Mit seinem Essay entlarvt der Freiburger Theologe Magnus Striet theologische Unzulänglichkeiten im Umgang mit der aktuellen Pandemie. Und er verweist auf die unausweichliche Bestimmung von Gnade und Natur, in der sich für die katholische Kirche das Verhältnis zur Moderne zu klären hat. Eine Würdigung von Wolfgang Beck.
Die theologische Suche nach tragfähigen Aussagen ist ein unabschließbares Ringen um die überzeugenderen Antworten. Auf dieser Grundlage nähert sich der Freiburger Theologe Magnus Striet den kirchlichen und theologischen Einordnungen der Covid-19-Pandemie. Die Grundlage seiner Perspektive ist die Bestimmung Gottes als „Sehnsuchtswort“ und damit der Verzicht auf einen wissenden, sichernden und statischen Umgang mit dem Gottesglauben. Einer sich auf dieser Basis permanent korrigierenden Rede von Gott wird die derzeitige Covid-19-Pandemie zum Stresstest.
Robert Gernhardt als Theologen entdecken
Striet würdigt dabei den Abschied des Lyrikers Robert Gernhardt von zu leichten und manipulativen Erklärungsversuchen angesichts seiner schweren Erkrankung. Mit ihm wendet er sich gegen theologische Ansätze, die auf eine Entlastung Gottes abzielen. Robert Gernhardt wird ihm damit auch in den aktuellen theologischen Deutungsversuchen zum wertvollen Korrektiv. Und er knüpft an die Sonderstellung des Boccaccio an, der sich in der Pesterfahrung des 14. Jahrhunderts nicht mehr mit unzulänglichen Antworten abfinden mag und Spielräume für ein Opponieren gegenüber Gott sucht.
Spektakuläre Bilder verdecken
unsichere Theologie
Dass im Hintergrund immer noch das Verhältnis katholischer Kirche zu der spezifischen Autorität und dem Eigenstand naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zu klären ist, kann aufgeklärte Menschen immer wieder erstaunen. In den öffentlichen Diskursen der Pandemie der Jahre 2020 und 2021 kommt das Wort Gott praktisch nicht vor. Die Kirche selbst tut sich erkennbar schwer mit theologischen Einordnungen der Situation, so dass selbst spektakuläre Bilder vom Petersplatz ohne theologische Absicherungen auskommen müssen und schnell hohl wirken können. Die vormodernen Wundervorstellungen fragt Striet dabei genauso an wie die moralisch-pädagogischen Einordnungen, dass Gott schon irgendwelche Zeichen mit der Pandemie setzen wolle. Meist erfolgen solche Erklärungsansätze auch eher indirekt und verstohlen, aber sie sind in der katholischen Welt durchaus präsent – auch in den Reden von Papst Franziskus – und zeugen von dem schwierigen Verhältnis der katholischen Kirche zu Aufklärung und Moderne. In diesem gesellschaftlichen Umfeld ist der Gottesglaube zur persönlichen Option der Einzelnen geworden und – in der soziologischen Diktion Niklas Luhmanns – zum gesellschaftlichen Teilsystem. Als solches ist er als gesamtgesellschaftliche Deutungskategorie bedeutungslos geworden. Es ist eine Stimme neben anderen, der sich die Annahme, Gott greife mit Wundern in den Lauf der Weltgeschichte ein, verbietet. Daraus ergibt sich mit einem Seitenblick auf Dietrich Bonhoeffer ein Leben und Glauben unter dem Anspruch: Etsi deus non daretur. Es ist ein Leben, als ob es Gott nicht gäbe, aber doch auch ein Leben vor Gott, in dem der Mensch zu tun hat, was ihm möglich ist.
Ein Gott der geduldig abwartet
Magnus Striet bearbeitet mit seinem kleinen Essay die nach wie vor herausfordernde Bestimmung von Gnade und Natur. Und er zeigt die zynischen Konsequenzen auf, wo dieses Verhältnis im Ungefähren belassen wird. So entsteht die religiöse Ernüchterung eines Gottes, der nicht eingreift und geduldig abwartet. Es ist ein Gott, der es riskiert, sich der Schöpfung und den Menschen auszusetzen. Angesichts der auffallenden theologischen Zurückhaltung im Umgang mit der Krisenerfahrung der Pandemie, stellt der vorliegende Essay von Magnus Striet einen wohltuenden Diskursbeitrag dar. Denn er verzichtet auf die üblichen theologischen Inkonsistenzen, entlarvt Unredlichkeiten theologischer Konzepte und verweist auf das Risiko, das Gott in seiner angenommenen Zurückhaltung eingeht.
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Buch: Magnus Striet: Theologie im Zeichen der Corona-Pandemie. Ein Essay, Grünewald Verlag, Ostfildern 2021.
Autor: Wolfgang Beck, Mitglied der feinschwarz-Redaktion, Lehrstuhl für Pastoraltheologie und Homiletik an der PTH Sankt Georgen, Frankfurt/M.
Bild: Jeremy Yap / unsplash.com