Die Zeit vor Ostern ist eine geprägte Zeit, so heißt es. Eine, in der viele Menschen Exerzitien im Alltag ausprobieren oder ein weiteres Mal einüben. Der Theologe Tobias Sauer hat vor einem Jahr das Projekt „alles außer beten“ initiiert. In einem Interview, das Maria Herrmann für feinschwarz geführt hat, erzählt er von den Hintergründen und Erfahrungen, bei dieser kontextualisierten Form von Exerzitien. Und davon wie die Erkenntnisse bei diesem Projekt noch weitere Kreise ziehen können.
Maria Hermann: Lieber Tobias, was ist eigentlich „alles außer beten“?
Tobias Sauer: „alles außer beten“ ist das Versprechen an die Leser*innen. Bei den 28 Tagen geht es nicht um fromme Übungen, strenges Regelwerk oder anderen Hokus Pokus Automatismus. Im Fokus steht nicht das Einüben eines geistlichen Regelwerks mit festen Formeln und Zeiten, sondern sich selbst 28 Tage auf Reisen zu begeben, den Autopiloten auszuschalten und Zeit für sich selbst und das was einen entdecken will, zu bekommen.
Was am Ende dabei rauskommt? Keine Ahnung. Und so soll es sein, denn das ist ja der Unterschied zwischen einer Expedition und einer langweiligen Pauschalreise.
Das Entwickeln einer Haltung
Maria Herrmann: Was waren Deine Erfahrungen vor „alles außer beten“?
Tobias Sauer: Ich mag die Idee von Exerzitien und auch die Einstellung von Ignatius, der davon überzeugt war, dass jeder Mensch in einen Dialog mit Gott steigen kann. Doch leider wird viel zu oft der Anspruch erhoben, dass man* in den 4, 6, 12 Wochen Gott suchen und anschließend finden kann. Das halte ich aus mehreren Gründen für schwierig. Zum einen, weil es diejenigen ausschließt, die keinerlei reflektierte Erfahrungen vom Transzendenten als Gott haben und zum anderen, weil damit von Anfang an klar ist, was diese Wochen bringen müssen. Gott finden.
Klassische Exerzitien eignen sich gut zum Vertiefen des eigenen Glaubens. Aber zum Entwickeln einer eigenen Spiritualität, also eine Haltung, dass es mehr in der Welt gibt als das Empirisch-faktische, sind sie ungeeignet, weil sie das voraussetzen.
Sich entdecken lassen.
Maria Hermann: Wie ist das Konzept aufgebaut? Was war Dir dabei wichtig?
Tobias Sauer: „alles außer beten“ setzt gar nichts voraus, außer der Bereitschaft sich 28 Tage von dem entdecken zu lassen, was bereits in deiner Umgebung ist und zu lernen wie man* aus Alltagsroutinen aussteigen kann, um neue Kraft zu tanken. Es geht nicht um das Lernen von einem Ritual, sondern Achtsamkeit für die Dinge um einen.
Für jeden Menschen kann es hilfreich sein zu lernen wie man* im Alltag so tickt – was der eigene Autopilot ist. Davon profitiert jeder* ohne Gott entdecken zu müssen.
Und andererseits bin ich als Christ davon überzeugt, dass Gott immer zu jeder Zeit zu jedem Menschen spricht auf einer Art und Weise, dass er oder sie es verstehen könnte.
Ob sich die Anrede Gottes mit der Achtsamkeit der Person trifft, das kann ich nicht forcieren und will ich auch gar nicht. Aber je mehr man* Räume für sich und, das was ihn entdecken möchte, einräumt, desto wahrscheinlicher ist es.
Aber, und das ist mir super wichtig zu sagen, das ist nicht das Ziel. Denn es gibt kein Ziel auf dieser Reise. Es ist eine Möglichkeit was passieren könnte.
Eine eigene Reise – jetzt auch mit Basecamp
Maria Hermann: Was brauche ich um anzufangen?
Tobias Sauer: Um anzufangen braucht es nur zwei Sachen: Lust und das Heft. Das leitet durch die vier Wochen mit einer Übung zum Aussteigen, Wochenaufgaben und täglichen Impulsen. Das Heft bietet gewissermaßen das Reisetagebuch und darf auch als solches genutzt werden. Es bietet Platz für Notizen und Anmerkungen. Wer möchte, kann auch die Texte über den Podcast hören.
Zusätzlich gab es im letzten Jahr immer wieder die Anfrage, ob es nicht auch eine Gruppenvariante geben könnte. Ich war da erst sehr zögerlich, weil ein Kernelement von „alles außer beten“ ja auf der eigenen Reise liegt.
Deswegen gibt es jetzt ein Basecamp und eine Wanderkarte. Statt zusammen zu reisen, bilden sie eine Reisegruppe, die sich nach der Woche immer wieder ums Lagerfeuer sammeln, um von ihrer Reise zu erzählen, Erinnerungen zu teilen und das Gepäck neu zu packen.
Maria Hermann: Das heißt man kann es allein nutzen und in Gruppen?
Tobias Sauer: Ja, genau. Das beschreibt es ganz gut. Ich reise allein. Aber ich habe auch eine Gruppe im Rücken, wo ich weiß: Egal wie die Woche wird, am Ende sitze ich mit denen am Lagerfeuer und kann wieder auftanken. Es tut gut zu merken, dass man* nicht allein an der einen oder anderen Stelle zweifelt oder nicht weiterkommt. Oder einen gedanklichen Durchbruch jemanden zu erzählen.
Möglich auch als Massenger-Gruppe
Maria Hermann: Welche Rolle spielt die digitale Welt?
Tobias Sauer: Das Material für die Gruppe kam Anfang Februar heraus und wurde auch gut angenommen. Ich weiß von sehr vielen Gruppen, die mit Beginn der Fastenzeit sich auf die Reise begeben haben. Dann kam das Kontaktverbot [in der Corona-Krise, Anm. Red.] und die Einschränkungen im öffentlichen Leben. Damit war es erst Mal nicht mehr möglich die Treffen gewohnt fortzuführen.
Eine Lösung ist nun im „Messenger Add On“, dass eine kleine Zusatzanleitung bereithält, wie „alles außer beten“ mit einer Messenger Gruppe ergänzt werden kann. Dafür gibt es dann Grafiken, Textbausteine und Ablaufanleitungen. Jetzt gibt es das AddOn als pay what you want im Store und auch direkt im Paket mit dem Folder „alles außer beten“gemeinsam.
Maria Hermann: Kannst Du schon von Erfahrungen berichten?
Tobias Sauer: Wir haben eine Gruppe von 8 Jugendlichen um die 14 Jahren ausgewertet. Die waren zum vereinbarten Zeitpunkt alle live im Chat und haben extrem gut mitgemacht. Es scheint so, dass es ihnen über die Schrift sogar leichter gefallen ist mit anderen Ihre Erfahrung zu teilen.
Gleichzeitig haben sie aber auch alle angegeben, dass es wichtig war, sich einmal real zu treffen, um die Gruppe kennenzulernen.
Aber auch ganz allgemein bin ich über das Jahr wirklich geplättet von den Rückmeldungen, die ich zu dem Heft bekomme. Immer wieder landet eine Mail im Postfach, die sich bedanken, dass es Ihnen gutgetan hat. Das freut mich total!
Einfach mal machen!
Maria Hermann: Das klingt nach „Machen statt Motzen“… ?
Tobias Sauer: Wie bei allem gilt es zu wissen, was das Herzstück der Sache ist. Das Herzstück von „alles außer beten“ ist die Reise der Person und der Austausch in einem Basecamp. Und auch wenn ich mir viel Mühe mit der Gestaltung und der Erstellung der Printprodukte gebe, so ist es doch egal, ob sie sich über ein Papier oder über das Handy gebeugt über ihre Woche unterhalten.Das Einfach-mal-machen gefällt mir gut. Ich nenne das in unserem Netzwerk „Sandkästen.“ Also Orte, wo man* einfach spielt und ausprobiert ohne, dass man* sich Gedanken über das Ergebnis machen muss. Und so ein Ausprobieren war „alles außer beten“ am Anfang auch. Als das Heft rauskam, hatte ich noch nicht mal einen Store zum Bestellen. Und die Idee selbst wurde von mehreren kirchlichen Institutionen als nicht machbar abgelehnt. Da galt es eben: Einfach mal machen.
Maria Hermann: Hast Du schon Ideen, wie es weitergeht?
Tobias Sauer: Seit „alles außer beten“ herausgekommen ist, habe ich das Portfolio an Produkten im Store erweitert. Getragen von der Überzeugung, dass die Suche nach Gott und die Entdeckung der eigenen Spiritualität unabhängig von statischen Gebäuden ist, denke ich seit Sommer 2019 die Projekte und Materialien im Kontext der „popupkirche geradeda“. Zu unterschiedlichen Themen wird ein Kosmos an Material erstellt, aus dem beliebig für den entsprechenden Raum geschöpft werden kann.
„alles außer beten“ bietet die Möglichkeit zur persönlichen Suche im Alltag und „Wohin geht die Reise?“ bietet ein größeres Set für die Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit & Berufung. Material, dass wiederverwendet werden kann (wie Banner und RollUps) werden dann nicht gekauft, sondern ausgeliehen.
Ich arbeite gerade an Material für Stille, Heilige und Partnerschaft. Ein weites Feld und wer weiß was als Nächstes kommt.
Maria Hermann: Vielen Dank, Tobias! Ich bin gespannt, wohin die Reise geht…!
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Interviewt: Tobias Sauer ist katholischer Theologe und strategischer Kommunikationsberater für kirchliche Institutionen mit Schwerpunkt Glaubenskommunikation. Er ist Initiator des ruach.jetzt-Netzwerks. Ein konfessionsübergreifendes christliches Contentnetzwerk mit aktuell über 20 Creator* und ihrer Projekte.
Autorin: Maria Herrmann arbeitet als Theologin in der Hauptabteilung Seelsorge im Bistum Hildesheim.
Foto: Tobias Sauer