Wie sieht es angesichts von religiös motiviertem Terror mit dem Verhältnis von Religion und Staat bzw. Öffentlichkeit aus? Die beiden Theologen Alois Halbmayr und Josef Mautner plädieren für ein Kooperationsmodell. Es brauche die bunten und vielfältigen Räume gelebter Zusammenarbeit.
Gewalt und Schrecken terroristischer Taten erzeugen eine Extremsituation. Nicht selten provozieren sie auch extreme Reaktionen, und dies entspricht nicht zuletzt dem Kalkül von terroristischen Akteuren. Der sich religiös legitimierende Terrorismus verneint in der Regel den Pluralismus von Weltanschauungen und Religionen, säkulares Recht sowie die Menschenrechte als dessen normative Grundlage.
Damit wirft er Fragen auf, die zunächst an den Islam, in weiterer Konsequenz jedoch an alle Religionen gestellt werden; Fragen, die wir in der europäischen Geschichte bereits abgehandelt und „gelöst“ glaubten: Folgt aus dem Absolutheitsanspruch religiöser Gottesvorstellungen und Heilsversprechen automatisch die Verneinung einer säkular verfassten Gesellschaft? Ist der Islam, sind Religionen generell Legitimation oder gar Motivation für individuelle wie strukturelle Gewalt? Muss ein säkularer Staat den Religionen jede öffentliche und politische Wirksamkeit nehmen und sie in die Sphäre des Privaten abdrängen, um sich gegen sie behaupten zu können?
Theologie hat (religions-)kritische Funktion auch innerhalb der eigenen Religionsgemeinschaft.
Theologie hat die Aufgabe, die Glaubensinhalte und -traditionen einer Religionsgemeinschaft unter dem Vernunftprinzip und mit wissenschaftlichem Anspruch zu reflektieren. Damit kommt ihr auch eine wichtige (religions-)kritische Funktion innerhalb einer Religionsgemeinschaft zu, die sie nicht selten unbequem werden lässt. So fragt katholische Theologie beispielsweise zurecht, inwieweit und warum sich die lehramtliche Tradition ihrer Kirche in Europa der Ausformulierung der Menschenrechte seit der Aufklärung so lange entgegengestellt hat; diese Position wurde erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil aufgegeben.
Ebenso stellt Theologie und mit ihr die Kirchen aber auch kritische Fragen an den Staat und die Gesellschaft, der sie angehören: So befragt sie jenen Säkularismus in Europa, der sich aktuell in einem islamfeindlichen Generalverdacht manifestiert.
Eine menschenrechtskonforme Praxis der Trennung von Staat und Kirche, wie sie für moderne Demokratien unerlässlich ist, kann unterschiedliche Gestalten annehmen: Sie kann in einer vollständigen Trennung der beiden Sphären ohne jegliche Formen einer institutionalisierten Kooperation bestehen, wie sie etwa in Frankreich praktiziert wird. Dieses Modell hat den großen Nachteil, dass die versöhnenden und Brücken bauenden Kräfte der Religionen in der staatlichen Sphäre kaum wirksam werden können. Darüber hinaus schließt sie für die gesellschaftlichen Debatten religiöse Perspektiven, die selbstverständlich in säkulare Sprache übersetzt werden müssen, weitgehend aus.
In Österreich gibt es ein Modell der Kooperation.
Das interreligiöse Gebet im Stephansdom für die Opfer des Terroranschlages in Wien fällt nicht vom Himmel: Es ist Ausdruck einer langfristigen, im Alltag gepflegten Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften untereinander – und der Religionen mit dem Staat. In Österreich gibt es ein solches Modell der Kooperation. Es verläuft nicht immer konfliktfrei – so etwa bei den Irritationen rund um die Einrichtung der sog. „Dokumentationsstelle politischer Islam“ im Bundeskanzleramt. Und: Es muss in vielen Punkten immer wieder hinterfragt und reformiert werden, etwa in der hierarchischen Abstufung der gesetzlichen Anerkennungen oder in der durch das Konkordat gegebenen Stellung der katholischen Kirche, die anderen Religionsgemeinschaften nicht zugebilligt wird. Die in der österreichischen Gesellschaft weit verbreitete, sich mit rassistischen Einstellungen verschränkende Islamfeindlichkeit muss genauso wie Antisemitismus, Dschihadismus und Islamismus erkannt und mithilfe gezielter Antidiskriminierungsarbeit aufgelöst werden.
Säkularistischen Konzeptionen fehlt die Resilienz täglich geübter Kooperation.
Säkularistische Konzeptionen einer weitgehend laizistischen Trennung staatlicher und religiöser Institutionen zeigen in Krisensituationen, die durch islamistisch motivierte Terrorakte hervorgerufen werden, eine spezifische Schwäche: Ihnen fehlt die Resilienz lange und täglich geübter Kooperation, Bekanntheit und Vertrauen zwischen den führenden Akteur*innen und eine institutionelle Absicherung dieser Kooperation.
Jene „Grauzonen“, die der IS eliminieren möchte, sind in Wirklichkeit die bunten und vielfältigen Räume gelebter Zusammenarbeit und des Zusammenlebens auf Augenhöhe.
Aus unserer Sicht als Theologen, die im interreligiösen Dialog und in der Zusammenarbeit tätig sind, ist es notwendig, die Vorzüge eines Kooperationsmodells, das auch wechselseitige Kritik ermöglicht, weiterhin offensiv in die Debatte einzubringen. Wir dürfen dieses Feld der Zusammenarbeit aus falsch verstandenen säkularistischen Rücksichten nicht zurückschrauben, sondern sollten es vielmehr ausbauen. Jene „Grauzonen“, die der IS eliminieren möchte, sind in Wirklichkeit die bunten und vielfältigen Räume gelebter Zusammenarbeit und des Zusammenlebens auf Augenhöhe. In diesem Feld, das im Raum der demokratischen Öffentlichkeit stattfindet, müssen sich auch die Religionsgemeinschaften der säkularen Kritik stellen und ihre Verfasstheit wie ihre Überzeugungen sachlich und vernunftgemäß begründen können – weit mehr als in klandestinen Räumen sogenannter „privater“ Religionsausübung!
Umgekehrt darf man auch von einer säkularen Öffentlichkeit erwarten, religiöse Argumente und Überzeugungen nicht von vornherein und per se als unvernünftig oder irrational zu betrachten, sondern sie einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Denn zu wechselseitigen, offenen und kritischen Lernprozessen gibt es keine Alternative.
———
Alois Halbmayr lehrt Systematische Theologie an der Universität Salzburg und ist Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät.
Josef P. Mautner, Theologe und Literaturwissenschaftler, Tätigkeit in div. Projekten mit Geflüchteten, Migrant*innen und in der regionalen Menschenrechtsarbeit.
Beitragsbild: Pixabay