Die Kolumne für die kommenden Tage 42
Ein historischer Kinosaal in Hannover, über 100 Jahre alt, wunderschön in Schuss gehalten. Benannt nach Apollon, dem griechischen Gott des Frühlings und Lichts, in dessen Zuständigkeitsbereich auch die Künste, insbesondere die Dichtkunst und die Musik fielen. Griechische Göttinnen und Götter haben, wie auch unsere Heiligen, stets ein erweitertes Portfolio der Hilfsdienstbarkeiten. Das besondere dieses Lichtspielhauses ist, dass es zugleich Kino und Kleinkunstbühne für Comedy, Kabarett und Zauberei ist. Wie oft bin ich da in den letzten Jahren aufgetreten. Mein Blick schweift über die verwaisten roten Kinosessel, die für ein Kabarettprogramm eigentlich immer ein Hauch zu bequem sind, weil man in ihnen so wohlig zu versinken droht. 200 leere Plätze. Drei ausverkaufte Vorstellungen hätte ich hier bis Juni gehabt.
Mit Galgenhumor ertragen
Mit meinem neuen Programm, das ausgerechnet den Titel „Keine Zeit für Pessimismus“ trägt und hier vor zwei Monaten erst Premiere hatte. Diese Titelwahl kann ich jetzt entweder mit Galgenhumor ertragen oder aber mich selbst beim Wort nehmen und positiv denken: Keine Zeit für Pessimismus! Aber das fällt nicht leicht. Nein, anders. Es fällt schwer! Sehr schwer! Von einem Tag zum nächsten brach das Einkommen weg. Die Tournee quer durchs Land abgesagt. Vorerst bis August, aber, wenn wir ehrlich sind, weiß doch keiner genau, wie lange wirklich. Einnahmen: Null! Ausgaben: Business as usual!
Das Gegenüber fehlt
Unabhängig vom Geld ist es unfassbar schwer, nicht vor Publikum stehen zu können und das zu machen, was ich bislang für meine Berufung hielt. Das Publikum ist elementarer Teil der Kunst. Kabarett ist ein Dialog. Das ändert auch kein Streaming. Einen Auftritt aus einem leeren Theater zu streamen, ist aber zumindest eine Chance, nicht ganz ins Bodenlose zu fallen. Irgendwie weiterzumachen. Aber so schön es ist, seiner Arbeit frönen zu dürfen, so sehr tut es doch weh, dass das Gegenüber fehlt, auch wenn der virtuelle Zuspruch Mut macht.
Nicht auf Sofa-Expert*innen hören
Eine Gesellschaft braucht Kultur! Braucht Theater und Kleinkunst genauso wie Literatur und Film. Auf eine ganz eigene Weise ist Kultur doch wohl systemrelevant. Wie sähe ein Land ohne Theater aus? Ohne Oper? Ohne Kabarett? Ohne Lesungen? Ohne Museen? Ohne das gemeinsame Erlebnis und den Austausch darüber. Ich will keine Politikschelte betreiben, dafür brach die derzeitige Situation viel zu schnell über uns alle herein. Ich möchte nicht in der Haut eines Politikers oder einer Politikerin stecken, der oder die jetzt Entscheidungen fällen muss, die so oder so massive Konsequenzen haben, die vielleicht sogar über Menschenleben entscheiden. Ich möchte nicht Tag für Tag von Lobbygruppen bedrängt oder von Schlagzeilen getrieben werden. Je länger aber die Krise dauert, umso mehr hoffe ich darauf, dass wir Künstler*innen von Politik und Gesellschaft zumindest wahrgenommen werden. Nicht nur als die, die heute verzweifelt ausrufen: „I have a stream!“ Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich finde die getroffenen Maßnahmen absolut richtig und notwendig! Und ich finde es auch richtig, angesichts einer solchen für uns nie dagewesenen Situation auf die Fachleute zu hören. Und zwar auf die, die das studiert und ihr Wissen im Labor vertieft haben und nicht auf die Sofaexpert*innen, die in den vermeintlich „sozialen“ Medien ihrer Wissenschaftsverachtung frönen. Was ich aber auch wichtig finde, ist, dass in all den Öffnungsdiskussionsorgien über die Notwendigkeit des Schraubenkaufs im Baumarkt und FehlendenSchraubenkaufs bei Ikea, dass bei allem Gerede über Dividenden und den Ifo-Geschäftsklimaindex die Kunst im vermeintlichen Lande der Dichter und Denker nicht vergessen wird. Und nicht die Menschen, ohne die es diese Kunst und Kultur nicht gäbe.
Kanonen zu Kunst, so sollte es sein.
Die Kunst war nie totzukriegen. Von jeder Krise hat sie sich erholt. Auch aus den Trümmern zweier Weltkriege ist sie auferstanden oder aber nie weg gewesen. Mir kommt Ernst Barlachs Skulptur „Der Schwebende“ in den Sinn, deren Zweitguss heute in der Antoniterkirche in Köln hängt. Das Original aus dem Güstrower Dom wurde als sogenannte „Metallspende“ eingeschmolzen. Kunst wurde zu Kanonen. Umgekehrt sollte es sein! Diese Skulptur machte etwas mit dem, der sie schuf, machte etwas mit denen, die sie betrachteten, sogar mit denen, die sie verachteten, und sie macht etwas mit uns, die mit dem Wissen von heute darauf schauen dürfen. Vielleicht ist es ein Beispiel dafür, wie wichtig Kunst gerade in der Krise ist. Und dass Kunst Krisen überlebt. Aber hinter der Kunst stehen Menschen, die durch das Erschaffen dieser Kunst leben wollen.
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Autor: Matthias Brodowy arbeitet als Kabarettist und lebt in Hannover (www.brodowy.com).
Foto: Rob Laughter / unsplash.com