Die Doktorandinnen Monika Kling (Aachen/Innsbruck) und Agnes Slunitschek (Münster) berichten vom Kongress „Das Konzil ‚eröffnen'“ (6.-8. Dezember 2015, Katholische Akademie München).
Wir gehören zu den Enkelkindern der Konzilsgeneration. Als das Zweite Vatikanische Konzil vor 50 Jahren beendet wurde, waren wir noch lange nicht geboren. Wir, die wir 20 Jahre nach seinem Abschluss geboren wurden, kennen die Kirche somit nur in ihrer nachkonziliaren, westdeutschen Gestalt. Das Zweite Vatikanische Konzil könnte für uns also eine reine Episode der Vergangenheit, ein Ereignis im Leben unserer Großeltern, sein. Doch das ist es nicht, zumindest nicht nur. Trotz der zeitlichen Distanz ist das Konzil für uns aktuell und prägt unsere Theologie sowie unser theologisches Selbstverständnis. Unsere Theologie nimmt in der Grundausrichtung des Konzils ihren Ausgang. Daher wollten wir bei der Tagung deutschsprachiger Theolog_innen anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Zweiten Vatikanischen Konzils dabei sein. Die Anwesenheit vieler Wissenschaftler_innen verschiedener Disziplinen, Nationalitäten und Altersklassen versprach spannende Vorträge, kontroverse Diskussionen und anregende Gespräche. Dass wir als Nachwuchswissenschaftler_innen unsere Forschungsprojekte präsentieren sollten, überraschte und erfreute uns.
Blicken wir nun auf die Konferenz zurück, fällt das Fazit recht gemischt aus. Als gewinnbringend empfanden wir die Arbeitsform der Panels. In thematischen Kleingruppen wurde nach Impulsvorträgen verschiedener Fach- und Generationenvertreter_innen intensiv diskutiert. Hier konnten die ca. 170 Expert_innen, überwiegend deutschsprachige Professoren und Professorinnen, ihr Wissen einbringen und miteinander verknüpfen. Dadurch brachte der Austausch neue Impulse und Denkanstöße. In den Panels lag die große Chance der Veranstaltung, verschiedene Zugänge zusammenzubringen und kreativ zu nutzen. Leider gelang dies nur begrenzt, u.a. wegen des Versuchs, möglichst viele Impulsreferate einzubringen, und des unklar formulierten Zieles, am Ende eine gemeinsame Erklärung zu verfassen.
Mehr Mut zu Konflikten
Wichtige Erkenntnisse, die wir mitnehmen, sind, den modus procedendi des Konzils ernst zu nehmen und auf allen Ebenen kirchlichen Lebens umzusetzen. Aber auch, dass es nun 50 Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil Zeit wird, sich nicht auf dem im Konzil angestrebten aggiornamento auszuruhen, sondern selbst ein aggiornamento des aggiornamentos, eine Verheutigung der Kirche angesichts der immer wieder neuen Herausforderungen der jeweiligen Zeit anzustreben. Ob es dazu eines Dritten Vatikanischen Konzils bedarf – wie es der Ausschreibeflyer des Kongresses andeutete -, bleibt für uns fraglich. Wichtiger erscheint uns das Plädoyer, der Komplexität der Kirche gerecht zu werden. Das bedeutet, in Leben und Struktur der Kirche zu realisieren, dass sie „die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche“ (LG 8) ist. Dies schließt einfache Wege aus und kann Konflikte mit sich bringen, die zuzulassen sind, um den gemeinsamen Glauben wahrhaft erkennen und ausdrücken zu können. Mehr Mut zu Konflikten wäre auch auf dem Kongress schön gewesen, denn ihm fehlte es an kritischen Stimmen oder Stimmen aus anderen Erfahrungshorizonten, sei es aus anderen Bezeugungsinstanzen der Kirche oder anderen Regionen der Welt. Trotz der Anwesenheit einiger Teilnehmer_innen aus dem Ausland dominierte die deutsche Perspektive und wurde der Anspruch eines internationalen Kongresses nur bedingt eingelöst.
Mit den Organisator_innen und vielen Teilnehmer_innen teilen wir das Anliegen, „Theologie im Dienst der Menschen und der heutigen Welt zu [treiben] (aggiornamento).“ Allerdings gingen uns die Gespräche und Konzepte auf dem Kongress hierzu oft nicht weit genug. Bekenntnisse zu den „Zeichen der Zeit“ oder zur „Identifikation mit den Marginalisierten“ blieben formelhaft und unkonkret. Die Entwicklung konkreter Visionen, wie z.B. die große Mehrheit der nicht Gehörten in der Kirche eingebunden, in der Theologie über die Pastoraltheologie hinaus „gehört“ oder als eigener Erkenntnisort der Theologie ernst genommen werden können, erfolgte nur am Rande. Stattdessen arbeiteten sich die Vorträge und Diskussionen immer wieder an der Verhältnisbestimmung von Lehramt und Theologie ab. Die Dominanz des Lehramts wurde wiederholt beklagt. Viele der genannten Beispiele schienen selbst uns Nachwuchswissenschaftlerinnen hinreichend bekannt zu sein. Zu dieser Beobachtung passend und vor dem Hintergrund der Kritik war doch erstaunlich war, dass der Papst, konkret Papst Franziskus, in vielen Beiträgen Thema war und viel Lob erfuhr.
Zeichen der Zeit im Jahr 2015
Vor dieser Folie schien uns manche Debatte eher auf eine Selbstvergewisserung der Theologie hinzuarbeiten. Dies erweckte in uns den Eindruck, an einem sehr stark „nach innen“ – auf die deutsche römisch-katholische Theologie – gerichteten Kongress teilzunehmen. Themen der Zeit wie die Flüchtlingsströme, ökologische Fragen und die Herausforderungen immer pluraler werdender Gesellschaften kamen dabei zu kurz.
Beispielhaft zeigten sich eine fehlende Weite und ein geringfügiger Einbezug des „Außens“ sowohl im Programm als auch in der Schlusserklärung z.B. hinsichtlich des Themas anderer Religionen oder auch der sogenannten „säkularen Öffentlichkeit“. Das Judentum hat breiten Raum eingenommen und unsere Verantwortung für die Erinnerung an die Shoah und für eine Theologie, die sich ihres jüdischen Erbes bewusst ist, nehmen wir sehr ernst. Dennoch sind wir im Hier und Heute in Deutschland immer stärker mit dem Islam konfrontiert. Viele Mitmenschen islamischen Glaubens leben mit uns in Deutschland, es kommen jeden Tag weitere hinzu, in den Medien hören wir täglich davon und wir begegnen ihnen Tag für Tag. Genauso begegnen wir in unserem Alltag Glaubenden, die ihre spirituellen Quellen abseits von der Institution Kirche gefunden haben, die zweifeln und suchen. Wie verorten wir uns innerhalb dieser Suchbewegungen – deren Teil wir, wenn wir ehrlich sind, oft genug selbst sind? Wäre es nicht an der Zeit gewesen, dies stärker zu thematisieren? Als Zeichen der Zeit im Jahr 2015?
Unsere Art, Theologie zu treiben: zuhörende ‚Partypastoral‘ in einer säkularen Welt
Ja, viele von uns Nachwuchswissenschaftler_innen, die am Kongress teilnahmen, treibt besonders die Frage nach einer Kirche mitten in der Welt von heute um. Darin unterscheiden wir uns sicherlich nicht von den anderen Kongressteilnehmer_innen. Vielleicht hängt das Gefühl, dass die Tagung dem nicht ausreichend gerecht wurde und hier ein Unterschied zwischen verschiedenen Altersklassen liegt, mit den uns eigenen Erfahrungen zusammen. Vielleicht liegt es daran, dass unser Theologesein bei Gleichaltrigen Überraschung hervorruft. Da sich immer weniger Gesprächspartner_innen überhaupt noch als gläubig bezeichnen, liegt ein Theologiestudium außerhalb ihrer Vorstellungswelt. Nicht selten haben wir erfahren, dass die Jobbezeichnung Theologin so manche WG-Tür bei der Zimmersuche zufallen lässt. Dennoch sehen wir darin keinen Anlass zur Resignation oder zum Rückzug, sondern versuchen uns an der Erklärung von Gottes Menschwerdung z.B. im Rahmen unserer persönlichen „Partypastoral“. Dementsprechend plädieren wir für eine Theologie, die sich solchen Situationen stellt und sie in ihr Theologietreiben integriert. So setzen wir – und unserer Wahrnehmung nach auch viele andere Nachwuchswissenschaftler_innen – in unseren Forschungsprojekten hauptsächlich bei einem vorgängigen Zuhören an, welches uns die Themen für unsere Reflexion der Konsequenzen für Theologie und Kirche liefert.
Im Gespräch mit anderen Teilnehmer_innen unseres Alters waren wir uns einig: Der Kongress traf unsere Sprache kaum und nur in Teilen unsere Art, Theologie zu treiben. Unter den Kongressteilnehmer_innen war viel Fachkompetenz vorhanden, die leider zu wenig ihr Potenzial entfalten konnte. Statt vieler Vorträge, die häufig unverbunden nebeneinander standen, wäre mehr Austausch, angeregt durch noch kürzere und eher provozierende als informierende Impulse, wünschenswert gewesen. Besonders spürbar wurde die nicht genutzte Chance zum Austausch während der Podiumsveranstaltung am Montagabend. Nach Kurzvorträgen, deren Zusammenhang unklar blieb, war keine Zeit mehr für ein Gespräch, das diesen hätte aufzeigen können. Ebenso wenig wurde das Plenum einbezogen. Es war eher ein Nebeneinander als ein Miteinander, oder als ein fruchtbringendes Gegeneinander – denn auch darin läge eine Chance. Reizvoll, wenn auch nicht einfach, hätten wir Begegnungen gefunden, die sich weniger harmonisch in das Teilnehmerfeld eingepasst, oder Diskussionsanregungen, die am Ende nicht zu einer einigenden Meinung geführt hätten.
Enttäuschend war für uns Nachwuchswissenschaftler_innen zuletzt der Raum bzw. besser der nicht vorhandene Raum – weder örtlich noch zeitlich -, der unseren Forschungsprojekten eingeräumt wurde. Zwar waren wir nicht die primäre Zielgruppe des Kongresses, dennoch erging im Voraus ein Call for Posters und damit eine Einladung an uns. Die Poster wurden gefühlt „in die Ecke“ gestellt, wie eine andere junge Theologin meinte. Während des Abendessens am Sonntag war leider nicht genug Zeit und Platz, die Poster adäquat anzuschauen und zu diskutieren. Die Einladung unsererseits für einen Austausch am Dienstagmittag verfehlte angesichts der unvollständigen Ankündigung ihr Ziel. Wir bedauern dies sehr, da wir von Hinweisen und Rückfragen sehr profitiert hätten und mit den anwesenden Professor_innen und Doktorand_innen gerne ins Gespräch gekommen wären. Denn auch wenn die Sprache des Kongresses nicht immer die unsere war, sehen wir keine Kluft zwischen den Generationen, sondern viele gemeinsame Anliegen und Themen, die uns umtreiben. Vielleicht hätte eine gute Mischung aus Erfahrung, Wissen und kritischen Rückfragen nicht nur uns weitergebracht.
Aggiornamento 2.0
Was nehmen wir vom Kongress „Das Konzil ‚eröffnen'“ also mit? Enttäuschung, aber nicht nur. Einerseits hatten wir das Gefühl, uns an „alten“ Fragen abzuarbeiten und daran müde zu werden, andererseits fragen wir uns, ob wir uns nicht genug getraut haben, unsere Sprache und Sichtweisen mit einzubringen. Einerseits fehlte uns die Möglichkeit zu Begegnung und Austausch in vielen Plenumsveranstaltungen und zwischen den Generationen, andererseits nehmen wir wertvolle Anregungen aus sehr konstruktiven Diskussionen in den Panels und in Einzelgesprächen mit.
Und ganz am Ende des Kongresses hat sich für uns doch noch etwas „eröffnet“: Wir Nachwuchswissenschaftler_innen haben es selbst in die Hand genommen und uns beim Mittagessen gegenseitig unsere Projekte – egal ob mit oder ohne Poster – vorgestellt. Aus diesem kurzen Zusammentreffen konnten wir neue Kontakte, Hinweise zu unseren Fragen und nicht zuletzt das Gefühl der gegenseitigen Wertschätzung und Bereicherung mitnehmen. So nahmen wir schließlich doch noch neuen Schwung, Entschlossenheit und die Verantwortungsbereitschaft mit, Teil des aggiornamentos des aggiornamentos zu sein.
(Monika Kling, Agnes Slunitschek)