Jan Quirmbach schaut über den kirchlichen Tellerrand und findet Inspiration im Katalog einer Ausstellung des Deutschen Architekturmuseums.
Eine Kirche irgendwo in der Stadt. Viele Menschen ziehen neu in den wachsenden Stadtteil ringsum. Einige davon sind katholisch. Die Pfarrei wächst wöchentlich um ein paar Mitglieder an – zumindest auf dem Papier. Die Zahl der Mitfeiernden am Sonntagsgottesdienst ändert sich allerdings nicht merklich und auch sonst ist nicht mehr los. Hier und da tauchen ein paar neue Gesichter auf. Die meisten davon ein, zwei Mal – dann sind sie wieder verschwunden. Sind katholische Pfarreien in ihrer aktuellen Gestalt nicht attraktiv für Menschen, die an einem neuen Lebensort ankommen wollen? Warum ist trotz wachsender Katholikenzahlen kein Zuwachs in der Pfarrei zu bemerken?
In vielen Pfarreiräten, Seelsorgeräten, Pfarrgemeinderäten oder wie die gewählten Gremien je nach Ort heißen, wird diese Frage diskutiert. Die Verantwortlichen machen sich Gedanken, was die Menschen dazu bringen könnte, in die Pfarrei zu kommen, sich dort zu engagieren – oder eben was sie davon abhält. Die Motive, in eine Pfarrei zuzuwandern oder ihr fernzubleiben, werden dabei oft von denen betrachtet, für die die Pfarrei mit allen ihren Eigenheiten schon lange selbstverständlich geworden ist. Was fehlt, ist der Blick über den eigenen Tellerrand. Dieser soll im Folgenden gewagt werden: Im Deutschen Architekturmuseum (DAM) fand in diesem Jahr die Ausstellung „Making Heimat. Germany, Arrival Country.“ statt. Die Ausstellung beleuchtet Elemente, welche Städte und Stadtteile attraktiv für eine Zuwanderung von außen machen. Als Grundlage dazu dienten die Thesen aus Doug Saunders Buch „Arrival City“.
Drei Thesen dieser stadtplanerischen Analyse können besondere Impulse für das kirchliche Bemühen um Integration neuer NachbarInnen geben. Hier werden Elemente gesucht, mit denen Schritte in Richtung einer Arrival Church gegangen werden können, also einer Kirche, bei der es sich gut ankommen lässt.
Preis der Zuwanderung
„Die Arrival City ist bezahlbar“ – Ein zentraler Punkt für die Attraktivität eines Stadtteils für ZuwandererInnen liegt in den Kosten für den Lebensunterhalt. Kann und will ich mir das Leben am neuen Ort leisten? Pfarreien verlangen zwar selten Eintritt für ihre Kirchen, aber trotzdem ist der Preis der Zuwanderung zu ihnen oft hoch: Implizit wird ein hohes Maß an Vorkenntnissen von Ritualen, Wechselgebeten und Verhaltensnormen von den Zuwandernden erwartet. Diese braucht es, um nicht als neu aufzufallen. Pfarreien und kirchliche Einrichtungen konfrontieren Menschen, die mit ihnen in Kontakt kommen, zudem an vielen Stellen mit einer Ästhetik, die selbst von Insidern eher ertragen als für gut befunden wird: eine kantige und schwer verständliche Sprache, aus der Zeit gefallene Formen öffentlicher Kommunikation und Gebäude, die den Glanz vergangener Jahrzehnte ausstrahlen. Längst ist diese typisch kirchliche Ästhetik als Milieuverengung soziologisch analysiert. Bearbeitet wird sie nur zögerlich. Der Versuch, das zu ertragen oder, mehr noch, sich darauf einzulassen, bringt einen enormen inneren Aufwand mit sich.
Es gibt gute Versuche von Pfarreien, diese Kosten zu senken: Das Ringen um eine einfache und charmante Sprache, die sagt was sie meint, ohne den (vielleicht fehlenden) Sinn in unnötigen Worthülsen zu verstecken. Ein kritischer Blick auf vertrocknete Topfpflanzen und Wandteppiche. Und der Versuch, die Kommunikation nach außen zu professionalisieren. All das sind Schritte, diese Kosten zu senken. Schritte hin zu einer Arrival Church.
„Die Arrival City bietet Arbeit“ – Arbeit meint hier nicht den reinen Broterwerb. Gemeint sind Möglichkeiten der Selbstentfaltung und Mitbestimmung. In der Pfarrei scheitert Selbstentfaltung von Zuwandernden oft daran, dass es schon einen fertigen Plan gibt. Der Fokus liegt nicht auf dem Menschen, der neu dazu kommt und was dieser an Fähigkeiten und Interessen mitbringt. Es gibt eine fixe Idee, was die Pfarrei bieten soll und es werden Menschen gesucht, die diese Aufgaben so erfüllen, wie es immer schon war.
Jede Pfarrei bietet zwar die Möglichkeiten der Mitbestimmung in gewählten Gremien. Die Hürde, dort hinein zu kommen, ist aber hoch: Die vierjährigen Amtszeiten in den meisten Räten und Gremien passen nicht zu den mobilen Lebensentwürfen vieler junger Menschen. Rechnet man die Zeit dazu, die es vor diesen vier Jahren braucht um in der Pfarrei entsprechend bekannt zu werden und Kontakte zu knüpfen, verhindert berufliche Mobilität für viele Menschen hier die Mitarbeit.
Ansammlung von Regelwerken
Ein innerkirchlich gerade in aller Munde befindlicher Begriff ist die Charismenorientierung: Dieses Modell setzt bei den Menschen an, die bei Kirchen und kirchlichen Einrichtungen ankommen. Welche Fähigkeiten und Interessen, aber auch welche Grenzen, z.B. an zeitlichen Ressourcen, bringen diese mit? Und wie kann man mit diesen Ressourcen Kirche bauen? Konsequent durchbuchstabiert fällt mit der Charismenorientierung all das weg, was niemandem wichtig genug ist, um sich darum zu kümmern. Ein gutes Argument gegen ein lähmendes „das haben wir schon immer so gemacht“, gegen inneren Zwang – und ein Schritt hin zur Arrival Church.
„Die Arrival City ist informell“ – ein zu starres oder zu schwer verständliches Regelwerk und eine zu starke Kontrolle der Einhaltung der Regeln lähmen die Dynamik, die ein Neuanfang braucht. Viele Pfarreien sind Ansammlungen von Regelwerken. Diese Regeln sind nicht unbedingt niedergeschrieben. Oft sind sie für die, die länger dabei sind, ganz selbstverständlich geworden. Es herrscht ein unausgesprochener Konsens, was richtig ist und was falsch. Wer neu dazu kommt, hat es schwer, diese Regeln zu (er-)kennen. Die etablierten Reglements sind oft als Diktatur gemeindlicher Spießigkeit und eines bürgerlichen Wertekanons zu entlarven.
Welche Regeln braucht es wirklich? Wie können diese gut und transparent kommuniziert werden? Wo muss eine Regelung auch erklärt werden, dass sie nachvollziehbar wird? Und wie kann eine Kirche, die vom vergeben lebt, auch ganz praktisch fehlerfreundlich werden? Manchen werden diese Mechanismen als abstoßendes Multikulti-Chaos erscheinen. Aber wahrscheinlich benötigt die Kirche das subversiv Anarchische, mit dem dies Durcheinander zur Chance wird – auf dem Weg zu einer Arrival Church.
Diese ersten Schritte bleiben in der Kürze ihrer Darstellung abstrakt. Wie der Weg zu einer Arrival Church vor Ort dann praktisch aussieht, muss eben dort ganz konkret diskutiert werden. Aber dieser Weg ist notwendig. Eine Kirche, bei der sich nicht ankommen lässt, verfehlt ihren Auftrag Gott und den Menschen zu dienen.
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Jan Quirmbach ist kath. Theologe, arbeitet in einer Frankfurter Pfarrei als Pastoralreferent und absolviert derzeit an der PTH Sankt Georgen das Studienprogramm Medien.
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