfassen, die hinaufreicht zu ewigen sittlichen Wahrheiten.
Von hier ist es nur noch ein kleiner Schritt, mit Hans Urs von Balthasar von einem „Glanz der Herrlichkeit“ zu träumen, der in eben jener Pracht ruht und auf den Schöpfer und seine (sittliche) Ordnung verweist. Das Eine, Wahre, Gute ist eben immer auch das Schöne.
Ethik kann in diesem Sinne also letztlich nur als Vernehmen, Annahme und Anbetung dieses sich offenbarenden majestätischen Glanzes der Ordnung begriffen werden. Man könnte auch überspitzt sagen: „Veritatis Splendor“ (Moralenzyklika von 1993) in geklöppelte Falten gelegt.
„Stöffchenfraktion“ oder Illuminati?
Was macht ein solches Denken eigentlich attraktiv für jene jungen, schwarzberockten Männer, die unter der Hand Adressen von Seidenmoiree- und Paspelschnurlieferanten austauschen? Es ist die zutiefst beruhigende und rückversichernde Gewissheit, zu einer kleinen Elite der Verständigen und Eingeweihten zu zählen, die sich gleichzeitig auf der Seite des Guten wähnen dürfen.
Die stets virulente Frage nach Identität wird innerhalb eines klerikalen Dresscodes beantwortet, der arkane Züge trägt, den „man“ (und erst recht „frau“) nicht verstehen kann und soll. Die „böse“ Welt da draußen ist allenfalls eingeladen, sich von jener textilen Pracht stumm faszinieren zu lassen. Wählt sie den Weg über säkulare Deutungsmuster („Prada-Papst“, „Stöffchenfraktion“), erntet sie von den „Illuminati“ allenfalls ein unverständiges Kopfschütteln: Rot ist eben die Farbe des papal-imperialen Machtanspruchs, nicht die eines Modetrends im Herbst 2007.
Es scheint wohl inneren Trost zu spenden, sich dieser Selbstvergewisserung moralischer und institutioneller Überlegenheit hinzugeben und damit zugleich auch ein Reenactment der „guten alten katholischen Welt“ des 19. Jahrhunderts zu goutieren. Textilästhetik, die sich durch ihre großen Vorbilder auf der Seite von Wahrheit und Moralität weiß – gibt es einen besseren Kitt für die Gruppenidentität des Klerikalismus?
Fazit
Wer sich mithilfe von klerikaler Kleidung in eine Zeit und ein System sittlicher Gewissheit zurückträumt, riskiert dabei ganz bewusst, von den anderen nicht mehr verstanden zu werden. Von hier aus betrachtet, ist vom „Glanz der Herrlichkeit“ nicht viel mehr übrig als ein persönliches Geschmäckle. Eine klare „Hermeneutik der Kontinuität“ existiert da nicht, sie verschwimmt in den subjektiven Präferenzen der Konzilsintepretation. Und die ethische Frage, ob ein solches textilästhetisches Erziehungsprogramm tatsächlich zur sittlichen Besserung des Einzelnen führt, möge man bitte am scharlachroten Beispiel R. Card. Burke selbst verifizieren. Viel Spaß beim Googlen!
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Rudolf B. Hein O.Praem ist Professor für Moraltheologie an der PTh Münster.
Beitragsbild: © Stefano Spaziani [Ausschnitt]
[1] Eine ausführlichere Version des Beitrags findet sich bei: Rudolf B. Hein, Veritatis Splendor – Ästhetisch-ethische Schlaglichter auf die textile Hermeneutik Benedikts XVI., in: Möllenbeck, Thomas / Schulte, Ludger (Hgg.), Präsenz. Zum Verhältnis von Kunst und Spiritualität, Münster 2019, 289-313.
[2] Guido Marini, Das päpstliche Pallium zwischen Kontinuität und Entwicklung, in: L‘Osservatore Romano (dt. Ausgabe) Nr. 28 v. 11.7.2008, 5.
[3] Raymond L. Burke, Papst Benedikt XVI. und die Liturgie, in Manfred Hauke (Hg.), Papst Benedikt XVI. und die Liturgie, Regensburg 2014, 227-237, hier: 227-228. In einem Interview im Juli 2013 mahnt er (Link: zenit.org): „There’s no question in my mind that the abuses in the sacred liturgy to some kind of human activity, is strictly correlated with a lot of moral corruption and with a levity in catechesis that has been shocking and has left generations of Catholics ill prepared with the challenges of our time.“