Liebe in Zeiten von Corona. Pastoralpsychologische Reflexionen von Maria Elisabeth Aigner.
Letzten Februar wurde ich von einer hiesigen Tageszeitung gebeten, als Pastoralpsychologin anlässlich des Valentinstags etwas über die Liebe zu schreiben. Ein Facharzt für Herzchirurgie, eine Psychologin sowie ich als Theologin sollten uns dazu äußern, welchen Stellenwert die Liebe vor allem in Zeiten der Pandemie habe. Die junge Redakteurin wollte zum diesjährigen Ehrentag des Heiligen Valentin „Interviewmaterial“ für eine Spurensuche nach dem Geheimnis glücklicher Beziehungen sammeln.
Spurensuche nach dem Geheimnis glücklicher Beziehungen
Ihr kunstvoll fabriziertes zweiseitiges Endprodukt, das ich am darauffolgenden Sonntag in der Beilage der Zeitung vorfand, versetzte mich einigermaßen in Staunen. Zu lesen war vom Mix aus Dopamin und Phenylethylamin, vom hohen Oxytocinspiegel, davon wieviel Prozent am Valentinstag Liebesbriefe schreiben würden und wie viele auf Schokolade setzten. Zudem wurde im Beitrag darauf hingewiesen, dass die Liebe viele Fragen stelle und Mehrfach-Antworten darauf möglich seien. Es ging um das Kribbeln in der Magengegend, das Schweben auf Wolke sieben, die rosarote Brillenkurzsichtigkeit und um die Frage, ob man womöglich in Pandemiezeiten sein Liebesfenster verpasse.
Ähnlich wie der Heilige Valentin – der übrigens Märtyrerberichten zufolge hingerichtet wurde – gibt auch der Monat Mai Anlass dazu, in leichtfüßiger Art und Weise über die Liebe nachzusinnen. Nach gut einem Jahr Einschränkung und Restriktion aufgrund von Covid 19 besteht womöglich umso mehr Sehnsucht nach Liebe, Luft und Leichtigkeit. Die Pandemie hat uns Menschen in den Rückzug und in die Isolation gestoßen. Ihre nicht greifbaren Auswirkungen haben uns beeinflusst und bestimmt. Subtil und unaufhaltsam graben sie sich ungefragt in das Dasein ein.
Sehnsucht nach Liebe, Luft und Leichtigkeit
Das Leben funktioniert auch so – vom Bildschirm aus, online on demand. Doch wir fühlen uns bedroht, weil nicht wirklich fassbar ist, was rundherum geschieht, was das alles heißt, was es mit den Menschen macht und wo es sie hinführt. Vieles ist uns im Alltag schlichtweg einfach abhandengekommen: die Normalität, der Beruf, das gemeinsame Feiern, das Spüren der unmittelbaren Verbundenheit. Pandemie heißt Abwesenheit. Liebe hat jedoch mit Anwesenheit zu tun. Sie gebärdet sich wie eine unzähmbare Sehnsucht, die nicht von uns lassen will – auf Gedeih und Verderb scheinen wir ihr ausgeliefert, ob wir es wollen oder nicht.
Die Liebe ist in jedem Menschen von Beginn an grundgelegt, wird gelernt in Resonanzschleifen, die Zuwendung, liebevolle Aufmerksamkeit, Zärtlichkeit, Gesehen-Werden und ein gesundes Wechselspiel an Nähe und Distanz transportieren. Dennoch kann es sein, dass wir es nicht bemerken, wenn sie uns abhandenkommt. In den Routinen des Alltags, der umtriebigen Geschäftigkeit, den Mühen der Kränkungen und Ärgernisse verkriecht sie sich klein und stumm in einem hinteren Winkel unserer Seele. Sie kann so zart wie das Glitzern des Taus im feuchten Gras bei Sonnenaufgang sein oder so wuchtig wie eine mehrere Meter hohe, herandonnernde Meereswelle.
Die drei Geschenke Vertrauen, Hoffnung und Liebe
Der Apostel Paulus spricht im 1. Korintherbrief von den drei Geschenken Vertrauen, Hoffnung und Liebe. Dabei räumt er der Liebe den höchsten Stellenwert ein. Sie ist die größte Lebenskraft überhaupt. Deshalb schlägt sie auch die tiefsten Wunden. Vor ihnen haben wir Angst. Die Liebe muss durch den Lackmustest der Wahrhaftigkeit, sonst wird sie verraten und bleibt Klischee und Ideal. Behübscht und gezähmt, verharmlost und verkümmert erkennt sie sich selbst nicht mehr. Die im Kleid von Narzissmus, Egoismus, Neid, Eifersucht oder Missgunst getarnte Liebe geht ins Leere, lässt uns im Kreis laufen und verzweifeln.
In der Liebe wollen wir alles richtig machen, aber lieben lernt man nur durchs Scheitern hindurch. Diesem Dunkel möchten wir ausweichen, uns ihm entziehen. Wir suchen das Schöne, Erfüllende, das Leichte und Lebbare, die Zufriedenheit und das Gewohnte. Während dieser aufopfernden Mühen, den blinden Versuchen und Selbsteinflüsterungen, entzieht sich die Liebe unserer Verfügbarkeit. Sie lässt sich nicht einfach ergreifen, wenn wir nach ihr Sehnsucht haben, hat niemals etwas Beruhigendes an sich, sondern rüttelt uns wach und will uns an die Grenzen unseres Seins verführen. Verkorkst, verdreht, verrückt, verzweifelt macht sie uns zu Narren unserer selbst. Was wenn alles Einbildung war? Was wenn unser menschliches Dasein es nie lernen wird, richtig zu lieben?
Liebe lernt man nur durch Scheitern hindurch.
Paulus spricht jedoch davon, dass die Liebe einen langen Atem hat. Sie ist zuverlässig, nicht eifersüchtig, sie will andere nicht beherrschen. Sie handelt nicht respektlos, ist nicht egoistisch, jähzornig oder nachtragend. Das klingt nach einem hohen Anspruch und damit verbunden nach ziemlich viel Arbeit. Zugleich bringt die Liebe die Leichtigkeit und das Unbeschwerte. Sie ist verborgen und eruptiv, verworren und glasklar. Arbeit macht sie vor allem dann, wenn wir uns ihr entgegenstellen, sie ignorieren, sie nicht wahrhaben wollen in all ihrer Abgründigkeit, Pracht und Schönheit, mit all ihren Herausforderungen, die sie gnadenlos an unser Ich stellt. Dann führt sie uns an der Nase herum, auf Umwege, durch unwegsames Gelände – gefährliche Abstürze vorprogrammiert.
Die Weite des Himmels und die unendliche Schönheit der Natur
Wie kann die Liebe überhaupt Einzug in den ganz normalen Alltag halten? Valentinstag und der Wonnemonat Mai klingen nach Blumen, Herzen und Romantik. Aber sie könnten auch noch etwas ganz anderes signalisieren: Dass die Liebe beispielsweise auch mit der Weite des Himmels und mit der unendlichen Schönheit der Natur zu tun hat. Oder dass sie unseren Mut und unsere Widerstandskraft braucht, den ganzen Kosmos einschließt. Liebe heilt und sie verletzt und verwundet. Schließlich ist es die Liebe, die uns auch mit den Abwesenden und den Toten verbindet. Paulus fasst das in ganz einfache Worte: Die Liebe hört niemals auf.
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Maria Elisabeth Aigner ist Professorin am Institut für Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz.
Photo: All you need is love, John Lennon Wall (Prag). elPadawan (CC BY – SA 2.0).