Derzeit herrscht große Aufregung über die künstlerische Aktion #allesdichtmachen. Was ist geschehen? Einige Künstler und Künstlerinnen haben in Kurzvideos die Covid-Maßnahmen kritisiert. Das Stilmittel dabei ist Satire, Überzeichnung und Sarkasmus. Dagegen wurden nun etliche Stimmen laut. Warum? Warum wird die Aktion auch von regierungskritischen Menschen vielfach als unangemessen empfunden? Den Versuch, die Problematik in zwei biblische Bilder zu gießen, unternimmt Elisabeth Birnbaum.
Schlechter Stil?
Manche Kritiken stoßen sich einfach am Stil der Videos auf #allesdichtmachen. Doch das greift nicht weit genug. Sarkasmus, Überzeichnung und Satire sind das Brot aller guten Redner:innen seit alters her. Sie sind ein beliebtes Stilmittel, um auf Probleme aufmerksam zu machen. Dabei gibt es eine schmale Grenze zwischen Geschmacklosigkeit und gelungenem Witz, und diese Grenze ist für jeden Menschen anders. Auch die Bibel kennt Satire, Polemik und Sarkasmus. Herausragende Beispiele sind die alttestamentlichen Prophet:innen oder der Apostel Paulus. Zimperlich geht man da mit Gegner:innen nicht um. Das war legitim. So wird auch der Kunst das Recht zugestanden, mit drastischen Mitteln Probleme aufzuzeigen. Der Grund, warum sich derzeit ungewohnt heftiger Widerstand gegen eine künstlerische Aktion formiert, ist ein anderer. Er liegt in der Sichtweise der Akteur:innen auf die Ursachen der Probleme, auf die aufmerksam gemacht werden soll.
Jotams Fabel
Die Akteur:innen von #allesdichtmachen sehen sich biblisch gesprochen offenbar in der Rolle des Jotam im Buch der Richter, Kapitel 9: Jotam sieht einen erschreckenden Missstand. Sein Bruder, Abimelech, hat seine 70 Brüder davon überzeugt, dass es für sie besser wäre, wenn sie ihr Recht auf die Königsherrschaft an ihn abtreten würden. Die Maßnahmen, die Abimelech aber ergreift, sind tödlich: Er bringt alle seine Brüder um. Nur Jotam entkommt. Das Volk vertraut jedoch der Notwendigkeit dieser Maßnahmen und bleibt Abimelech gegenüber trotzdem loyal.
Diesen Missstand prangert Jotam nun in der sogenannten „Jotam-Fabel“ an: Sie ist die machtkritische Parabel der Bibel schlechthin und ein Musterbeispiel an politischer Satire: Die Bäume wollen unbedingt einen König haben. Sie befragen zunächst die edelsten Bäume, ob sie bereit wären zu regieren. Ölbaum, Feigenbaum und Weinstock lehnen ab. Sie haben Besseres zu tun als über anderen Bäumen „zu schwanken“, wie sie das Geschäft des Regierens despektierlich benennen. Da fragen die Bäume den Dornenstrauch. Der erklärt sich sofort bereit (Ri 9,15). Er verspricht vollmundig: „Kommt, bergt euch in meinem Schatten!“, – bei einem blätterlosen Gewächs wie dem Dornenstrauch natürlich ein Ding der Unmöglichkeit. Und fügt sofort eine Drohung an: „Wenn aber nicht, dann soll vom Dornenstrauch Feuer ausgehen und die Zedern des Libanon fressen“.
Jotams Kritik lautet also: Die Maßnahmen des Herrschers sind machtpolitisch motiviert und tödlich. Die Wohltaten, die er verspricht, sind illusorisch, die Gefährdungen, die von ihm ausgehen, aber real. Die Bäume, die diesen König und seine Maßnahmen mittragen, machen sich mitschuldig am Machtmissbrauch des Königs.
Die Akteure von #allesdichtmachen sehen sich als Jotam. Sie prangern aus ihrer Sicht Missstände an, die durch die Regierungen verursacht werden.
Legitime Machtkritik?
Die Akteur:innen von #allesdichtmachen sehen sich als Jotam. Sie prangern aus ihrer Sicht Missstände an, die durch die Regierungen verursacht werden. Die Regierungen haben das Volk davon überzeugt, dass es sinnvoll ist, ihnen während der Pandemie weitgehende Rechte abzutreten. Doch die verhängten Covid-Maßnahmen, so die Akteur:innen, sind für manche Branchen und Personengruppen problematisch oder sogar „tödlich“: Die Kulturszene „stirbt“, die Kinder werden krank, die Menschen vereinsamen etc. Die Akteur:innen werfen den Regierungen Machtmissbrauch vor und denen, die den Maßnahmen folgen, blinden Gehorsam gegenüber gefährlichen Machthabern. Wie in der Jotamfabel benützen sie für ihre Machtkritik beißende Satire. Alles also in Ordnung und legitim?
Israel in der Wüste
Die Kritiker:innen der Aktion sehen das anders. Sie werfen den Akteur:innen vor, das falsche Problem anzuprangern. Ihre Sicht auf die Situation lässt sich in ein anderes biblisches Bild fassen: ins Bild der Israelit:innen in der Wüste. Das Volk Israel lebt in Ägypten versklavt, unterdrückt und von Vernichtung bedroht. Mose führt sie aus dem „Sklavenhaus“ Ägypten ins gelobte Land. Er rettet sie damit aus einer realen tödlichen Gefahr. Dieser Weg führt jedoch durch die Wüste. Und diese Wüstenzeit dauert vielen zu lange. Die Israeliten murren gegen Mose und prangern die Misslichkeiten der Wüste verärgert und teilweise sarkastisch an: „Wie fein hast du uns gebracht in ein Land, darin Milch und Honig fließt, und hast uns Äcker und Weinberge zum Erbteil gegeben!“ (Num 16,14LUB). Sie sehnen sich zurück nach den „Fleischtöpfen Ägyptens“ (Ex 16,3) und monieren: „Wir denken an die Fische, die wir in Ägypten umsonst zu essen bekamen, an die Gurken und Melonen, an den Lauch, an die Zwiebeln und an den Knoblauch. Doch jetzt vertrocknet uns die Kehle, nichts bekommen wir zu sehen als immer nur Manna“ (Num 11,5–6).
Der Hauptschuldige in ihren Augen ist Mose. Das geht so weit, dass sie Ägypten als gelobtes Land sehen und Mose als denjenigen, der sie aus Machtgier erst in die Todesgefahr gebracht hat (Num 16,13). „Ist es nicht genug, dass du uns aus einem Land, in dem Milch und Honig fließen, heraufgeführt hast, um uns in der Wüste sterben zu lassen? Willst du dich auch noch als unser Herrscher aufspielen?“, klagen sie verärgert. Sie verkennen also in ihrem Ärger über die Misslichkeiten in der Wüste ihre gegenwärtige Lage und sehen nicht, woher die eigentliche Gefahr kommt.
Sieht man die derzeitige Situation in diesem Licht, dann sind die Akteure das murrende Volk Israel.
Wenig hilfreiches Murren
Sieht man die derzeitige Situation in diesem Licht, dann sind die Akteur:innen das murrende Volk Israel, das unter der Wüstenwanderung leidet und den Machthabern die Schuld gibt. In ihrem Zorn verkennen sie die Lage. Die satirische Auflehnung gegen die Machthaber zielt deshalb ins Leere, weil das eigentliche Problem nicht die Maßnahmen der Regierungen sind, sondern das, wovor die Maßnahmen schützen sollen. Aus Ärger über die Beschwernisse der Covid-Maßnahmen die Regierungen anzufeinden, ist, wenn das Bild stimmt, aber ebenso wenig hilfreich, wie sich gegen Mose in der Wüste aufzulehnen. Einzelne Maßnahmen haben sich möglicherweise als optimierungsbedürftig erwiesen (auch die Israelit:innen erstreiten sich neben dem Manna noch Wachteln!). Doch der grundsätzliche Weg durch die „Wüste“ der Maßnahmen mit all seinen schwierigen Begleiterscheinungen ist alternativlos. Denn die Pandemie schön- bzw. kleinzureden ist so, wie sich zurück zu den „Fleischtöpfen“ Ägyptens zu wünschen (vgl. Ex 16,3).
… die Pandemie schön- bzw. kleinzureden ist so, wie sich zurück zu den „Fleischtöpfen“ Ägyptens zu wünschen …
Jotam oder murrendes Volk?
Vielen Akteur:innen ist das offenbar mittlerweile bewusst geworden. Zumindest erklärt sich so ihr Erschrecken über den Beifall der AfD. Die anderen müssen sich weiterhin die Frage stellen, welche Rolle sie mit der Aktion #allesdichtmachen eigentlich spielen: Die Rolle des Jotam oder doch eher die Rolle des murrenden Volkes in der Wüste? Aus biblischer Sicht zumindest ist die Antwort eindeutig.
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Elisabeth Birnbaum ist Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks und seit Juni 2018 Mitglied der Redaktion von feinschwarz.net
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