Launige Gedanken zur Perspektive der Theologie anlässlich der Abschiedsvorlesung von Rainer Bucher von Birgit Hoyer.
In Deutschland – etwas weniger wohl in Österreich – herrscht Lehrkräftemangel. Gerade in Berlin behilft man sich mit sogenannten Quer- oder Seiteneinsteigenden. Menschen, die über den Mangel eines ordentlichen Lehramtsstudiums definiert werden.
Eine dieser vielen Quereinsteigerinnen toppt das Ganze nun noch, nein, es ist der Rektor einer Berliner Brennpunktschule, der – völlig schräg – diese Lehrerin ohne ordentliches Lehramt, stattdessen mit einem Magister in Germanistik, Politologie und Islamwissenschaften bittet, den katholischen Religionsunterricht zu übernehmen. In Berlin ist der Religionsunterricht kein Pflichtfach – und Sie haben vielleicht eine Vorstellung davon – in welchem Verhältnis Berlin und Religion/kath. Kirche stehen.
Kompetent im Quereinstieg?
Als Pastoraltheologin beginne ich zu fragen, was hat sie, dass sie als religiös sprachfähig und theologisch kompetent betrachtet wird, was erhofft sich der Schulleiter für die Schüler:innen, für seine Schule? Um mich jäh zu unterbrechen als Verantwortliche für den Religionsunterricht in den Bundesländern Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern: strukturell unmöglich, formal inkompetent.
Wo und wie bildet sich theologische Kompetenz? Wer ist wann wodurch religiös kompetent?
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Szenenwechsel – Staffelberg – der heilige Berg der Franken – von denen einer der emeritus in spe ist. Ich zitiere die dritte Strophe der Frankenhymne:
Wallfahrer ziehen durch das Tal, mit fliegenden Standarten. Hell grüßt ihr doppelter Choral den weiten Gottesgarten. Wie gerne wär’ ich mitgewallt, ihr Pfarr’ wollt mich nicht haben! So muss ich seitwärts durch den Wald als räudig Schäflein traben, valeri, valera, valeri, valera, als räudig Schäflein traben.
Räudig – kahle, abgewetzte Stellen aufweisend und daher unansehnlich. Unansehnlich auf dem Seitenweg als Quereinsteiger nicht auf dem Mainstream des Jubels und Triumphes unterwegs mit wallenden Pfarrern. Valeri, valera – aber offensichtlich trotzdem gut gelaunt.
Wo entsteht religiöse Kompetenz, auf dem Hauptweg oder by the way?
Ganz sicher säkular – wie es sich Theologie und Kirche auf die Fahnen schreiben – mit Gaudium und Spes, in Freude und Hoffnung, aber auch in der Trauer und Angst der Menschen, aller Menschen – des vielfach bemühten kleinen Mannes und Lieschen Müllers – von Religion keine Spur: säkular.
Säkular?
Säkular in der Astronomie: kleine, langfristige Bahnänderung von Himmelskörpern.
Ist christliche Theologie mit dem Auftreten und Reden Jesu von Nazarath nicht in diesem Sinne durch und durch säkular, seitlich, abweichend vom Mainstream eingetreten in die Welt des Religiösen? Mit einer kleinen, aber langfristig irritierenden und grundlegenden Änderung der Denkrichtung? Gerechtigkeit, Endlichkeit, Fülle, Leben, Liebe auf links gedreht, von einer anderen Seite her quer zum „Das war immer so“ gedacht, anders abgebogen, Christinnen, Theologien, die sich auf Abwegen bilden.
Nochmal säkular: in der Bedeutung „weltlich“, Säkularität beschreibt den Zustand der Entflechtung/Trennung von Kirche und Staat, Weltlichkeit in Abgrenzung zur Religiosität.
Abwegige Grundstruktur der Theologie.
In ihrer abwegigen Grundstruktur bildet sich Theologie in, durch und mit notwendigerweise entflochtene, radikal säkulare Menschen, die nichts müssen, außer zu sterben. Die nichts glauben müssen, die keinen Gott brauchen, auch nicht im Tod. Und genau in dieser Radikalität des Todes, seiner absoluten Unausweichlichkeit und Nichtnotwendigkeit eines Gottes – kommt die Theologie ins Spiel, die leise Bahnänderung der Himmelskörper und Selbstverständlichkeiten im Spiel zu halten, dass es Gott nicht braucht, um zu leben und zu sterben – im doppelten Sinne:
- Der Mensch kann sein Leben meistern ohne Gott.
- Ein glaubhaftes und glaubwürdiges Gott ist die Abwesenheit von Bedingung, Ausschluss und Ausschließlichkeit.
Auferstehung ist keine Leistung, kein Mensch und auch kein Gott hat sie erarbeitet, Auferstehung ereignet sich am tiefsten Punkt des Schmerzes, im Abgrund des Todes.
Das Ausstreuen von Hoffnung auf ein „Ich bin da“ für den säkularen Menschen in diesem Abgrund, in der Radikalität des Todes, verbindlich, dynamisch, ohne Resonanzgarantie – das ist Ausgangspunkt und Perspektive der Theologie. Wohin ihre Gedankensamen fallen und wo sie aufgehen – in der Berliner Brennpunktschule, auf dem Schleichweg des räudigen Frankenschafs, in der Universität oder in der katholischen Kirche, nicht die Kontrolle, nicht das Ausreißen des Beikrauts, sondern die neugierig, wohlwollend-kritische Schau, auf das, was sich bildet, das betrachtende Musing ist der Kern von Theologie.
Die lockende Aussicht für eine nicht induktiv oder deduktiv gesicherte, sondern abduktiv für überraschende Abwege und Ankünfte offene Theologie – und in Folge Kirche und Universität – ist eine Theologie wie ein Frankenwein:
- von Äbtissinnen wie Thekla von Kleinochsenfurth und Adelheid von Kitzingen als Weinbauquereinsteigerinnen in Franken eingeführt,
- den Geschmack kräftiger Fruchtaromen auf der Zunge,
- ausgeprägt durch die geologischen Gegebenheiten Kauper, Buntsandstein und Muschelkalk,
- gereift unter den klimatischen Bedingungen des Mains.
ZUM WOHL!
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Text: Birgit Hoyer, Mitglied der Redaktion feinschwarz.net.
Bild: Cover der Festschrift für Rainer Bucher herausgegeben von Aigner, Maria Elisabeth / Bauer, Christian / Hoyer, Birgit / Schüßler, Michael / Wustmans, Hildegard, Weiter gehen. Eine Roadmap ins Offene, Würzburg 2021.