Das 50-Jahre-Jubiläum des Frauenstimmrechts in der Schweiz gibt Anlass für einen Rückblick auf die damaligen Argumente der Gegner (und Gegnerinnen). Diese zeigen verblüffende Ähnlichkeiten mit dem heute immer noch vorgebrachten Argumentarium gegen die Priesterinnenweihe in der katholischen Kirche. Die Juristin Denise Buser zeigt auf, was aus dem Kampf für das Frauenstimmrecht für die Durchsetzung der Priesterinnenweihe gewonnen werden kann.
Der 1971 endlich erfolgten Einführung des Frauenstimm- und wahlrechts in der Schweiz auf nationaler Ebene gingen mehrere Anläufe und ein über hundert Jahre dauernden Aufklärungskampf voraus.[1]
Die Ausgangslage war für die ablehnende Seite gar nicht so einfach, da seit der Gründung der bundesstaatlichen Schweiz 1848 ein Rechtsgleichheitsgebot in der Verfassung stand („Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich.“), das vor allem auch die politische Gleichheit umfasste.
„Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich.“ (Schweizer Bundesverfassung von 1848)
Eine wegen den unterschiedlichen Sphären nicht direkt vergleichbare, aber doch ähnliche Ausgangslage liegt bei der katholischen Kirche mit der Bibelstelle Gal 3,28 vor, die ausdrücklich festhält, dass es keine Unterschiede zwischen Mann und Frau vor Christus gibt. In den Worten Schüssler Fiorenzas sind alle (getauften) Personen ungeachtet ihrer „sozialen Rollen (…) Vollmitglieder der christlichen Bewegung“.[2] Man könnte von einem Gleichheitsprinzip im Bibelformat sprechen. Auch hier ergibt sich eine Schräglage im Hinblick auf die fehlende Priesterinnenweihe und die damit verbundene Diskriminierung der Katholikinnen.
„Da gibt es nicht männlich und weiblich. Denn ihr alle seid eins in Christus Jesus.“ (Gal 3,28c)
Im schweizerischen Bundesstaat wurde zunächst das liberale Prinzip der Gleichheit der Individuen einfach nicht auf beide Geschlechter angewendet. Damals überwog die Auffassung, Frauen würden ihrer „Natur“ gemäss anders, aber trotzdem grundsätzlich gleichwertig behandelt, auch wenn sie sich nicht auf das Rechtsgleichheitsprinzip der Schweizer Bürger berufen können.
1887 dehnte das höchste Bundesgericht in Lausanne diese Lesart noch aus, indem es der ersten Juristin der Schweiz alleine aufgrund ihres Geschlechts das Aktivbürgerrecht absprach, und ihr damit auch das Recht der Parteivertretung vor Gericht versagte, weil dafür das Aktivbürgerrecht vorausgesetzt wurde. Obwohl das Rechtsgleichheitsprinzip in der Verfassung eigentlich etwas anderes sagte, hiess es in der Urteilsbegründung: „Allerdings schliessen weder die Bundes- noch die zürcherische Kantonsverfassung die Frauen vom Stimmrecht ausdrücklich aus; allein mit Rücksicht auf die gesamte geschichtliche Entwicklung ist doch ohne Weiteres [kursiv durch die A.] anzunehmen, dass dieselben unter den Bürgern, welchen das Stimmrecht verliehen wird, nur Bürger männlichen Geschlechts, nicht auch Bürgerinnen verstehen.“[3]
„… allein mit Rücksicht auf die gesamte geschichtliche Entwicklung…“
Ist man hier nicht an vatikanische Aussagen über die ausschliesslich durch Männer mögliche Ausübung des Priesteramts erinnert? Während die längst überholte Aussage des Bundesgerichts allerdings von 1887 stammt, argumentiert die katholische Kirche noch im 21. Jahrhundert mit dem Geschlechterargument und reduziert Frauen auf ihren biologischen Körper.
Rolle der Frau wird hochstilisiert
Doch zurück zum Frauenstimmrecht. Auf dem langen Weg zu seiner Realisierung führte sodann das gegnerische Feld immer wieder die unterschiedlichen Rollen von Mann und Frau ins Feld. Das gestattete nämlich, die angeblich politikunverträgliche Rolle der Frauen mit einem Lob zu verbinden. Indem man den Status der Frauen in der Familien- und Haushaltarbeit sehr hoch ansetzte, schien es umso leichter zu fallen, die Teilnahme der Frauen im politischen Bereich, klein zu reden und ganz abzulehnen. Diese Hochstilisierung der Frauenrolle in den erwünschten Bereichen ermöglichte es auch den Frauen des Nein-Lagers, das Lied über die Vorbildrolle der Frau in Familie und Haushalt, die gar kein Stimmrecht nötig habe, mitzusingen. Diese Botschaft über die zwar unterschiedliche, aber umso lobenswertere Rolle der Frau im verklärten Bereich von Familie und Haushalt konnte auch grafisch auf den diversen Abstimmungsplakaten perfekt kommuniziert werden. Durchaus auch in der Anti-Darstellung der tadelnswerten, „unnatürliche“ Rechte einfordernden Frauen, Urheberinnen für Chaos und Streit im trauten Familienhort.
Geschlechterstereotype
Auch in der katholischen Kirche wird bei der Frage der fehlenden Priesterinnenweihe auf Geschlechterstereotype zurückgegriffen, indem die andersartige Rolle der Frau in der Kirche hochstilisiert und zu einem wertvollen, frauenspezifischen Beitrag mit grosser Bedeutung erklärt wird. Auf diese Weise wird das Begründungsdefizit gegenüber der in der Bibel postulierten Unterschiedslosigkeit zwischen Frau und Mann vor Christus ausgehebelt. In diese einseitige Rollenzuordnung passt es dann auch, dass das Gutachten der Bibelkommission von 1976, wonach die Bibel gerade keinen Ausschluss der Frau für das priesterliche Amt enthalte, schubladisiert wird.
Einzelne Frauen exponieren sich
Im Kampf für die (politische) Rechtsgleichheit der Schweizerinnen schreckten einzelne Frauen auch vor Gerichtsprozessen nicht zurück. 1923 ging die Juristin Dora Roeder vor das Bundesgericht, um sich gegen das freiburgerische Gesetz zu wehren, welches Frauen wegen fehlenden Stimmrechts vom Erwerb eines Anwaltspatents ausschloss. Sie bekam Recht. In einer fast schon unwilligen Bemerkung hielten die Lausanner Richter fest, dass man zwar den Frauen beim Stimmrecht weiterhin den Zugang verwehre, im Wirtschaftsleben verlangten Zeitgeist und Gesetz hingegen die Öffnung für Frauen.
Die Zeit beim Frauenstimmrecht schien lange still zu stehen.
Ähnlich wie heute beim Frauenpriestertum schien jedoch die Zeit beim Frauenstimmrecht sehr lange still zu stehen. Litaneiartig wurde die augenfällige Ungerechtigkeit – nämlich der Ausschluss der Hälfte von der Demokratie – verteidigt, wobei die vorgebrachten Argumente der andersartigen Frauenrolle letztlich sinnwidrig waren, denn Demokratie hat nichts mit dem Geschlecht zu tun.
Noch 1957 lehnte das Bundesgericht die Beschwerde von Antoinette Quinche, Präsidentin des Schweizerischen Aktionskomitees für das Frauenstimmrecht, und ihrer Westschweizer Mitstreiterinnen ab. Die Frauen hatten den Eintrag ins Stimmregister verlangt, da die kantonale Verfassung Schweizerinnen nicht ausdrücklich vom Stimmrecht ausschlösse. Das Bundesgericht berief sich wiederum auf den Standpunkt, wonach der Ausdruck „Suisses“ die Frauen nicht miteinschliesse. Dem Bundesgericht lag 33 Jahre später ein Parallelfall aus dem Kanton Appenzell-Innerrhoden vor, der das Frauenstimmrecht auf kantonaler Ebene immer noch verweigerte. Das Bundesgericht stellte nun seine Begründung von 1957 auf den Kopf und führte per Gerichtsentscheid das appenzell-innerrhodische Frauenstimmrecht ein. Geht doch!
Der Ausdruck „Suisses“ schliesse die Frauen nicht mit ein.
Erst als die Schweizerinnen, ab 1971 ausgestattet mit dem Stimm- und Wahlrecht, im Gesetzgebungsprozess strukturell und in den Behörden mitwirken konnten, wurde die Gleichstellung der Geschlechter auf Verfassungs- und Gesetzesebene auf breiter Basis vorangetrieben. Die ersten wichtigen Stationen waren 1981 die Erweiterung der Rechtsgleichheit in der Verfassung durch die Formulierung „Mann und Frau sind gleichberechtigt“, die Schaffung eines Gleichstellungsgesetzes im Jahr 1996 und die Ratifikation des UNO-Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, das 1997 in der Schweiz in Kraft trat.
Man lässt die Frauen anrennen
Soweit man sich beim Frauenstimmrecht weigerte, unter „Schweizer“ auch „Schweizerinnen“ zu verstehen, verwies man die Frauen auf den Weg der Verfassungsrevision an der Urne, wohlwissend, dass die Frauen dabei ein willkürliches Männerveto riskieren. Dabei hätte man das Frauenstimmrecht auch durch eine fortschrittliche Auslegung des seit 1848 in der Bundesverfassung stehenden Rechtsgleichheitsprinzips zumindest auf kantonaler Ebene einführen können, mit dem entsprechenden Impuls auf die Bundesebene.
die römische Männerkirche hat es in der Hand
Auch bei der katholischen Frauenfrage lässt man die Katholikinnen anrennen, denn nur die römische Männerkirche hat es in der Hand, den Codex aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse zu revidieren und einen zukunftsorientierten Umgang mit dem päpstlichen „Endgültig-Nein“ zur Frauenordination von 1994 zu finden.[4] Die katholische Aufbruchsstimmung der 70-er Jahre kippte in den 90-er Jahren wieder in eine konservative Erstarrung, aus der sich die Kirche bis heute nicht gelöst hat. Auch die Sexskandale in den eigenen Reihen scheinen in der Amtskirche niemanden wirklich wachzurütteln. Stattdessen werden legal abtreibende Frauen als Auftragsmörderinnen betitelt und homosexuelle Lebensgemeinschaften für gestört erklärt.
Potential des Kirchenvolks
Während das Frauenstimmrecht in der Schweiz seit 50 Jahren verwirklicht ist, steckt die katholische Kirche noch im 21. Jahrhundert bei der anachronistischen Mann-Frau-Rollenzuschreibung fest.
Die auffallend akribische Aufzählung von Argumenten gegen die Gleichstellung – man wird dabei an die jahrzehntelange fruchtlose Stagnation beim Frauenstimmrecht erinnert – erscheint zudem auf dem Hintergrund neuer Geschlechterdiskurse in unserer Zeit (Stichworte Queerness und Transgender) als wenig konstruktiv. Und wie in den Phasen des ärgsten Widerstands (der männlichen Stimmbürger) gegen das Frauenstimmrecht scheinen Vernunftgründe in der katholischen Kirche keine Rolle zu spielen. Gründe für die geschlechterunabhängige Priesteramtsausübung – nämlich Gerechtigkeitsüberlegungen[5], Ernstnehmen der Berufung von Theologinnen, Priestermangel etc. – werden ausgeblendet.
Gründe für die geschlechterunabhängige Priesteramtsausübung werden ausgeblendet.
Eine Lehre aus dem Kampf um das Frauenstimmrecht könnte sein, dass die Geltendmachung des Diskriminierungsverbots, das schon in der Bibel angesprochen wird, stärker zum Ausdruck kommt. Dies könnte durch die Aufnahme von entsprechenden Gleichstellungsbestimmungen in den katholischen Kantonal- und Gemeindeverfassungen leicht erreicht werden.[6] Das Potential der kantonalen Kirchenverfassungen und Organisationsstatute liegt diesbezüglich noch weitgehend brach.[7]
Man darf die Signalwirkung nicht unterschätzen, wenn plötzlich flächendeckend der Zugang zur priesterlichen Weihe unabhängig vom Geschlecht in verbindlichen Rechtsdokumenten, verabschiedet durch das Kirchenvolk oder die Kirchenparlamente, festgehalten wird. Zum einen würde dadurch der Druck gegenüber den amtskirchlichen Behörden erhöht. Zum anderen wäre das mutige Engagement vieler Frauen, die es nicht nur unter den früheren Stimmrechtskämpferinnen, sondern auch unter Katholikinnen gibt, in einen solidarischen Kontext eingebettet, so dass sie sich nicht alleine exponieren müssen.
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Denise Buser, em. Titularprofessorin für kantonales öffentliches Recht, Mitglied des Forschungsnetzwerks Recht und Religion, Juristin, Autorin, Basel
Bild: Impression aus der Ausstellung «Eine Stimme haben. 50 Jahre Frauenstimmrecht Luzern», Historisches Museum Luzern, Foto: Priska Ketterer
[1] Eine chronologische Übersicht findet sich auf https://ch2021.ch/geschichte/ (abgerufen am 13.04.2021).
[2] Elisabeth Schüssler Fiorenza, Zu ihrem Gedächtnis, Eine feministisch-theologische Rekonstruktion der christlichen Ursprünge, München 1988, S. 263.
[3] Bundesgerichtsentscheid 13 I 1 (1887), S. 6; publiziert unter https://www.servat.unibe.ch/dfr/c1013001.html (abgerufen am 13.04.2021).
[4] Canon 1024 des Codex Iuris Canonici (CIC) lautet: „Die heilige Weihe empfängt gültig nur ein getaufter Mann.“ Im Schreiben Ordinatio Sacerdotalis (1994) von Papst Johannes Paul II. an die Bischöfe der katholischen Kirche, wird das endgültige Nein betr. Frauenordination festgehalten (http://www.vatican.va/content/john-paul-ii/de/apost_letters/1994/documents/hf_jp-ii_apl_19940522_ordinatio-sacerdotalis.html, abgerufen am 13.04.2021).
[5] Dazu gibt es durchaus Ansätze in den Verlautbarungen des II. Vatikanischen Konzils. So sah Papst Johannes XXIII. es als „Zeichen der Zeit“, dass „die Frau am öffentlichen Leben teilnimmt“ (Enzyklika „Pacem in Terris“ Ziff. 41). Akzentuierte Aussagen zur Gleichheit von Frauen und Männern finden sich aber auch in den Konzilsdokumenten „Lumen Gentium“ und „Gaudium et spes“. Vgl. dazu Stella Ahlers, Gleichstellung der Frau in Staat und Kirche – ein problematisches Spannungsverhältnis, Münster 2006, S. 56 ff., 66, 67 ff.
[6] In der Mehrzahl der schweizerischen Kantone haben die Kantonalkirchen eine Kirchenverfassung oder ein Organisationsstatut (vgl. dazu Denise Buser, Die Selbstbindung von Religionsgemeinschaften an die Geschlechtergleichstellung im Arbeitsbereich, in: Andreas Stöckli, Anne Kühler, Felix Hafner und Kurt Pärli, Recht, Religion und Arbeitswelt, Zürich/St. Gallen 2020, S. 344 ff.)
[7] Nur die Kantonalkirchen von Basel-Stadt und Basel-Landschaft kennen Gleichstellungsbestimmungen mit Bezug auf den Zugang zur priesterlichen Weihe unabhängig vom Geschlecht in ihren Kirchenverfassungen. In der künftigen Verfassung der Thurgauer Kantonalkirche soll festgehalten werden, dass sich die Landeskirche «für die Gleichstellung von Mann und Frau in allen Ämtern und Aufgaben der katholischen Kirche» einsetzt. Die Volksabstimmung findet am 13. Juni 2021 statt (siehe dazu https://www.kath-tg.ch/de/kog-revision, abgerufen am 13.04.2021).