Antonius ist einer der bekanntesten Heiligen. Erich Garhammer stellt diesen modernen Heiligen vor, nicht zuletzt anhand des Buches von Michael Köhlmeier über den „Mann, der Verlorenes wiederfindet“.
Historische Daten
Das Leben von Antonius von Padua kann schnell erzählt werden. Er stammt aus portugiesischem Adel, wird 1195 in Lissabon geboren. Mit 15 Jahren tritt er in den Orden der Augustinerchorherren ein, nach der Begegnung mit den Märtyrern des Franziskanerordens wechselt Antonius von den Augustinerchorherren in den Franziskanerorden. 1220 versucht er nach Marokko zu ziehen, um dort wie die franziskanischen Märtyrer zu predigen und für seinen Glauben zu sterben. Bekannt ist er als Schlamperlpatron. Der Versuch scheitert. 1221 nimmt Antonius am Generalkapitel der Franziskaner in Assisi Teil. Von da an widmet er sich bis zu seinem Lebensende der Predigt, vor allem in Italien. 1231 stirbt Antonius in der Nähe von Padua.
Bekannt ist er als Schlamperlpatron
Ein Jahr später wird er von Papst Gregor IX. heiliggesprochen. Bestattet liegt Antonius in Padua, wo ihm zu Ehren eine große Wallfahrtskirche gebaut wurde. Dargestellt wird er als Franziskaner in der mit dem Strick gegürteten Kutte. Bekannt ist er als Schlamperlpatron, als der Heilige, der dafür sorgt, dass man Verlorenes wieder findet.
Die Legende
Man könnte sein Leben aber auch nach der Legende erzählen, der sogenannten „Legenda assidua“. „Nachdem er die heiteren Jahre seiner Kindheit ruhig in der Familie verbracht hatte, vollendete Fernando glücklich sein 15. Lebensjahr. Da mit der Pubertät die Versuchungen des Fleisches zunahmen und er sich mehr als gewöhnlich davon gepeinigt fühlte, gewährte er doch der Jugend und der Lust keinen freien Lauf, sondern zog der bedrängenden fleischlichen Begierde die Zügel an und besiegte auf diese Weise die schwache menschliche Natur. Mit den alltäglichen Kontakten wurde ihm die Welt ekelerregend – so, dass er den Fuß, der noch nicht ganz die Schwelle berührt hatte, zurückzog. Denn er fürchtete, dass der Staub der irdischen Freuden an ihm haften bleiben könnte und ein Hindernis sei für ihn, der schon im Geiste die Wege des Herrn ging.“
Michael Köhlmeiers Antonius
Ganz anders erzählt Michael Köhlmeier in seiner Novelle „Der Mann, der Verlorenes wiederfindet“ die Geschichte von Antonius von Padua. Er erzählt seine letzten Lebenstage, wie er von Camposampiero nach Padua gebracht werden soll, aber schon zu schwach ist und die Kutsche Halt machen muss in Arcella auf dem Platz vor dem Kloster.
Alle Zuhörenden hören eine andere Predigt, hören sie so, wie sie sie in ihrer Situation brauchen.
Antonius von Padua, dem der Ruf eines begnadeten Predigers vorausgeht, hält seine letzte Predigt. Alle Zuhörenden hören eine andere Predigt, hören sie so, wie sie sie in ihrer Situation brauchen. Als eine politische Predigt, als eine Predigt der Liebe, als eine Predigt der Barmherzigkeit.
Antonius reflektiert noch einmal den Weg seiner Berufung, wie er Mönch geworden war. Er erinnert sich an seinen Großvater, der ihm das Leben beigebracht und ihm viele Märlein erzählt hat, unter anderem die Geschichte, dass er als Kind sich im Wald verirrt hatte und von einem Bären gerettet wurde. Er trat dabei in eine Wolfsfalle und so musste ihm der rechte Zeh abgenommen werden. Sein Mönchsonkel erzählt die Geschichte ganz anders: die Muselmanen hätten seinen Neffen entführt, um Geld zu erpressen für ihren schändlichen gottverdammten Krieg und um ihre Entschlossenheit zu bekräftigen, hätten sie getan, was sie immer tun, nämlich das Böse. Sie hätten ihm einen Fußzehen abgehackt und den Eltern zugeschickt als Beweis dafür, dass der Knabe in ihrer Gewalt sei.
Für Köhlmeier ist angesichts des Todes das Verlorene immer die Liebe.
Antonius wird zwar äußerlich seinem geistlichen Onkel folgen, aber innerlich der Maxime seines Großvaters und damit seines Ordensbruders Franz von Assisi: Toleranz ist größer als Hass. Ganz zum Schluss kommt seine frühe Geliebte Basima an sein Sterbelager. Er kann sich mit ihr aussöhnen. Für Köhlmeier ist angesichts des Todes das Verlorene immer die Liebe. Vielleicht hat der Tod Antonius gefragt: Hast Du geliebt. Er sagt Ja und mit diesem Ja holt er Basima zu sich.
Seine letzte Beichte ist einfach. Ein Mönch zählt die zehn Gebote auf und Antonius wird nur blinzeln, wenn er ein Gebot gebrochen hat. Dann bekommt er die Absolution. „Als der Platz noch im Schatten war, der Himmel aber schon hell, erwachten die Ersten, und auf der Brust des Antonius saß ein Rabe. Da weckten sie die anderen, und leise kamen sie näher und beugten sich über ihn. Und sie sahen, der Mann, der Verlorenes wiederfindet, hatte auf Erden nichts mehr zu erledigen.“
Alles ist wahr, weil erdichtet.
Der Patron der Schlamper, der anderen Verlorenes wiederfinden hilft, hatte seine abgespaltenen Lebensimpulse wiederentdeckt. Er stirbt versöhnt. Ein neues Bild des Heiligen leuchtet in dieser Novelle auf. Der heilige Antonius, der uns durch seine volkstümliche Umdeutung alltagspragmatisch nahe-, aber spirituell ferngerückt war, kommt uns durch diese Novelle auch spirituell wieder ganz nahe. Er wird zum modernen Heiligen. Alles ist wahr, weil erdichtet. Die Poetologie von Michael Köhlmeier hat sich hier aufs Schönste bewährt.
Der Schriftsteller Köhlmeier, der sich in seiner Rede im österreichischen Parlament am 4. Mai zum Gedenken an die nationalsozialistischen Opfer nicht dumm stellen wollte, als wüsste er nicht um die Tabubrüche in der FPÖ und sie offen zur Sprache brachte, stellt sich auch nicht dumm vor dem Heiligen: er bringt ihn durch seine Novelle neu zum Leuchten.
Literatur:
Michael Köhlmeier, Der Mann, der Verlorenes wiederfindet. Novelle, München 2017.
Andreas Murk (Hrsg.), Assidua. Eine Biographie des heiligen Antonius von Padua, Würzburg 2018.
Autor: Prof. em. Dr. Erich Garhammer war von 2000 bis 2017 Lehrstuhlinhaber für Pastoraltheologie an der Universität Würzburg, davor von 1991 bis 2000 in Paderborn.
Vom Autor auf Feinschwarz jüngst erschienen:
„Das Alter: ein Massaker“. Zum Tod des Schriftstellers Philip Roth