Das Leben ist vergänglich und kurz, weiß Kohelet im gleichnamigen biblischen Buch. Inwiefern trotz dieser Vergänglichkeit des Lebens alles seine Zeit hat und wie das mit der Ewigkeit zusammenhängt, erkundet das biblische Buch Kohelet. Von Elisabeth Birnbaum
Vergänglich
Das Buch Kohelet (oder: Prediger) befasst sich mit dem Thema Zeit mehr und umfassender als jedes andere biblische Buch. Gleich zu Beginn und als Leitsatz immer wiederkehrend heißt es: „Nichtig und flüchtig, das ist alles nichtig“ bzw. „Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch“.
Vergänglichkeit ist die erste, schwer erträgliche Erfahrung, die Kohelet machen muss. Erfolge, Ruhm, Besitz, Weisheit, Freuden, was sind sie angesichts ihrer Vergänglichkeit? Und: Was bleibt, wenn alles spätestens im Tod vorbei ist?
Nicht genug damit, folgt gleich darauf ein zweiter Tiefschlag. Auch innerhalb dieser kurzen Lebensfrist, erkennt Kohelet in seinem „Gedicht vom Kosmos“ (Koh 1,4-11), muss der Mensch erfahren, dass er nichts Besonderes ist. „Nichts Neues“ gibt es unter der Sonne. Alles schon dagewesen. Die Welt – ein ewiger Kreislauf. Der Mensch – eine verschwindende Episode darin. Kohelet verzweifelt an dieser Erkenntnis.
Doch dann bricht sich eine neue Perspektive Bahn: Im Gedicht von der Zeit gelingt ihm eine Ausdifferenzierung. „Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit“ (3,1). Wörtlich übersetzt: „Für alles – ein Zeitpunkt. Und eine Zeit für jede Angelegenheit unter dem Himmel.“
Gutes und Böses
Kohelet gibt nun Beispiele für sehr gegensätzliche Geschehen: Lachen und Weinen, Klagen und Tanzen, Hassen und Lieben und andere mehr. Positiv und negativ konnotierte Zeiten erfährt der Mensch im Lauf der Zeit. Auf Tage des Heils und des Glücks folgen Tage der Bedrängnis, der Finsternis und des Unheils. Alles das findet Zeit. Nichts wird übersprungen, jeder Mensch darf und muss diese Erfahrung machen und kann daran nichts beeinflussen. Die gute Nachricht dabei für die Verzweifelten: „Alles unter der Sonne ist vergänglich, Windhauch“ (vgl. Koh 1,2). Die schlechte Nachricht für die jetzt Glücklichen: „Alles unter der Sonne ist vergänglich, Windhauch“ (ebda.). Der Wechsel der Zeiten, die Veränderung ist das einzig Unveränderliche. Wie lange eine Zeit bleibt, bis die andere kommt, ist für den Menschen nicht erkennbar, aber dass andere Zeiten kommen, ist gewiss.
Auf die rechte Zeit zu achten … und sich am besten vorsorglich immer zu freuen …, schützt vor Unbill.
Der richtige Zeitpunkt
Es gibt jedoch nicht nur für alles eine gewisse Zeit, es gibt auch für alles eine richtige, eine passende Zeit. Das „Momentum“, der „Kairos“ steht hier im Vordergrund. Die Aufgabe des Menschen besteht darin zu sehen, welche Zeit gerade im Gange ist und sich dazu richtig zu verhalten. Die aktive Suche nach dem richtigen Zeitpunkt, die Absage an ein unveränderliches, starres Verhaltenskonzept und die Hinwendung zu einem situationsadäquaten Handeln wird hier eingefordert. Und gerade weil die Zeitenwende plötzlich kommen und unvorbereitet treffen kann, gilt: Auf die rechte Zeit zu achten (Sir 4,20) und sich am besten vorsorglich immer zu freuen (vgl. Koh 9,7-9; Phil 4,4; 1 Thess 5,16), schützt vor Unbill.
Von Gott bestimmt
Alles hat seine Zeit. Was im Gedicht nur implizit durchscheint und erst in V. 11 explizit gemacht wird, ist, wer diese Zeit festsetzt. Und hier kommt Gott ins Spiel. In Koh 3,11 heißt es: „Gott hat alles schön gemacht zu seiner Zeit.“ Schon der erste Text der Bibel ordnet das Lebenshaus Welt vor allem in zeitlicher Perspektive (Gen 1,1-2,3). Am ersten Tag erschafft Gott das Licht und macht den Wechsel von Tag und Nacht erst möglich. Am vierten Tag gliedert er mit der Erschaffung der Himmelskörper das Leben in Tage, Monate und Jahre. Damit entsteht ein regelmäßig wiederholter Ablauf von Mondphasen und Jahreszeiten, die es ermöglichen, zyklisch wiederkehrende Festzeiten zu begehen. Und am siebenten Tag wird mit dem Ruhen Gottes ein Wochenrhythmus von sechs Arbeitstagen und einem darauffolgenden Ruhetag grundgelegt. Während die ersten beiden Zeitordnungen kosmische Naturgegebenheiten spiegeln, ist die Sieben-Tage-Woche rein religiös begründet. Das trifft auch auf die in Levitikus 23 genau beschriebenen Festzeiten des Jahres zu. Sie sind von Gott gesetzt und unbedingt einzuhalten. Wer wie der erste König des Nordreichs, Jerobeam, sich selbst Zeiten ausdenkt und eigenmächtig Feste ansetzt, übertritt seine menschlichen Kompetenzen (1 Kön 12,33).
Die Geschöpfe Gottes sind demnach in eine zeitliche Struktur hineingeschaffen, der man sich nicht entziehen kann. Alles hat seine (von Gott gegebene) Zeit.
Versöhnte Gegensätze
Doch Gott hat laut 3,11 nicht nur „alles schön gemacht“ zu seiner Zeit, sondern darüber hinaus hat er „die Ewigkeit in ihr [der Menschen] Herz gelegt“. Die Vergänglichkeit des Menschen verunmöglicht nicht die Erfahrung der Ewigkeit. Sie kann sogar im Herzen zu einer versöhnten Ewigkeit werden, in der alles Erfahrene aufgehoben und verbunden werden kann.
Der rhythmische, von Gott fixierte Ablauf der Zeiten muss nicht zwingend die eigene Ohnmacht ins Bewusstsein bringen.
Von dieser Warte her gewinnt auch das Gedicht über den Kosmos eine neue Perspektive. Das Leben mag vergänglich, die Lebenszeit vom Menschen nicht beeinflussbar sein, aber im Lichte Gottes kann sich der Mensch damit versöhnen. Er ist nicht Gefangener, sondern Aufgehobener des gottgewirkten Kreislaufes. Der rhythmische, von Gott fixierte Ablauf der Zeiten muss nicht zwingend die eigene Ohnmacht ins Bewusstsein bringen. Er kann auf den Menschen auch tröstlich wirken und Halt geben. Wissend, dass auch ihm eine bestimmte Stunde darin zugeteilt wurde. Erfahrend, dass alles, Gutes und Böses, Freudiges und Trauriges darin Zeit findet für eine gewisse Spanne. Erahnend, dass er selbst daran zwar nichts ändern kann, wohl aber aufgefordert ist, die „Zeichen der Zeit“ zu erkennen und aktiv mitzugestalten. Im besten Falle aber vertrauend, dass in diesem Kreislauf des Lebens alles in Gott vereint, verewigt und „schön gemacht“ wird.
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Elisabeth Birnbaum, Wien, ist promovierte Alttestamentlerin und seit 2017 Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks.
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