Moderne Brett- und Gesellschaftsspiele für Familien und Erwachsene erfreuen sich seit einigen Jahren wieder zunehmender Beliebtheit. Die Theologen Simon Harrich und Gerrit Spallek teilen die Leidenschaft des analogen Spiels. Vor Weihnachten stellen sie vier Brettspiele vor. Vielleicht eine Geschenkidee?
Seit einigen Jahren gewinnt nicht nur das digitale, sondern auch das analoge Spiel immer mehr Fans. Brett- und Gesellschaftsspiele für Familien und Erwachsene erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Dies belegen nicht nur die Umsatzzahlen der Branche (Link zum SZ-Artikel) sondern auch die Besucherzahlen der Spiel in Essen, der weltgrößten Messe der Brettspielszene. In diesem Jahr kamen 182.000 Menschen zum Spielen ins Ruhrgebiet, ein neuer Besucherrekord (Link zum WAZ-Artikel).
Rund um Brett- und Gesellschaftsspiel entstehen neue soziale Projekte, wie Mehr-Generationen-Stammtische zum Spielen oder alternative Formen der Gastronomie, wie Brettspielcafés, in denen man gegen geringe Gebühr Spiele aus der lokalen Bibliothek ausleihen und gleichzeitig etwas essen und trinken kann. Die Gesellschaftsspieler*innen reizt nicht nur die bewusst analoge, von face-to-face-Kommunikation geprägte Freizeitgestaltung. Neben dem „digitalen detox“ sind moderne Brett- und Gesellschaftsspiele auch Gelegenheiten, sich gemeinsam an einem Abend mit „komplexeren Abläufen und Thematiken auseinanderzusetzen“ (Link zum SZ-Artikel) und spannenden Geschichten zu erleben.
Rund um Brett- und Gesellschaftsspiel entstehen neue soziale Projekte.
In diesem Artikel möchten wir Ihnen eine kleine Auswahl dieser moderneren Brett- und Gesellschaftsspiele vorstellen und zwar ganz bewusst vor Weihnachten. Vielleicht ist der eine oder die andere Leser*in noch auf der Suche nach einem Geschenk, mit dem man einen Spieleabend zwischen den Tagen füllen kann.
Unsere Auswahl dieser Titel ist nicht repräsentativ: Wir haben diejenigen Spiele ausgewählt, die in den letzten Monaten mehrmals auf unseren Tischen gelandet sind und mit denen wir und unsere Freund*innen und Familien am meisten Freude hatten. Zweitens haben wir darauf geachtet, unterschiedliche Geschmäcker abzudecken, vom eher leichten Einstieg bis zum tiefgehenden Strategiespiel. Und schließlich handelt es sich um eine Auswahl anspruchsvollerer Spiele, die für ältere Gruppen geeignet sind. Wenn Sie Lust – und Mitspieler*innen – haben, finden Sie hier vielleicht eine oder mehrere Möglichkeiten zum Einstieg ins Thema.
Wir empfehlen:
Codenames
Was ist das und worum geht es?
Welches Wort verbindet assoziativ „Kirche“, „Kreuz“ und „Leben“, lässt sich aber nicht mit „Rom“, „Lehrer“ „Gold“ und keinesfalls mit „Glück“ assoziieren? Schreiben Sie gerne der Redaktion, welche Antwort Ihnen einfällt. Codenames zwingt dazu, um die Ecke zu denken. Nicht nur das. Es zwingt Sie dazu, sich in die Mitspieler*innen ihrer Gruppe hineinzuversetzen, wie diese um die Ecke denken könnten. Missverständnisse sind praktisch vorprogrammiert.
Codenames zwingt dazu, um die Ecke zu denken.
In der Tischmitte liegen 25 zufällig gemischte Begriffe, angeordnet in einem 5×5-Quadrat. Die Spielerinnen und Spieler sind in zwei Gruppen eingeteilt. Jedes Team stellt eine/n Hinweisgeber*in. Die übrigen Teammitglieder versuchen zu erraten, auf welche der ausliegenden Begriffskarten die/der Hinweisgeber*in mit nur einem (!) Wort hinweisen will. Erraten sie einen falschen Begriff, passiert bestenfalls nichts, außer dass die andere Gruppe nun dran ist. Es kann aber auch sein, dass das gegnerische Team direkt einen Punkt bekommt, weil auf einen der Begriffe getippt wurde, auf den eigentlich der/die konkurrierende Hinweisgeber*in verweisen sollte. Schlimmstenfalls ist das Spiel sofort verloren. Denn auf einen der ausliegenden Begriffe dürfen die Spieler*innen keinesfalls tippen. Wie beim vorzeitigen Versenken der „Schwarzen Acht“ beim Billard ist das Spiel ansonsten unverzüglich beendet.
Die Story des Spiels ist vollkommen nebensächlich, erlaubt aber eine anschauliche grafische Umsetzung und den eingängigen Titel. Zwei Geheimdienste versuchen, mit der Hilfe von Codebegriffen ihre Geheimoperation zu organisieren. Über den gegebenen Hinweis instruiert der/die Geheimdienstchef*in ihre/seine Mitstreiter*innen, wie sie die eigenen Geheimagent*innen kontaktieren können – was also, und daher kommt der Name des Spiels, ihre Codenames sind. Kommt es zu Missverständnissen kann es aber sein, dass sie sich fälschlicherweise an ahnungslos Unbeteiligte, konkurrierendes Geheimdienstpersonal oder gar einem/einer Attentäter*in wenden. Letzteres beendet das Spiel. Das Team, das die/den Attentäter*in kontaktiert, verliert sofort.
Wie spielt man das?
Die Mitspieler*innen werden in zwei Teams eingeteilt. Jedes Team wählt eine/n Geheimdienstchef*in. Die Chefetage der beiden Teams nimmt nebeneinander auf der einen Seite des Tisches Platz. Die übrigen Teammitglieder begeben sich auf die andere Seite. Eine Codeschablone legt fest, auf welche Begriffe die Hinweisgebenden jeweils verweisen müssen, welcher Begriff auf keinen Fall aus dem Mund der eigenen Teammitglieder kommen darf und welches Team das Spiel eröffnet. Das beginnende Team muss mit neun Begriffen einen Begriff mehr als das konkurrierende Team erraten.
Erlaubt ist der/dem Geheimdienstchef*in lediglich die Nennung eines alltagstauglichen Wortes und einer Zahl.
Der Hinweis selbst könnte knapper nicht ausfüllen. Erlaubt ist der/dem Geheimdienstchef*in lediglich die Nennung eines alltagstauglichen Wortes und einer Zahl. Ersteres codiert, welche Begriffe sich mit diesem Hinweis assoziieren lassen. Die genannte Zahl verweist darauf, auf wie viele Begriffe die Hinweisgeberin oder der Hinweisgeber hinauswill. Das ratende, häufig zweifelnd und zunehmend irritierte Team muss mindestens auf einen Begriff tippen. Der/die Hinweisgeber*in gibt daraufhin Auskunft, ob der jeweilige Begriff eine/n eigene/n oder fremde/n Agent*in codiert, sich dahinter eine unbeteiligte Person oder gar der Attentäter*in verbirgt. Mit entsprechendem Symbolplättchen wird der Begriff abgedeckt. Danach dürfen die Ratenden überlegen, ob sie einen weiteren Begriff versuchen wollen. Das Team, das zuerst alle eigenen Agent*innen (es gibt tatsächlich sowohl weibliche als auch männliche Symbolplättchen) kontaktiert hat, gewinnt das Spiel.
Für wen ist das etwas?
Nachdem Codenames einigermaßen überraschend zum Spiel des Jahres 2016 gekürt wurde, schwelte in der deutschsprachigen Spieleszene eine interessante Diskussion. Gegen die Entscheidung der Jury wurde eingewandt, dass Codenames (obwohl der Verlag das Mindestalter auf 10 Jahre festlegt) kein Familienspiel sei. Aus diesem Grund habe es den begehrten Preis (zumindest in dieser Kategorie) zu Unrecht gewonnen. Denn allgemein werde mit dem jährlichen Spiel des Jahres die Erwartung verbunden, dass es auch – vielleicht sogar vornehmlich – in Familien gespielt werden könne.
Tatsache ist, dass Codenames einigermaßen homogene Spielgruppen voraussetzt. Haben die Assoziations- und Erfahrungshorizonte zu wenige Schnittflächen, kann das Dekodieren der Hinweise abenteuerlich werden. Ein Beispiel: Ich habe das Spiel häufig mit Ingenieur*innen gespielt. Wenn als Codewort „Pneumatik“ genannt wird: Tippe ich jetzt auf „Druck“, „Geist“ oder beides?
Ungefähr zeitgleich zu Amoris laetita diskutiert die deutschsprachige Spieleszene, was ihrerseits unter Familie zu verstehen sei.
Auf den genannten Vorwurf, Codenames sei deshalb kein Familienspiel, reagierte die Fachzeitschrift spielbox mit einem aufschlussreichen und zum Spiel passenden Kommentar[1]: Heute dürfe mit „Familie“ nicht mehr nur Vater, Mutter und zwei Kinder assoziiert werden. Gerade die Familien der Vielspielerinnen und Vielspieler seien häufig nicht mehr auf biologische Vergemeinschaftungen einzugrenzen. Zeitgenössisch sei bei Familie auch an WGs, feste Cliquen, feste Freundeskreise und langjährige Gesellschaftsspielrunden zu denken. Implizit wird eine neue Arbeitsdefinition vorgeschlagen: Familie sei, wer gemeinsam miteinander spielt. Ungefähr zeitgleich zu Amoris laetita diskutiert die deutschsprachige Spieleszene, was ihrerseits unter Familie zu verstehen sei. Mit der genannten Arbeitsdefinition ließe sich weiterarbeiten.
Eine Runde Codenames ist schnell gespielt. Daher ist es sowohl für Vielspieler*innen als auch Gelegenheits- und Partyspieler*innen geeignet. Erstere werden Codenames als sog. „Filler“, Einheizer oder Abkühlung bei langstündigen Spieleabenden aus dem Spieleschrank holen. Letztere finden bei Codenames eine intelligente Alternative und Weiterentwicklung von Tabu oder auch Dixit.
Mit etwas Kreativität eignet sich Codenames auch für personalisierte Geschenke. Zudem lässt es sich als hochschuldidaktische Methode einsetzen. Ohne viel Aufwand werden Ihnen schnell 25 Begriffe einfallen, die Sie mit Ihrer besten Freundin oder ihrem Seminarinhalt assoziieren. Beziehungsstatus und Lehrinhalt lassen sich auf diese Weise spielerisch wie intensiv vertiefen.
Codenames von Vlaada Chvátil ist im Verlag Czech Games Edition erschienen und wird in Deutschland vom Heidelberger Spielverlag vertrieben. Es kostet ca. 20€. Mittlerweile ist eine alternative Version erhältlich, in der die Begriffe durch Symbole ausgetauscht wurden: Codenames Pictures.
Village
Was ist das und worum geht es?
Lass die Kirche im Dorf. Bei Die Siedler von Catan (Spiel des Jahres 1995) war ein Spielstein in Form einer Kirche noch Symbol dafür, dass aus der beschaulichen Siedlung eine lukrative Stadt geworden ist. Treffen wir in neueren Brettspielen auf Kirchen oder Religion befinden wir uns zumeist in einem historisierten und dörflichen Setting. Beides trifft bei Village zu. Bei diesem Spiel schlüpfen 2–4 Spieler*innen jeweils in die Rolle einer Familie, die im gemeinsamen Dorf unvergessen in die Chroniken eingehen will. Hierfür müssen Ruhmespunkte gesammelt werden. Diese können durch Handwerk, Handelsgeschick, Abenteuerlust auf Reisen, durch mühsamen Aufstieg in der politischen, aber auch kirchlichen Hierarchie erarbeitet werden.
Wie spielt man das?
Reisen, eine Handwerkslehre, der Aufstieg zu Macht in Kirche und Politik, all das kostet Zeit. Für eine einzelne Person ist es ohnehin unmöglich, sich biographisch gleichermaßen für mehrere Werdegänge zu engagieren. Deswegen steuern Spieler*innen gleich einen ganzen Familienclan, und das auch noch über mehrere Generationen. Im Laufe des Spiels werden wir uns dabei von mehreren Familienmitgliedern verabschieden müssen. Wenn die Zeit auf der zyklischen Zeitleiste abgelaufen ist, verstirbt nämlich ein Familienmitglied der jeweils ältesten Generation. Ist in der Dorfchronik noch Platz, wird die oder der Verstorbene dort verewigt. Dafür gibt es am Ende Extrapunkte. Ansonsten bleibt einzig eines der anonymen Gräber auf dem Kirchhof. Sind alle Plätze in der Dorfchronik oder Gräber auf dem Kirchhof belegt, endet das Spiel. Auch die menschliche Erinnerung ist schließlich endlich.
Spieler*innen steuern einen ganzen Familienclan, und das auch noch über mehrere Generationen.
Der generelle Spielmechanismus ist leicht zu erlernen. Auf die sieben Aktionsfelder des Spielplans (Handwerksgebäude, Kirche, Rathaus, Markplatz usf.) werden verschiedenfarbige Einflusssteine (= Ressourcen) nach einem festgeschriebenen Schema verteilt. Nacheinander wählen die Spieler*innen einen auf dem Spielplan verbliebenen Spielstein. Sie gewinnen dadurch nicht nur die durch das Steinchen symbolisierte Ressource für ihren Vorrat, sondern dürfen auch die entsprechende Aktion des Feldes auslösen, von dem sie den Einflussstein aufgehoben haben. Je nachdem können die Familienmitglieder jetzt eine Handwerkslehre machen, hergestellte Güter auf dem Markt verkaufen, auf Reisen gehen oder ihr Glück sowohl in der Kirche als auch Politik versuchen.
Sind alle Einflusssteine vom Spielbrett genommen, wird eine Messe gelesen (die Familienmitglieder, die für ein geistliches Amt erwählt wurden, treten in Aktion) und eine neue Runde beginnt.
Für wen ist das etwas?
Für ein Kennerspiel gehört Village zu den leichter verständlichen Vertretern seines Genres. Es braucht eine Proberunde, um sowohl den Mechanismus als auch die Auswahl an Handlungsalternativen zu verinnerlichen. Danach spielt es sich jedoch unkompliziert. Die zwölfseitige Anleitung ist übersichtlich und gut verständlich gestaltet. Zwölfjährige (Mindestalter laut Verlag) können mit Älteren problemlos mitspielen. Für eine Spielrunde unter Gleichaltrigen sollten die Spieler*innen jedoch ein wenig älter sein.
Für die dunkle und kalte Jahreszeit auf der Suche nach einem abwechslungsreichen Spiel für Familie und Freundeskreis mit Suchtfaktor?
Village ist für diejenigen ein wundervolles Weihnachtsgeschenk, die bisher selten bis gelegentlich spielen, für die dunkle und kalte Jahreszeit jedoch auf der Suche nach einem komplexeren und abwechslungsreichen Spiel für Familie und Freundeskreis mit Suchtfaktor sind. Kirchenmitglieder und Theologieinteressierte werden über den schwarzen, undurchsichtigen Sack für die Bewerberinnen und Bewerber um ein kirchliches Noviziat schmunzeln. Wie intelligent und anregend die Endlichkeit des Menschen, die Limitation seiner Lebensentwürfe und das Thema Tod umgesetzt sind, gehört zu den Stärken des Spiels.
In der Schachtel des Spiels findet sich sowohl eine englisch- als auch eine deutschsprachige Anleitung. Das Spiel selbst kommt mit Symbolen, also ohne Schriftsprache auf Aktionskarten etc., aus. Es eignet sich also bestens für international besetze Spielerunden.
Village von Inka und Markus Brand ist im Pegasus-Verlag erschienen. Es kostet 30–35 €. Mittlerweile gibt es zwei Erweiterungen. Sie ermöglichen jeweils eine/n fünfte/n Mitspieler*in. Das Dorf bekommt entweder ein Wirtshaus oder einen Hafen hinzu.
T.I.M.E Stories
Durch die Zeit reisen und als Ermittler*innen gemeinsam Fälle lösen.
Was ist das und worum geht es?
Durch die Zeit reisen und als Ermittler*innen gemeinsam Fälle lösen – darum geht es bei T.I.M.E Stories. Die Spieler*innen übernehmen die Rolle von Zeitagent*innen, die an unterschiedlichen Orten und zu verschiedenen Zeiten Störungen im Verlauf der Zeit nachgehen. Sie lösen Rätsel, spüren Artefakte auf und stellen sich gefährlichen Widersacher*innen. Dabei werden die Spieler*innen immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt. Denn T.I.M.E Stories lebt davon, dass regelmäßig Erweiterungen erscheinen, welche die Spieler*innen mit neuen Fällen und Geschichten unterschiedlicher Genres konfrontieren.
Wie spielt man das?
T.I.M.E Stories ist ein kooperatives Spiel. Das heißt, die Spieler*innen spielen zusammen und entweder lösen sie den jeweiligen Fall gemeinsam oder verlieren. Jeder Fall besteht aus einem detaillierten, liebevoll illustrierten und vorsortierten Deck von Karten. Ein zentraler Bestandteil dieser Decks sind die Orte, welche die Agent*innen während ihrer Ermittlungen besuchen. An diesem Ort erfahren die Agent*innen etwas über ihren Fall. Zugleich wird die Handlung der Geschichte vorangetrieben: Vielleicht sehen sie verdächtige Personen oder potentielle Informant*innen. Oder alte Folianten, Graffiti oder ein Notizbuch erregen ihre Aufmerksamkeit. Oder eine verschlossene Tür oder ein Schrank warten darauf, mithilfe eines zuvor gefundenen Schlüssels oder eines Brecheisens geöffnet zu werden.
Ein kooperatives Spiel: Entweder lösen Sie den jeweiligen Fall gemeinsam oder verlieren.
Treffen die Spieler*innen an einem neuen Ort ein, wählen sie die entsprechenden Ortskarten aus dem Deck und breiten diese als ein großes Panorama auf dem Spielplan aus. Um mit den vorgegebenen Situationen, Personen und Gegenständen vor Ort zu interagieren, wählen die Agent*innen jeweils eine dieser Karten aus dem Panorama aus und lesen ihre Rückseite, die ihnen detailliertere Informationen liefert. Anschließend berichten sie den anderen Mitspieler*innen, was sie gesehen, gehört oder gefunden haben. Die einzelnen Fälle in T.I.M.E Stories leben also von den Erzählungen und Gesprächen der Spieler*innen. Diese tragen einerseits zur Stimmung des Szenarios bei, andererseits dienen sie dem Zusammentragen von Indizien.
T.I.M.E Stories lebt von den Erzählungen und Gesprächen der Spieler*innen.
Das Sammeln von Indizien ist notwendig, denn die einzelnen Fälle stecken voller Rätsel, die es teilweise in sich haben und die die Agent*innen zwingen, aufmerksam die gesammelten Informationen und Gegenstände miteinander zu verbinden. Indem sie dies tun, stoßen die Spieler*innen auf immer neue, anfänglich nicht zugängliche Orte. Die Handlung der Geschichte geht dadurch weiter, bis die Agent*innen – meist nach einem großen Finale – die Lösung eines Falls herausfinden.
Dabei gibt es in den einzelnen Fällen häufig mehrere Wege zur Lösung. Allerdings sind die Ressourcen begrenzt und nicht alle Möglichkeiten können ausprobiert werden. Denn das Reisen zu einem neuen Ort kostet jedes Mal Zeit. Ist diese aufgebraucht, ist die Mission gescheitert. Die Agent*innen kehren dann zu ihrem Einsatzleiter zurück, erhalten den ein oder anderen Hinweis und können den Fall mit dem bis dahin gesammelten Wissen erneut beginnen.
Im Zentrum steht, dass die Spieler*innen gemeinsam eine Geschichte erleben.
Mit all diesen Facetten ist T.I.M.E Stories weniger ein klassisches Brett- oder Gesellschaftsspiel. Vielmehr bedient es sich Erzähltechniken aus Unterhaltungsliteratur und Film, gemischt mit Elementen von Rollen- und Videospielen in der Ästhetik des Comics und rundet diese durch Mechaniken von Gesellschaftsspielen ab.
Im Zentrum steht, dass die Spieler*innen gemeinsam eine Geschichte erleben. Das heißt auch, dass man nach der Lösung eines Falls wie nach dem Lesen eines Kriminalromans weiß, wie dieser ausgeht. Damit haben die einzelnen Fälle von T.I.M.E Stories praktisch keinen Wiederspielwert. Das ist jedoch ein Manko, das man gerne in Kauf nimmt, da regelmäßig neue Fälle erscheinen, die zum Thema passend unterschiedlich illustriert sind und im Hinblick auf die Regeln immer wieder neue Akzente setzen.
Der Verlag schöpft popkulturell aus dem Vollen – auch mit religiösen Motiven.
Dabei schöpft der Verlag popkulturell aus dem Vollen: Ob Antarktisexpedition, Mittelalterfantasy, Grabräubertum à la Indiana Jones, Horror in einer Nervenheilanstalt oder Spanien zur Zeit der Reconquista – für jeden Geschmack ist ein Fall dabei, wenn die Spieler*innen ein wenig Affinität zum Fantastischen haben. Ein kurzes Einsteigerszenario mit dem Titel Santo Tomás de Aquino erscheint im Dezember 2017. Allerdings geht es hier nicht um den heiligen Thomas, sondern es handelt sich um ein Seefahrtsabenteuer auf einem nach ihm benannten Schiff. Und vielleicht finden die Agent*innen nach mehrmaligem Spielen Hinweise auf eine Story, die sich über die Grenzen der einzelnen Fälle hinaus entwickelt…
Für wen ist das was?
T.I.M.E Stories ist ein Spiel für 2-4 Spieler*innen ab 14 Jahren,[2] die gemeinsam an einem oder zwei Abenden eine Geschichte erleben möchten. Dabei braucht das Spiel die volle Aufmerksamkeit und spielt sich nicht einfach nebenbei – nicht umsonst wurde T.I.M.E Stories zum Kennerspiel des Jahres 2016 nominiert.[3] Wer sich darauf einlässt wird allerdings mit einem anspruchsvollen Spielerlebnis belohnt, das anders ist und die Grenzen klassischer Gesellschaftsspiele auslotet. Spieler*innen sollten wegen der Zeitreisethematik Fantasy- und Sci-Fi-Themen gegenüber aufgeschlossen sein.
Zudem sollten sie Spaß an Kommunikation haben: Nicht nur leben die einzelnen Fälle davon, dass man das an den unterschiedlichen Orten Gesehene und Gehörte an seine Mitspieler*innen der Situation entsprechend spannend weitergibt. Auch muss man auf die Details achten und scheinbar unzusammenhängende Informationen verknüpfen, um die einzelnen Rätsel im Verlauf der Fälle lösen zu können. Und apropos Rätsel: diese können ganz schön anspruchsvoll werden und zwingen die Spieler*innen nicht selten zu einem Denken außerhalb der Zusammenhänge des Spiels.
T.I.M.E Stories von Manuel Rozoy ist 2015 bei Space Cowboys/Asmodee erschienen. Das Grundspiel mit dem ersten Fall kostet ca. 40€. Bis jetzt sind 5 weitere Fälle erschienen, die jeweils um die 25€ kosten.
Terraforming Mars
Was ist das und worum geht es?
Elon Musk, Tesla-Gründer, ist ein Visionär. Mit seiner Firma Space-X entwickelt er ein Programm, das 2022 eine erste Cargomission zum Mars schicken soll. Diese soll Ressourcen sichern sowie eine grundlegende Versorgung auf dem Mars aufbauen – inklusive „power, mining, and life support infrastructure“.[4]
Der Mars ist ein Projektionsraum dafür, wie ein Leben jenseits der Erde weitergehen könnte.
Ob man an das Projekt glaubt oder es als eine Phantasie im Bereich des Science-Fiction abtut: Der Mars ist ein Projektionsraum dafür, wie ein Leben jenseits der Erde weitergehen könnte. Diese Spekulationen über die Besiedelung des Mars, die Züge eschatologischer Hoffnung tragen, werden in den verschiedensten Medien aufgegriffen. Darunter auch in Brett- und Gesellschaftsspielen. Das zeigt die erhöhte Zahl an Publikationen dieses Genres, bei denen Autor*innen das Mars-Thema aufgreifen. Dazu gehört auch Terraforming Mars, ein Spiel des schwedischen Autors Jacob Fryxelius.
Wie spielt man das?
In Terraforming Mars versuchen die Spieler*innen in der Rolle verschiedener Konzerne und Interessensgruppen, den Mars zu „terraformen“. Das heißt, ihn durch biologische, geologische und meteorologische Eingriffe bewohnbar und lebensfreundlich zu machen. Sie passen den CO2-Gehalt und die Temperatur des Roten Planeten der Erde an, fluten Krater mit Wasser, um Ozeane entstehen zu lassen, pflanzen Wälder und bauen Städte, um lebenswerte Räume zu schaffen.
Gewinner*in ist, wer am meisten zur Verwandlung des Mars beigetragen hat.
Dabei stehen die Spieler*innen im Wettstreit. Wenn genügend Krater geflutet und Ozeane angelegt und die Temperatur- und der Sauerstoffgehalt erdähnlich sind, endet das Spiel und Gewinner*in ist, wer am meisten zu dieser Verwandlung des Mars beigetragen hat.
Diese Veränderungen an Atmosphäre und Oberfläche des Roten Planeten nehmen die Spieler*innen vor, indem sie im Laufe des Spiels verschiedene Projekte verwirklichen. Projekte sind auf den Handkarten der Spieler*innen abgebildet, die diese zu Beginn ihres Zuges erhalten. Darunter finden sich technische Maßnahmen wie Städtebau oder die Entwicklung von Transporttechnologien, biologische Maßnahmen, wie das Pflanzen von Mangroven und die Einführung von Haustieren auf dem Mars oder wirtschaftliche Maßnahmen, wie die Aufnahme eines Kredites zur Projektfinanzierung oder die Bildung eines Kartells.
Taktische Herausforderung: langfristig denken.
Allerdings müssen die Spieler*innen abwägen: Nachdem sie zum Start einer Runde Projekte gezogen haben, müssen für die Karten, die sie auf der Hand behalten möchten, Ressourcen gezahlt werden. Diese Ressourcen – z.B. Credits, Erze, Energie – erhalten die einzelnen Terraformer*innen zwar am Ende ihrer Runde aus den bereits realisierten Projekten. Jedoch müssen sie weitere Ressourcen investieren, wenn sie Projekte von ihrer Hand ausspielen und damit realisieren möchten.
Hier liegt auch die taktische Herausforderung von Terraforming Mars: Die Spieler*innen müssen geschickt eine Hand voller Projekte aufbauen, die zu ihrer Strategie passt. Wollen sie sich auf das Schürfen von Erzen konzentrieren, auf das Pflanzen von Wäldern oder auf das Erhöhen der Temperatur auf dem Mars? Nach dem Bezahlen der Karten müssen schließlich noch genügend Ressourcen übrigbleiben, um die Karten während der einzelnen Züge ausspielen und die Projekte somit realisieren zu können. Es empfiehlt sich beim Aufbau der Hand und beim Verbrauchen der Ressourcen langfristig zu denken.
Für wen ist das etwas?
Terraforming Mars ist ein mittelschweres Strategiespiel für 1–5 Spieler. Der Verlag weist es als Spiel ab 12 Jahren aus, was recht optimistisch ist. Es handelt sich also um ein Spiel für ältere Spielgruppen, die sich Zeit für einen gemeinsamen Spieleabend genommen haben – zum Beispiel in den Weihnachtsferien. Das Interesse, mittelschwere Strategiespiele zu erlernen, sollte vorhanden sein. So eignet sich das Spiel z.B. dann, wenn man erste Erfahrungen mit leichteren Strategiespielen (z.B. mit dem Klassiker Siedler von Catan) gemacht hat und nun tiefer einsteigen will. Denn viele verschiedene Wege und Strategien führen zum Ziel in einem Spiel von 90-120 Minuten – wobei diese Zeitangabe für jene gilt, die das Spiel bereits kennen.
Ein mittelschweres Strategiespiel: volle Spielerfahrung ab dem zweiten Spiel.
Die volle Spielerfahrung gibt es mit Terraforming Mars also ab dem zweiten Spiel, wenn die Spieler*innen wissen, was sie tun, und gezielt auf eine Strategie hinarbeiten. Dabei besticht das Spiel durch seine taktische und planerische Tiefe und seine reibungslos ineinandergreifenden Spielmechaniken, die stets stimmig auf das Thema des Terraformings bezogen sind. Nicht umsonst wurde das Spiel deshalb in die Shortlist zum „Kennerspiel des Jahres 2017“[5] aufgenommen und erhielt im selben Jahr den „Deutschen Spielepreis.[6] Wenn dann nach einigen Partien mehr Abwechslung gewünscht wird, können die Erweiterungen Venus next und Hellas & Elysium hinzugezogen werden.
Terraforming Mars von Jacob Fryxelius ist auf Deutsch im Schwerkraft-Verlag erschienen. Es kostet 60€.
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[1] Harald Schrapers, Die Gesellschaft verdrängt die Musterfamilie, in: spielbox. Das Magazin zum Spielen 36, 4 (2016) 6-7.
[2] So die Einschätzung der Community bei https://boardgamegeek.com/boardgame/146508/time-stories
[3] http://www.spiel-des-jahres.com/de/time-stories
[4] http://www.spacex.com/mars
[5] http://spieldesjahres.com/de/die-nominierten-2017-stehen-fest
[6] http://www.spiel-essen.com/gewinne_deutscher_spielepreis.html
Simon Harrich ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in Münster.
Gerrit Spallek ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in Hamburg.
Beitragsbild: Eggertspiele