Wie reagieren Menschen auf die sich verändernden Bedingungen für die Arbeit seit 150 Jahren? Anita Schwantner kommentiert eine aktuelle Ausstellung in Linz und bringt persönliche Erfahrungen zur Sprache.
Welche Assoziationen löst das Wort Arbeit aus? Physikalisch gesehen ist Arbeit eine Energie, die bei Kraftanwendung auf einen Körper entlang einer Strecke übertragen wird. In volkswirtschaftlicher Perspektive bedeutet der Begriff das „zielgerichtete, soziale, planmäßige und bewusste, körperliche und geistige“ Tätigsein des Menschen. Und bis vor 150 Jahren waren schlichtweg jene Tätigkeiten wesentlich, die die Existenz der Menschen sicherten. Es gab eine unmittelbare Relevanz zwischen dem alltäglichen Leben und der Tätigkeit. Dieser primäre Zweck von Arbeit wurde durch die Industrialisierung sowie die Einführung der Entlohnung für geleistete Arbeit stark verfremdet.
Das Museum Arbeitswelt in der oberösterreichischen Fabrikstadt Steyr widmet sich seit seiner Gründung 1987, anlässlich der Landessausstellung „Arbeit/Mensch/Maschine. Der Weg in die Industriegesellschaft“, der Darstellung dieser Entwicklungen.
Ziel ist es, die „unsichtbaren“ Aspekte von Arbeit zu thematisieren.
In der aktuellen Ausstellung, die noch bis zum 23.12. zu sehen ist, haben die Kuratoren Harald Welzer und Robert Misik es sich zum Ziel gesetzt, die „unsichtbaren“ Aspekte von Arbeit zu thematisieren. Sie wollen zeigen, wie Menschen auf die Veränderungen in der Arbeitswelt seit 150 Jahren reagieren.
Dazu werden die Besucher/innen immer wieder mit Tonaufzeichnungen von Menschen konfrontiert, die über den Sinn ihrer Arbeit sprechen und ihre Herausforderungen schildern. Diese persönlichen Erzählungen gehen oftmals unter die Haut und provozieren die Konfrontation mit der eigenen Arbeitsbiographie.
Ich gehe als „frisch gebackene“ Doktorin der Theologie und Mutter eines 9 Monate alten Babys durch die Ausstellung. Meinen Sohn habe ich zur Besichtigung mitgenommen und erlebe dadurch, wie sich die Konfrontation mit der Vergangenheit mit vielen Fragen für die Zukunft vermischt. Es ist herausfordernd, keine Antworten zu haben, gar nicht zu wissen, wie und wohin die Gesellschaft sich tatsächlich entwickeln wird und was das digitale Zeitalter an Gutem und Schönem bringen wird.
Es wird intensiv erfahrbar, dass es … eigentlich Luxus war und ist, wenn ein Mensch sich seine Arbeit selbst aussuchen kann.
Gleichzeitig wird beim Durchschreiten der Ausstellung deutlich sichtbar, wie viel sich in eigentlich wenigen Jahren verändert hat. Ebenso spürbar wird die Unterschiedlichkeit der Arbeitswelten. Die Fotos geben Zeugnis nicht nur von einer vergangenen Welt, wie zum Beispiel jener der Flößer, sondern auch von gänzlich fremden Arbeitswelten, wie bspw. jener der Waffenherstellung. Mit jedem Raum wird intensiver erfahrbar, dass es ein unschätzbar hohes Gut, ja eigentlich Luxus war und ist, wenn ein Mensch sich seine Arbeit selbst aussuchen kann. Wenn er/sie eine oder sogar mehrere Wahlmöglichkeiten bezüglich Ausbildung und Beruf haben kann. Es wird auch nachvollziehbar, aus welchen Gründen Berufe verschwinden, wie sie durch beeindruckende Erfindungen abgelöst bzw. ersetzt werden.
Es tauchen Gefühle von Ohnmacht und Ausgeliefertsein auf.
Der Besuch findet just in jenem Zeitraum statt, als die österreichische Bundesregierung ein neues Arbeitszeitgesetz beschließt. Im Angesicht von Arbeiterinnen und Arbeitern, die gemeinsam für kürzere Arbeitszeiten kämpften, um auch außerhalb ihrer Fabrik etwas leben zu können, tauchen Gefühle von Ohnmacht und Ausgeliefertsein auf. Der Barcodescanner einer multinationalen Versandfirma lässt mich erschrecken. Da werden nicht nur die Codes der Produkte gespeichert, sondern auch die Tätigkeiten der Mitarbeiter/innen vom Beginn bis zum Ende ihrer täglichen Arbeitszeit. Die Leistung und die Geschwindigkeit, mit der die Frauen und Männer ihre Arbeit tun, sind anscheinend das Einzige, was in dieser Firma zählt.
„Was fühle ich, wenn ich an meine Arbeit denke?“
Für den letzten Raum, in dem die Besucher/innen ihre Vision vom „Leben nach der Arbeit“ auf Wandtafeln hinterlassen können, bleibt leider keine Zeit mehr. Der humanoide Roboter würde, so die Beschreibung an seinem Standort, Fragen zur Digitalisierung und zur weiteren Entwicklung von Arbeit beantworten. Aber unsere Zeit ist auch schon um, wir müssen die Ausstellung verlassen. Doch zuvor betreten wir noch den „weißen Raum“. Ein scheinbar kontemplativer Raum, der uns das Hinhören lehrt und die eigenen Empfindungen zum Schwingen bringt. Ein bewegender Abschluss unseres Rundgangs durch Arbeitswelten einst und jetzt, der nachhaltig Fragen provoziert: „Was fühle ich, wenn ich an meine Arbeit denke? Wozu fühle ich mich gezwungen? Warum ist mir Arbeit wichtig? Und warum hat das Versorgen eines Kindes nach wie vor auch nicht nur annähernd den gleichen Stellenwert wie ein hochdotierter Führungsposten und wird die Familienarbeit noch immer nicht entsprechend finanziell gewürdigt?“
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Autorin: Anita Schwantner, Leonding/Oberösterreich
Titelbild sowie Beitragsbild 1: KlausPichler (freundlicherweise zur Verfügung gestellt von der Geschäftsführung); http://museum-steyr.at/ausstellung-2/arbeit_ist_unsichtbar/; Beitragsbild 2: Anita Schwantner