Gudula Frieling und Jörg Schreiner klagen, dass die Schere zwischen Reich und Arm zunehmend auseinandergeht, ohne dass daraus politische Konsequenzen gezogen würden. Ihre Forderung: ein alternatives Wirtschafts- und Finanzmodell, das in Richtung Gleichheit und Ernährungssicherheit tendiert.
Zu Beginn dieses Jahres haben Oxfam (im Januar) und der Paritätische Wohlfahrtsverband (im Februar) in ihren Studien auf die zunehmende wirtschaftliche Ungleichheit aufmerksam gemacht. Solche Studien werden in den Medien kurz diskutiert, dann verschwinden sie wieder aus den Schlagzeilen. Es scheint so, als würde Ungleichheit zwar von vielen als ein gravierendes Problem wahrgenommen, gegen das man jedoch nur wenig unternehmen kann. Wir, der Verfasser, die Verfasserin, halten hingegen die zunehmende Ungleichheit für eine wesentliche Ursache der großen sozialen und ökologischen Probleme. Wir sind der Auffassung, dass man sehr wohl etwas dagegen unternehmen kann – vorausgesetzt, eine demokratische Mehrheit gelangt zu der Überzeugung, dass die Etablierung eines Finanz- und Wirtschaftssystems erstrebenswert ist, das eine relativ gleichmäßige Vermögensverteilung überhaupt erst ermöglicht.
Ein Algorithmus ist eine eindeutige Handlungsvorschrift zur Lösung eines Problems oder einer Klasse von Problemen. 1
Reicher wird man also umso leichter, je mehr Vermögen man besitzt, wer wollte das bestreiten? Graphisch lässt sich dieser Prozess als eine sich selbstverstärkende oder auch positiv rückgekoppelte Vermögensverteilung darstellen. Positiv rückgekoppelte Systeme kollabieren mit Sicherheit früher oder später, wenn nicht der Rückkopplungsmechanismus gedämpft wird. Daher gehört die Regel, dass positive Rückkopplungen nur zeitlich begrenzt zugelassen werden dürfen, zum Grundwissen der Ingenieurwissenschaften. Aber genau solche, sich in unregelmäßigen Abständen wiederholende Zusammenbrüche ereignen sich in unserem globalen Wirtschaftssystem ständig irgendwo auf der Welt, unter anderem in Form von Finanzkrisen, Kriegen und Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen.
Die Vision einer Gesellschaft, in der Vermögen einigermaßen gleichmäßig verteilt sind, ist uralt.
Momentan besitzen mindestens 80% der Bevölkerung weniger als ein durchschnittliches Vermögen. Sie profitieren nicht von dieser positiven Rückkopplung, da ihre Vermögensgewinne geringer sind als das, was sie an ökonomischen Renten (wie etwa Zins und Pacht) an die vermögende Minderheit zahlen müssen. 2 Eine selbstregulierende oder auch negativ rückgekoppelte Vermögensverteilung wäre erreicht, wenn das Wachstum der Vermögen immer zum Durchschnitt tendierte. Es wäre dann relativ leicht, innerhalb eines Erwerbslebens zu einem durchschnittlichen Vermögen zu kommen. Die Vision einer Gesellschaft, in der die Vermögen einigermaßen gleichmäßig verteilt sind, ist uralt. „Unter euch soll es keine Armen geben (Dtn 15,4)“, heißt es schon in der hebräischen Bibel. Eine komplexe Sozialgesetzgebung war im Alten Israel darauf ausgerichtet, die Anhäufung großer Reichtümer zu verhindern und zusätzlich – etwa mit Hilfe des Sabbatjahres und des Schuldenerlasses (Nehemia 10,32) – regelmäßig eine Rückverteilung zugunsten der sozial Schwachen vorzunehmen. 3
gänzlich andere Entwicklung in den modernen Gesellschaften
Die modernen Gesellschaften haben freilich eine gänzlich andere Entwicklung genommen. Die Verschuldung großer Teile der Bevölkerung (wie auch der privaten Unternehmen und der öffentlichen Hand) ist im Rahmen des hiesigen Systems zur Normalität geworden. Diese wachsende Verschuldung wird zwar immer wieder skandalisiert und ist aus unserer Sicht hochproblematisch. Dennoch dient sie dem Aufbau von Vermögen und ist so lange von Vorteil, wie ein regelmäßiges Einkommen das Abtragen der Schulden sicherstellt. Auch der gesamtgesellschaftliche Wohlstand beruht wesentlich auf der Fähigkeit des Staates, schuldenfinanziert Investitionen für die Zukunft zu tätigen, wobei das Abtragen dieser Schulden immer weiter in die Zukunft verschoben wird.
Vermögenskonzentration auf der einen und Armut bzw. Schulden auf der anderen Seite sind systemimmanent.
Die logische Folge dieser finanzpolitischen Grundstruktur ist das Auseinanderklaffen der Gesellschaft in Wenige mit einem extrem hohen Vermögen einerseits und eine wachsende Zahl von Menschen andererseits, für die ein Vermögensaufbau aufgrund des geringen Einkommens von vornherein ausgeschlossen ist. Wenn Vermögen „selbsttätig“ Einkünfte generiert und diese Einkünfte erneut dem Vermögen zugeschlagen werden, kann das exponentielle Anwachsen der Vermögen nicht ausbleiben. Es geht einher mit zunehmender Verarmung am anderen Pol, weil nicht das gesamte reale Vermögen einer Volkswirtschaft exponentiell wachsen kann.
Als Ursache dafür wird gemeinhin jedoch nicht primär das finanziell-ökonomische System, sondern die gleichfalls sehr unterschiedliche Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Menschen gesehen. Das heißt, der in einer Leistungsgesellschaft schlimme Verdacht ist schnell gesprochen: Wer wenig besitzt, hat auch wenig geleistet. Mit dem sozialen Abstieg durch Arbeitslosigkeit und Vermögensverlust drohen daher nicht nur materielle Verluste, sondern auch der Verlust an Respekt und – sofern man diese Betrachtungsweise verinnerlicht hat – der Verlust an Selbstachtung. Umgekehrt scheint es so, als würde Reichtum als Anerkennung überdurchschnittlicher Leistung wahrgenommen. Insbesondere bei ererbtem Vermögen ist das natürlich nicht der Fall.
Von den verschiedenen Arten von Vermögen (Staatsanleihen, Aktien, Gold- und Edelmetalle, Immobilien, Land, Patente, Gemälde etc.) bedürfen jene besonderer Aufmerksamkeit, die jede/r benötigt, um ein würdevolles Leben führen zu können. Das sind vor allem Geld, Nutzungsrechte an Boden (mittelbar Wohnraum) und Wissen. Wenn sie aufgrund von Hortungstendenzen und Spekulation knapper und teurer werden, macht dies zuerst den Geringverdiener*innen zu schaffen. Es gibt also gute Gründe, den Wunsch nach einer gleichmäßigeren Vermögensverteilung nicht als Träumerei oder Neid-Debatte abzutun. Dabei geht es sowohl um Gerechtigkeit als auch um wirtschaftliche und damit verbunden um politische Stabilität.
Grundprinzip Menschenwürde – kostenfreie Nutzung der natürlichen Ressourcen
Damit alle Menschen ein würdevolles Leben führen können (GG Art. 1), muss jeder Mensch über die gleichen Nutzungsrechte der natürlichen Ressourcen verfügen. Dass die Güter dieser Erde niemandem als Gott selbst gehören und deshalb von allen genutzt werden dürfen, davon zeugt die Bibel, beispielsweise Psalm 24 4 wie auch die katholische Soziallehre: Das erste Prinzip der Eigentumsordnung sei daher „die Bestimmung der Güter für alle und das Recht auf gemeinsamen Nutzen“. 5 Wie aber soll jeder Mensch Zugang zu einem durchschnittlichen Anteil einer Ressource erhalten? Intendiert ist, dass jede/r einen durchschnittlichen Anteil einer jeden Ressource (Bauland, Wald, Bodenschätze usw.) kostenfrei nutzen darf. Wer mehr als diesen, ihm/ihr zustehenden Durchschnitt beansprucht, muss dafür diejenigen auszahlen, die die Ressource unterdurchschnittlich nutzen. Die Nutzung endlicher Ressourcen muss zudem so eingeschränkt werden, dass sie auch noch späteren Generationen zur Verfügung stehen.
Reformagenda zur Umsetzung dieses menschenrechtlichen Prinzips
Ein paar Eckpunkte für die notwendigen Reformen sollen hier knapp skizziert werden: Zunächst muss der Boden und mit ihm alle Güter, die nur begrenzt zur Verfügung stehen, besteuert werden, während die Bebauung, d. h. die wirtschaftliche Nutzung, steuerfrei bleibt (Bodenwertsteuer). Sodann sollte auch das Bar- und Giralgeld, ebenfalls knappes Gut z. B. von der EZB so ausgestaltet werden, dass es sich nur noch begrenzt zur Hortung eignet: Ein Umlaufimpuls, d. h. eine Gebühr auf die Haltung von Bar- und Giralgeld, lässt das Geld entweder in die Realwirtschaft fließen oder es wird langfristig verliehen. Das wird sich für Sparer*innen lohnen – selbst wenn die Habenverzinsung bei Null Prozent oder sogar darunterliegt, weil alle anderen Anlagen schlechter verzinst oder risikoreicher sind. Der/die einzelne Besitzer*in eines Geldguthabens kann diese Gebühr zwar umgehen, indem er/sie beispielweise sein/ihr Geldvermögen in einer anderen Währung anlegt. Dadurch wechselt dieses Geldvermögen aber nur vom/von der Käufer*in zum/zur Verkäufer*in, während die Summe der Geldguthaben gleichbleibt. Das heißt in der Summe ist keine Flucht vor dieser Gebühr auf Geldguthaben möglich.
Das Geld aus Bodenwertsteuer und Umlaufimpuls wird nun unmittelbar an alle Bewohner*innen des Währungsraums als Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) rückverteilt, das jedoch nicht unbedingt existenzsichernd sein muss, sondern dessen vorrangiges Ziel die gleichberechtigte Teilhabe jedes/r einzelnen an den knappen, natürlichen Ressourcen ist. Was der/die durchschnittliche Nutzer*in durch die Reformen mehr bezahlt, bekommt er/sie als BGE zurück. Durch diese Rückverteilung wird eine negativ rückgekoppelte Geldvermögensverteilung erreicht. Das bedeutet, dass alle persönlichen Geldguthaben zum Durchschnitt tendieren und extreme Ausschläge nach unten oder oben weitgehend ausbleiben.
Diese Reformen werden also zu einer Homogenisierung der Einkommensstruktur führen und gleichzeitig allen eine gleichberechtigte Nutzung der natürlichen Lebensgrundlagen ermöglichen. Wenn, wie intendiert, alle arbeitsfähigen Menschen so viel fair bezahlte Arbeit finden, wie sie möchten, wird das häufig vorgebrachte Argument, die Beachtung der Menschenrechte und der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen zu Arbeitsplatzverlust führe, nicht mehr ziehen. Zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt halten wir zudem Schutzzölle für notwendig. Nur zwischen den Ländern, die diese Reformen in den Grundzügen gleichfalls durchführen, soll ein freier Markt herrschen, also der ungehinderte Austausch von Waren, Dienstleistungen sowie Reisefreiheit der Menschen.
Sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen“ (Jesaja 62,8).
Dieses sozialökologische Reformpaket können Staaten unabhängig voneinander einführen und damit eine einladende Wirkung auf andere, besonders auf überschuldete Staaten mit einer armen Bevölkerung, ausüben. Selbst wer die Würde des Menschen nicht als höchstes Gut betrachtet, könnte doch die Vorteile dieses menschenrechtlich basierten ökonomischen Systems höher einschätzen als seine Nachteile: Eine stabile, krisensichere Wirtschaft, die zwar keinen Reichtum in der heute erreichbaren Höhe ermöglicht, aber doch ein stabiles Wirtschaften auf einem akzeptablen Niveau ohne extreme Armut und Hunger. Vorrangiges Ziel dieses Modells ist es zu erreichen, dass sich alle Menschen ihre Grundbedürfnisse erfüllen können, allen voran ihr Recht auf Nahrung und Selbstbestimmung. Die viel beschworene Bekämpfung von Fluchtursachen könnte auf diese Weise effektiv angegangen werden, da eine krisensichere Wirtschaft aller Erfahrung nach auch zur politischen Stabilität beiträgt und den Aufbau demokratischer Strukturen erleichtert.
Die Langfassung des Textes erscheint auf: www.globalchangenow.de
Jörg Schreiner arbeitet selbständig als Berater im Bereich Wasser und erneuerbare Energien;
Dr. Gudula Frieling, katholische Theologin und Lehrerin für die Fächer Deutsch, Geschichte und katholische Religion. Ihre Promotion zum Thema “Christliche Ethik oder Ethik für Christen?Die Universalität christlicher Ethik auf dem Prüfstand“ erschien 2016 im Verlag Friedrich Pustet, Regensburg.
Bild: Darwin Laganzon, https://pixabay.com/de.
- Wikipedia. ↩
- Dirk Löhr, Prinzip Rentenökonomie. Wenn Eigentum zum Diebstahl wird, Marburg 2013, 29 – 53. ↩
- Frank Crüsemann, Die Tora. Theologie und Sozialgeschichte des alttestamentlichen Gesetzes, 268 f. ↩
- „Ein Psalm Davids. Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist, der Erdboden und was darauf wohnt“ (Ps. 24,1). ↩
- Laborem exercens, Johannes Paul II., 1983, in: Texte zur katholischen Soziallehre, Köln 2007, 565. ↩