Oft genug enthüllt kirchlicher Sprachgebrauch ein obrigkeitliches Denken. Markus Himmelbauer zeigt, wie tief ein staatskirchliches Erbe in den europäischen Katholizismus eingelassenen ist. Sein Beispiel ist Österreich.
Wie spricht Kirche zu den Menschen? Erik Flügge (Jargon der Betroffenheit) und Jan Feddersen/Philipp Gessler (Phrase unser) haben der kirchlichen Sprache einen heilsamen Spiegel vorgehalten. Wenn es um einen fragwürdigen Kommunikationsstil geht, hat Österreich noch seinen ganz eigenen Teil beizutragen: die lebendige Tradition der josefinistischen Behördensprache.
„Hier liegt vor deiner Majestät im Staub die Christenschar“, heißt es zu Beginn der immer noch beliebten Deutschen Messe von Michael Haydn, komponiert im Jahr 1777. Die Doppeldeutigkeit dieser Zeile ist wohl durchaus beabsichtigt, um offen zu lassen, ob die Gläubigen sich vor Gott dem Ewigen oder vor seiner Kaiserlichen Majestät niederwerfen. Vielleicht beides, denn im Josefinismus wurde die Kirche zum Vollzugsorgan der von Gottes Gnaden ausgehenden staatlichen Macht, zur Verwaltung und auch Disziplinierung der Bürgerinnen und Bürger. Und wer einmal in Bad Ischl in die Sommerfrische Kaiser Franz Josefs eingetaucht ist, spürt in den verklärenden Überlieferungen immer wieder als Subtext den Vers aus der Haydn-Messe: „Schenk uns, o Vater, deine Huld“.
Der Josefinismus lebt
Kirche als Obrigkeit. Eine Kirche, die verwaltet und von oben herab kommuniziert. Keine Kirche, die Volk Gottes und Gemeinschaft ist und keine, die den Dialog fördert. „Pfarramt“ steht da auf Schaukästen, Absenderstempeln oder Wegweisern. Entsprechend ist das Pfarrblatt mit „Pfarramtliche Mitteilungen“ gekennzeichnet. Zwar ist das eine Formulierung, die wohl in den 1990er-Jahren entwickelt wurde, weil nach der Privatisierung der Post nur mehr amtliche Mitteilungen ermäßigt versendet werden konnten. Doch zeigt sie, mit welcher Selbstverständlichkeit man selbst 200 Jahre nach Kaiser Josef II. diese Amtlichkeit für sich in Anspruch nehmen wollte – und bis heute regelmäßig so in Anspruch nimmt.
Wohin geht man zum Aufschreiben einer Messe? Richtig, in die Pfarrkanzlei! „Büro eines Rechtsanwalts oder einer Behörde“, definiert das der Duden – übrigens verwandt mit der „Kanzel“, mit der lateinischen Wurzel von „Gitter“ und „Schranken“. Die „Amtsstunden“ des Pfarrers sind in diesem Umfeld die erwartbare Zugabe und im Grußwort des Pfarrblatts schreibt er „wir“, wenn er von sich selbst spricht. Am Sonntag im Gottesdienst gibt es die „Verlautbarungen“ an die Gläubigenschar. Und weil man vielleicht doch schon gespürt hat, dass diese Überschrift nicht mehr entspricht, werden sie zu „Verkündigungen“ – in der traditionellen Sicht von „Verkündigung“ auch nicht unbedingt ein dialogisches Auftreten.
Das aggiornamento hat die Formsprache nicht erfasst
Sich als „Pfarrgemeinde“ mit einem „Pfarrbüro“ zu verstehen, liegt da noch meilenweit von einer Kirche entfernt, die sechs Jahrzehnte nach dem aggiornamento durch das Konzil noch immer nicht in den Selbstverständlichkeiten (nicht im Zeitgeist!) des 21. Jahrhunderts angekommen ist. Man könnte argumentieren, es wären ja nur Worthülsen: Kirche heute lebt auch in Gotteshäusern der Gotik und des Barock, ohne dass der Rahmen den Inhalt bestimme. Bei genauerem Hinsehen erleben Pfarrgemeinden aber immer wieder die Grenzen dieser historischen Vorgaben und ringen darum, auch im Raum das Kirchenverständnis unserer Tage sichtbar werden zu lassen.
Eine Entwicklung der jüngeren Zeit scheint der Gruß an die „Pfarrangehörigen“ zu sein, an die man sich im Pfarrblatt oder bei Einladungen wendet. Vielleicht soll dadurch Nähe ausgedrückt werden, sind wir doch mit dem Begriff „Familienangehörige“ gut vertraut. Aber es ist die Rechtssprache, die sie so bezeichnet – ohne Beziehungsqualität. Als Angehöriger ist man einer Gruppe zugeteilt; die Dimensionen eines aktiven Subjekts, einer konkreten Person und einer teilhabenden Mitgliedschaft, die zum grundlegenden Fundament der Gemeinschaft Pfarre zählen, kommen hier nicht in den Blick.
Kirche spricht zu den Menschen, nicht mit ihnen…
Im Paternalismus – in einer wohlwollenden Fürsorge – finden Josefinismus und katholisches Selbstverständnis durchaus eine Gemeinsamkeit. Bezeichnend dafür ist die Unterscheidung zwischen einem Wir und den anderen. In dieser Form spricht Kirche zu den Menschen. Mit den Menschen zu sprechen, wäre schon eine Verbesserung. Miteinander zu sprechen, ist das Ziel. Denn es sollte inzwischen klar sein, dass alle Kirche sind – zumindest auf dem Land ist es noch ein Großteil der Bevölkerung, der seinen Kirchenbeitrag zahlt. Auch wenn das ideal gedacht ist: Kirchliche Sprache muss zum Ausdruck bringen, dass all diese Menschen das Subjekt und Trägerinnen und Träger der konkreten Ortsgemeinde sind. Das ist herausfordernd: Die Balance zu halten zwischen einem Wir, das nicht vereinnahmend ist, und der Realität, dass viele trotz Kirchenmitgliedschaft sich selbst nicht am Leben der Ortsgemeinde beteiligen wollen – und im vorgegebenen Rahmen eines bestimmten Milieus vielleicht auch gar nicht können.
Man muss nicht lange suchen, um virtuell oder vor Ort auf einem Schriftenstand all die hier erwähnten Belege zu finden. Es sind beileibe keine irregeleiteten Pfarrverantwortlichen oder bürokratieverliebte Sekretärinnen, die diese Haltung weitertragen. Sie fällt nicht negativ auf, denn wir haben als gelernte Österreicherinnen und Österreicher das obrigkeitliche Denken durch und durch in uns aufgesogen. Auch wenn direkt niemand an diesen Formen Anstoß nimmt, so distanzieren sich die Menschen auf einer tieferen Ebene. Sie spüren: Das ist nicht meine Welt, da bin ich nicht gemeint. Die josefinischen Pfarrgrenzen verlieren derzeit im Rahmen kirchlicher Entwicklungsprozesse ihre Bedeutung. Es wird Zeit, nun auch die josefinischen Sprachgrenzen zu überwinden.
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Markus Himmelbauer ist Pfarrassistent (leitender Seelsorger) in Seewalchen am Attersee (Diözese Linz). Bild: Autor