Papst Franziskus hat in seiner Ansprache zur 50-Jahrfeier der Errichtung der Bischofssynode die Synodalität eine „konstitutive Dimension der Kirche“ genannt. Sabine Demel (Regensburg) lotet in ihrem Beitrag entsprechende kirchenrechtliche Spielräume aus.
Bereits 1905 hat der Kirchenrechtler Philipp Hergenröther nach einem rechtsgeschichtlichen Überblick zu Synoden und Konzilen die treffende Feststellung getroffen: „Verfall des synodalen Lebens war stets ein Zeichen des Niedergangs der kirchlichen Disziplin, wie umgekehrt dessen Blüte ein Zeichen kirchlichen Fortschritts.“ Heißt: Synodales Leben in der Kirche ist ein Gradmesser für deren Blüte und Lebendigkeit. Denn synodales Leben ist geistgewirkt und „geprägt von einem offenen Dialog miteinander, so dass Anregungen und Führung durch den Geist einen Raum haben, neue Glaubensantworten auf bestehende Fragen und Konflikte zu geben und zugleich die jeweiligen institutionellen Ordnungen kirchlichen Lebens zu erneuern und neu zu orientieren.“
Synodalität als Dialogbereitschaft aller auf allen Ebenen
Wird diese Erkenntnis wirklich ernst genommen, bedeutet das aber auch, dass Synoden (und Konzile) nicht die einzigen Ausdrucksformen des synodalen Lebens sein können und sein dürfen. Synodales Leben kann und darf dann nicht auf Synoden und Konzile reduziert werden. Synodales Leben ist so gesehen nicht nur eine bestimmte (kirchenrechtliche) Einrichtung, nicht nur ein bestimmtes Ereignis, sondern eine durchgehende Perspektive von Kirche, sozusagen ein strukturelles Prinzip der Kirche. Nicht Synoden und synodale Prozesse sind das spezifisch Katholische, sondern die Synodalität als strukturelles Prinzip. Des näheren bedeutet das:
• Das strukturelle Prinzip der Synodalität gilt auf allen kirchlichen Verfassungsebenen (Pfarrei, Diözese und Gesamtkirche) und in allen Gremien der Kirche (z.B. Pfarrgemeinderat, Priesterrat, Diözesanpastoralrat, Diözesanrat, ZdK, Bischofssynode), und zwar sowohl für das Miteinander von Klerikern und Laien wie auch für das Miteinander von Klerikern untereinander und für das Miteinander von Laien untereinander.
• Das strukturelle Prinzip der Synodalität kann umschrieben werden als ein ständiger Kommunikationsprozess miteinander und eine wechselseitige Dialogbereitschaft aller Glieder einer Gemeinschaft des Volkes Gottes – seien es die Glieder eines kirchlichen Verbandes oder die eines kirchlichen Gremiums oder die einer kirchlichen Verfassungsebene Beteiligten.
• Natürlich lässt sich dieses vielschichtige Beziehungsgeflecht der Synodalität nicht in rechtliche Kategorien einfangen; es verlangt von allen Beteiligten ein hohes Maß an gutem Willen und Rücksichtnahme. Doch wenn dieser gute Wille und diese Rücksichtnahme nicht nur davon abhängen soll, ob der/die Einzelne, sich auf sein „synodales Gewissen“ ansprechen lässt, dann müssen rechtliche Eckdaten vorhanden sein, durch die die jeweilige Gemeinschaft als Ganze berechtigt, aber auch verpflichtet ist, sich an den wesentlichen Entscheidungen ihrer kirchlichen Gemeinschaft in adäquater Form zu beteiligen. Die zentralen Stichpunkte heißen hier: Repräsentative Vertretung aller nach dem Prinzip der Delegation durch Wahl, repräsentative Vertretung der Inhalte durch die Bündelung der vielen Beiträge sowie Beteiligung der Repräsentanten je nach Rechtsbereich durch Anhörung, Mitsprache und Mitentscheidung.
• Mit dem strukturellen Prinzip der Synodalität wird die Letztentscheidungskompetenz des Leitungsamtes in den grundlegenden Fragen des Glaubens, der Sitten und des kirchlichen Rechts keineswegs in Frage gestellt, sondern die gemeinsame Verantwortung aller Glieder des Volkes Gottes für die kirchliche Sendung und Identität ernst genommen durch ein Recht auf Gehör, eine größere Transparenz von Beratungs- und Entscheidungsverfahren sowie durch eine Ausweitung des Raumes der Mitentscheidung.
Vom synodalen Lippenbekenntnis zu synodalen Strukturen
Sofern Synodalität als Strukturprinzip der Kirche nicht nur ein Lippenbekenntnis ohne konkrete Konsequenzen bleiben soll, ist es höchste Zeit, endlich konkrete Schritte der Umsetzung einzuleiten, und zwar zuerst und insbesondere bei den sog. Gremien der Mitverantwortung des ganzen Gottesvolkes. Denn diese sind im kirchlichen Gesetzbuch von 1983 (= Codex Iuris Canonici, kurz: CIC) unter dem Aspekt der Synodalität durchgehend rechtlich unzureichend konzipiert. Die bekanntesten davon sind jene auf der Pfarr- und Bistumsebene wie der Pfarrpastoralrat (c.536 CIC), der Priesterrat (cc.495ff CIC), der Diözesanpastoralrat (cc.511ff CIC) und die Diözesansynode (cc. 460ff CIC). In der rechtlichen Ausgestaltung ist für alle diese repräsentativen Einrichtungen des Volkes Gottes nur eine Mitwirkung in der Form der Beratung vorgesehen. Entsprechend groß ist die Resignation über die synodale Wirklichkeit in der katholischen Kirche – und das vor allem unter den Laien in Deutschland, wie u.a. die seit einiger Zeit anhaltend hohen Kirchenaustrittszahlen zumindest im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz belegen.
Die Bischöfe können sich glücklich schätzen.
Umso glücklicher können sich die deutschen Bischöfe schätzen, dass ihnen ein relativ einfaches Instrument zur Verfügung steht, um das kirchliche Strukturprinzip der Synodalität glaubwürdiger als bisher zur Geltung bringen zu können. Ziel dieses Instrumentes ist es, die langwierigen Prozesse, die gesamtkirchliche Reformen, vor allem rechtlicher Art, mit sich bringen, zu überbrücken. Sein Kerngehalt kann als eine Art vorauseilender Gehorsam in der Form einer freiwilligen Selbstbindung umschrieben werden.
Bischöfliche Selbstbindung als erster konkreter Schritt
In der Frage der Synodalität auf den kirchlichen Ebenen der Diözese und der Pfarreien kann ein solcher vorauseilender Gehorsam in der Form einer freiwilligen Selbstbindung des Diözesanbischofs folgendermaßen geschehen: Der Diözesanbischof bindet sich selbst an den repräsentativ erteilten Rat des diözesanen Gottesvolkes, indem er das beratende Stimmrecht der Mitglieder in den verschiedenen Einrichtungen auf Diözesanebene wie des Priesterrates und des Diözesanpastoralrates wie auch der Diözesansynode zu einem entscheidenden Stimmrecht erhebt und analog auch für die Pfarrebene vorschreibt, dass dem Pfarrgemeinderat auch in seiner Funktion als Pfarrpastoralrat entscheidendes Stimmrecht zukommt. Nur für den Fall, dass ein Beschluss eines dieser Gremien bzw. der Diözesansynode gegen die verbindliche Glaubens- oder Rechtsordnung der katholischen Kirche verstoßen würde, wird diese bischöfliche Selbstbindung außer Kraft gesetzt.
Als letztverantwortlicher Leiter der Diözese kann der Diözesanbischof zwar von niemandem zu einer solchen Selbstbindung gezwungen, aber auch von niemandem daran gehindert werden. Denn der freiwillige Verzicht auf bestimmte Rechtspositionen in Form einer freiwilligen Selbstbindung steht jedem Rechtsträger offen, also auch dem Diözesanbischof mit seiner umfassenden gesetzgebenden und ausführenden (sowie richterlichen) Vollmacht in der Diözese (c. 391).
Kirchenrechtliche Legitimität
Eine solche freiwillige Selbstbindung des Bischofs ist nicht als partikularrechtlicher Gesetzgebungsakt zu verstehen, der dem geltenden universalkirchlichen Recht (hier: c.500 §2 und c.513 §1 CIC) widerspricht und deshalb gemäß c. 135 §2 CIC ungültig wäre, sondern als Ausübungsakt der ausführenden Vollmacht gemäß c.135 §4 CIC. Denn die Regelungen über Verfassung, Leitung und Vorgehensweisen von Zusammenkünften und anderen Veranstaltungen werden gemäß cc. 94f CIC in Statuten und Ordnungen festgesetzt. Statuten sind aber in der Regel keine Gesetzgebungsakte, sondern Verwaltungsmaßnahmen, wie aus c.94 §3 CIC hervorgeht. Das gleiche gilt für bischöflich erlassene Ordnungen. Wenn Statuten und Ordnungen keine Gesetzgebungsakte, sondern Verwaltungsakte sind, kann der Bischof darin auch von Verwaltungsmaßnahmen wie z.B. dem Privileg (c.76 CIC) oder der Dispens (c.85 CIC) Gebrauch machen. Für den Fall der rechtlichen Selbstbindung des Bischofs legt sich das Privileg nahe. Was die Rechtsfiguren des Privilegs und der Dispens implizit zum Ausdruck bringen, wird sogar noch einmal explizit in c.36 CIC ins Wort gefasst, dass nämlich ein Verwaltungsakt auch „einem Gesetz zum Vorteil von Einzelpersonen widerstreiten“ kann.
Praktische Umsetzung
Konkret auf die diözesanen und pfarrlichen Versammlungsformen bezogen kann die rechtliche Selbstbindung des Bischofs in der Ordnung bzw. in den Statuten festgeschrieben werden, die er für die Einrichtung des Diözesanpastoralrates, des Priesterrates und des Pfarrgemeinderates und für die Durchführung der Diözesansynode oder der anderen Versammlungsformen zu erlassen bzw. zu genehmigen hat. Mit einer solchen bischöflichen Selbstbindung an die Beschlüsse der Konsultationsprozesse werden diese repräsentativ besetzten Versammlungsformen des diözesanen und pfarrlichen Gottesvolkes relativ einfach von unverbindlichen Gesprächskreisen zu wirklichen synodalen Mitwirkungsorganen im Sinne des kirchlichen Selbstverständnisses des Volkes Gottes umgestaltet.
(Sabine Demel)
Bildquelle: http://www.publik-forum.de/content/media/F8FEB7BBD2E64792912CB3955E95A28F_03_vatdemo_636_322.jpg