Zum Ende der Weihnachtszeit an diesem Wochenende blickt Maria Elisabeth Aigner zurück. Über das Geben und warum das Holz der Krippe immer auch das Holz des Kreuzes ist.
Der Gedanke keimt Anfang Dezember auf, der Entschluss, heuer, zu Weihnachten, keine Geschenke zu kaufen. In einem Brief an mir nahestehende Menschen bitte ich, auch mir nichts zu schenken. Ich denke an Afrika. Die Kluft zwischen meinem Wohlstand und den täglichen Existenzkämpfen meiner FreundInnen auf der südlichen Erdhalbkugel zerreißt mich innerlich. Wer etwas geben will, möge es in Form einer Spende für Afrika tun.
Einmal keine Geschenke
In meinem Schreiben lenke ich den Blick einleitend auf die Adventstimmung im Trubel der Stadt. Ich mag diese Stimmung. Ich liebe das Glitzern und Funkeln in den Gassen, die Kerzen, den Punschduft, das bunte Treiben. Am schönsten ist es, wenn ich selber nichts erledigen muss, alles vorbeiziehen lassen kann, wenn ich es schaffe, das, was mir entgegenkommt, aufzunehmen, um es sogleich wieder ziehen zu lassen.
Heuer ist es anders. Heuer meide ich die Stadt. Ich mag es, zu Hause zu sitzen und in eine Kerze zu blicken, oder der Stille zu lauschen, wenn ich durch die Wälder in meiner Umgebung streife. Heuer mag ich nichts schenken. Als ich einer Kollegin von meinem Brief erzähle, sagt sie: „Mutig – hast du schon Reaktionen bekommen?“ Als ich sie frage, was ihrer Meinung nach mutig an einem solchen Schreiben sein soll, entgegnet sie, dass ich mich mit einem solchen Brief wohl gegen die Tradition stelle.
Die Tage vergehen. Einige Briefe sind postalisch verschickt, mit weißem Salbei und getrockneten Rosenknospen im Kuvert. Andere Briefe werden elektronisch versandt. Schweigen. Dann eine erste Reaktion am 8. Dezember. Eine Freundin schreibt ein langes E-Mail. Sie empfinde den Brief eine Herausforderung und auch eine Grenzüberschreitung. Ich würde mit meiner Bitte über das Geschenk meines Gegenübers verfügen wollen. Das sei ein Übergriff. Ob ich denn in Zukunft alle meine Geschenke als Afrika-Spende möchte und man mir zukünftig nichts mehr schenken dürfe? Ihr Schreiben beinhaltet eine Analyse, die Logik hat. Ich bleibe ratlos in meinem emotionalen Chaos zurück.
Am nächsten Morgen telefonieren wir ausführlich. Sie landet bei ihren biografischen Missbrauchserfahrungen, ich bei der Frage, ob ich naiv war. Was sind Geschenke eigentlich? Wann sind sie stimmig, beglückend, wann lästig, überflüssig? Darf man sie abwehren? Wann freuen wir uns so richtig, wie früher als Kind? Dürfen wir uns noch wie ein Kind freuen? Wann nicken wir höflich und bedanken uns, obwohl wir mit der Gabe gar nichts anfangen können?
Was das Gegenüber mit meinem Geschenk macht, ist seine Sache.
Die TherapeutInnen predigen, dass die Verfügungsgewalt über das Geschenk die Gebende verlässt, sobald sie es losgelassen hat. Was mein Gegenüber mit meinem Geschenk macht, ist seine Sache. Und wenn die Person es in den Mistkübel wirft, ist das ihr gutes Recht. Aber sind alle Geschenke anzunehmen? Das morgendliche freundschaftliche Gespräch über das Schenken nimmt eine Wende, als mein Gegenüber mir sagt: „Das größte Geschenk, das du mir gemacht hast, war, dass du mich bei meinem Jobwechsel unterstützt hast.“ Vielleicht schenken wir unserem Gegenüber dann etwas Kostbares, wenn es ihm oder ihr dazu verhilft, sich selbst zu entdecken, Freiheit zu gewinnen. Geschenke als Gabe zur Menschwerdung.
„Consumo ergo sum“ lese ich einige Tage später in einer Tageszeitung. Ein Philosoph macht sich auch Gedanken über den vorweihnachtlichen Konsumrausch. Brauchen wir hierzulande das Konsumieren, um uns selber zu spüren, um das Gefühl zu haben, in Bewegung zu bleiben, oder schlichtweg um zu existieren? Wie ist es möglich, diese Dinge überhaupt zur Sprache zu bringen, ohne alles, was mit Weihnachten zu tun hat, in Bausch und Bogen abzuwerten und in einen lähmenden Kulturpessimismus zu verfallen?
Ich stoße auf Unverständnis. Dono ergo sum. Es gibt welche, die geben, damit sie sich selber wahrnehmen und spüren können. Geben schenkt Aufmerksamkeit, Bewunderung, Anerkennung. Geben gibt Macht. Macht macht abhängig. Etliche meiner Briefe bleiben ohne jegliche Reaktion.
Wieder ein E-Mail. Ein langer Austausch über meine Erfahrungen in Afrika folgt. Es ist etwas in Bewegung gekommen, ein Prozess ist losgetreten – in mir und bei meinem Gegenüber. Theodizee-Fragen, Glaubensfragen, Zerrissenheit, Sinnfragen. Dankbarkeit darüber, dass wir hierzulande leben dürfen: in Frieden und Freiheit, in einer Demokratie, mit Essen, Kleidung, Bildung, Kultur. Meine Brüder und Schwestern in Afrika haben oft nicht einmal ein Zehntel von alledem.
Was hat es mit diesem Weihnachten auf sich, dass so viele Menschen so sensitiv auf diese Zeit und diese Tage reagieren? Das traute Heim, die Familie, Ochs, Esel, Stall, Mutter, Vater, Kind. „Ich kann es nicht mehr hören“, sagt ein Freund. Ich kann ihn gut verstehen. Die Idylle ist eine scheinheilige, die durch die Weihnachtsästhetik in die Höhe getriebenen Ideale lassen genug Menschen allein und traurig zurück und zwingen sie, emotionale Mauern der Distanz zu errichten. Vom Dreck im Stall von Bethlehem wird kaum gesprochen. Aber in einem Stall ist es dreckig und der Dreck ist da, auch zu Weihnachten. Und manches Mal ist die Dunkelheit so stark, dass ein Aufflackern des Sternes kaum wahrnehmbar ist.
Was hat es mit diesem Weihnachten auf sich, dass so viele Menschen so sensitiv auf diese Tage reagieren?
Weihnachten setzt uns womöglich nicht nur deshalb so zu, weil es uns wiederkehrend ein nicht einlösbares Familienideal vor die Nase hält. Es konfrontiert mit der eigenen Kindheitsgeschichte, und damit verbunden mit Hilflosigkeit, Ohnmacht und dem gänzlichen Angewiesen-Sein. Weihnachten erinnert uns daran, dass wir volle Wucht und durch und durch existenziell – nackt, bloß und wimmernd – in diese Welt gefallen sind, und wir mit einem letzten Atemzug diese Welt auch wieder verlassen werden. Dazwischen sind Elend und Fülle verborgen, das Holz der Krippe ist zugleich das Holz des Kreuzes.
Khalil Gibran schreibt in seinem Buch „Der Prophet“ über das Geben: Und es sind derer, die geben und keinen Schmerz beim Geben kennen, weder Freude dabei suchen, noch im Bewußtsein der Tugend schenken. Sie geben, wie drüben im Tale die Myrte ihren Duft in das All haucht. So wie der Duft von Weihrauch zu Weihnachten, denke ich.
Maria Elisabeth Aigner ist Ao.-Univ.-Professorin für Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie in Graz sowie Bibliolog- und Bibliodramatrainerin.
Beitragsbild: Aigner
Von Maria Elisabeth Aigner bisher auf feinschwarz erschienen:
Karibu ndani! Von der Unmöglichkeit, sich der Liebe zu versperren.