An Künstlicher Intelligenz kommt heutzutage niemand mehr vorbei. Doch wohin führt die Entwicklung? Michael Brendel ruft zur Positionsbestimmung in der Frage auf, wie viel KI wir eigentlich wollen. Auch die Kirchen müssen endlich eine klare Haltung zu der Technologie entwickeln.
Künstliche Intelligenz dringt in immer mehr Bereiche unseres Lebens vor. Dass Sprachassistenten wie Alexa, Übersetzungs-Apps oder moderne Bildbearbeitungs-Tools auf die KI-Technologie setzen, wird von den Medien ausführlich kommentiert. Auch der mögliche Nutzen von KI-Anwendungen in Medizin und Industrie wird an vielen Stellen diskutiert (meist mit dem völlig willkürlichen Attribut 4.0 dahinter).
Unter dem Radar der Öffentlichkeit.
Doch der eigentliche Siegeszug der „Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts“, wie Chinas Staatschef Xi Jinping die Künstliche Intelligenz nennt, findet unter dem Radar der Öffentlichkeit statt. Der Computergigant IBM reichte im Jahre 2018 sagenhafte 1.600 KI-Patente ein, und Google brachte in den Jahren 2013 bis 2017 fast vier Dutzend Produkte mit KI-Algorithmen heraus, verzichtete bei den meisten Veröffentlichungen aber sogar auf eine Pressemitteilung.
1. Notwendiger Diskurs über bereits begonnene Praxis
Dass eine Technologie so tief in die Wirtschaft, die Gesellschaft und das individuelle Leben der Menschen vordringt, ohne dass sie davon etwas mitbekommen, ist durchaus bedenklich. Denn auch Bereiche, die bislang menschliche Fähigkeiten vorausgesetzt haben, werden heute von smarten Algorithmen übernommen. Viele Bewerbungen werden bereits von Computersystemen auf Deep Learning-Basis vorgefiltert, die Hotelkette Hilton und der Kosmetik- und Lebensmittelkonzern Unilever lassen die Gestik und Mimik von Bewerber*innen durch eine KI analysieren, immer mehr Polizeibehörden setzen bei Überwachungskameras auf die automatisierte Gesichtserkennung – in der Regel ohne dass die Betroffenen davon erfahren.
Wieviel Künstliche Intelligenz (KI) wollen wir eigentlich?
Keine Frage: Künstliche Intelligenz bringt ungeheure Chancen mit sich. Allein die Perspektive auf ein selbstbestimmtes Leben, die Sprachassistenten körperlich beeinträchtigten Menschen eröffnen, allein die Unterstützung durch Roboter in gefährlichen Arbeitsfeldern und durch smarte Diagnosegeräte in der Medizin gebieten es, der neuen Technologie eine Chance zu geben. Aber bitte keinen Freifahrtschein! Denn es sind noch viele Fragen offen, die vor allem den Datenschutz, die Qualität der Datenbasis oder die Verantwortlichkeit bei algorithmischen Entscheidungen betreffen. Die wichtigste Frage aber wird viel zu selten gestellt: Wie viel KI wollen wir eigentlich? Diese Frage klingt banal, ist aber vermutlich eine der wichtigsten Fragen der Gegenwart. Hier ist ein breiter Diskurs nötig, der die Bürger*innen, die Medien, die Politik und die Glaubensgemeinschaften zur Positionierung auffordert. Und dieser Diskurs ist überfällig.
Stellungnahmen, auch kirchliche, bleiben unkonkret.
Es gibt unzählige nationale KI-Strategien, es gibt Ethikräte für das Autonome Fahren und Expertisen zur digitalisierten Arbeitsgesellschaft. Stets geht es darum, dass der Mensch im Mittelpunkt stehen muss. Welch ein schöner Allgemeinplatz! Konkreter wird auch der Papst nicht: Mit Blick auf den technologischen Fortschritt forderte er bei einem Kongress im Vatikan Ende September eine Rückbesinnung auf ethische Werte. Er verlor kein Wort zu autonomen Waffensystemen oder zu Deep Fakes (KI-gesteuerten Bildmanipulationen) – und damit zu zwei der aktuell größten ethischen Herausforderungen in Sachen KI. Er verlor kein Wort zur notwendigen Transparenz bei folgenreichen Entscheidungs-Algorithmen, kein Wort zu staatlicher Regulierung.
In der Machbarkeit ein Mangel an Reflexion.
Dabei könnte ein klares Wort aus Rom den Diskurs richtig ins Rollen bringen!
Aber nein: Leider fehlt es in der Politik, in unseren Kirchen und Glaubensgemeinschaften, in den Medien und in der Zivilgesellschaft an klaren Aussagen zu der Frage, wo genau die Grenzen der KI liegen sollen. So ist es im Jahre 2019 ausschließlich eine Frage der Machbarkeit, wie weit die Fähigkeiten Künstlicher Intelligenzen gehen. Was geht und einen Markt verspricht, wird entwickelt. Fortschritt lässt sich nicht aufhalten, oder?
2. Namhafte Warnungen
Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Leistungsfähigkeit intelligenter Algorithmen in absehbarer Zukunft die des menschlichen Gehirns erreicht oder sogar übertrifft. Die Vision einer Starken KI, die ihre Fähigkeiten selbst verbessert und sich als Superintelligenz über die menschliche Berechen- und Steuerbarkeit erhebt, ist nicht unumstritten; dennoch gibt es viele Wissenschaftler*innen wie den schwedischen Philosophen Nick Bostrom oder den verstorbenen britischen Physiker Stephen Hawking, die dieses Szenario für möglich halten – und davor warnen. Immerhin, so ihre Sorge, müssten die Ziele eines möglichen überintelligenten Algorithmus‘ nicht mit denen der Menschen übereinstimmen. Ein Interessenkonflikt könnte unausweichlich werden.
Beeindruckende Innovationsgeschwindigkeiten.
So unklar der Weg dorthin auch sein mag und so ungewiss der Zeitpunkt, an dem mögliche überintelligente Maschinen die Weltbühne betreten – Superintelligenzen als Hollywoodphantasie à la Terminator abzutun, ist fahrlässig. Bislang kann eine Intelligenzexplosion logisch und techno-logisch nicht ausgeschlossen werden. Weil zudem die Geschwindigkeit technischen Fortschrittes noch immer schwer vorherzusagen ist, darf dieses Szenario im notwendigen KI-Diskurs nicht ausgeklammert werden.
Kirchen und Theolog*innen haben sich
zu interessieren.
Wir haben gesehen, dass bereits der aktuelle Stand der KI-Entwicklung Fragen aufwirft, die die Kirchen und Glaubensgemeinschaften zur Positionsbestimmung drängen. Erst recht dürfen sie aber zur technologischen Zukunft nicht schweigen! Zum einen, weil eine mögliche Superintelligenz das (christliche) Menschenbild radikal in Frage stellen würde. Sind die Menschen dann noch „Die Krone der Schöpfung“? Darf sich die Superintelligenz „die Erde untertan“ machen? Zum anderen wird es Zeit für klare Worte, weil einer Super-KI unser Gottesbild radikal in Frage stellen würde.
3. Ansätze neuer Informationsreligionen
Die Way of the Future-Bewegung, die in den USA als Kirche anerkannt ist, spricht tatsächlich von Gott, wenn Sie über die künftige Intelligenz spricht. „Es ist kein Gott in dem Sinne, dass er Blitze erzeugt oder Hurrikans verursacht“, beruhigt der Kirchengründer und ehemalige Googleentwickler Anthony Levandowksy. „Aber wenn es etwas gibt, das Milliarden Mal klüger ist als der klügste Mensch, wie willst du es sonst nennen?“
Die KI der Zukunft
könnte ziemlich göttlich sein.
Und die posthumanistische Vision, die Levandowskys Gemeinschaft teilt, geht noch weiter: Wenn eine hyperintelligente Maschine mit der ganzen Welt vernetzt ist und diese besser versteht als die Menschen mit ihrem begrenzten Verstand, ist sie dann nicht praktisch allmächtig? Anhänger der Superintelligenz-These wie Nick Bostrom oder sein Landsmann, der Kosmologe Max Tegmark, verweisen auf die heutigen Einsatzgebiete der KI in der Medizin und fragen: Wird die Superintelligenz Krankheit und Tod nicht ganz den Garaus machen? Der schillerndste Vertreter des Posthumanismus, Google-Chefentwickler Ray Kurzweil, erwartet vom technischen Fortschritt nicht weniger als das ewige Leben. Die KI der Zukunft könnte also ziemlich göttlich sein.
Welche Rolle käme noch dem Menschen zu?
Können unsere Religionen, können unsere Kirchen dazu schweigen, wenn sich die technologische Entwicklung in Richtung Göttlichkeit bewegt? Was bedeutet es für die Identitäts- und Vertrauenskrise, in der sich besonders die katholische Kirche befindet, wenn dieser Gott nicht nur von einer klerikalen Elite gedeutet werden kann, sondern von allen Menschen?
Welche Rolle hat der Mensch?
Und, spinnen wir diesen Gedanken weiter: Welche Rolle käme den Menschen zu, die ja Schöpfer dieses göttlichen Wesens wären? Müssten die Erschaffer*innen eines Gottes nicht selbst auch Gott sein? Wer versucht, in Bibel, Thora oder Koran Antworten auf diese Fragen zu finden, muss mit einer Enttäuschung rechnen. Die heiligen Schriften beschäftigen sich nur mit dem Verhältnis Gottes zu den Menschen und der Menschen zu ihrer Umwelt. Bislang hat das genügt. Doch im Falle eines von den Menschen selbst geschaffenen Gottes wäre eine neue Verhältnisbestimmung nötig. Die Gläubigen der Zukunft könnten dem Konflikt mit dem ersten Gebot (oder der 17. Sure des Korans) wohl kaum ausweichen, wo es heißt: „Du sollst keinen Gott neben mir haben.“
Aus den Kirchen ist wenig zu hören.
Für die Glaubensgemeinschaften steht einiges auf dem Spiel. Sie haben eine jahrtausendelange Erfahrung damit, die Welt zu deuten, das Leben zu ordnen, in Grenzsituationen präsent zu sein und Unerklärbares zu erklären – warum aber tun sie sich so schwer damit, eine definierte Haltung zur Künstlichen Intelligenz – oder auch nur: zur Technologie grundsätzlich – zu entwickeln? Bis heute gibt es keine ernsthafte Antwort der christlichen Kirchen auf Yuval Noah Hararis Bestseller Homo Deus, der den Glauben an einen Gott und an die Würde der nach seinem Ebenbild geschaffenen Menschen so fundamental angreift.
Keine Position, keine Haltung.
Bis heute gibt es keine wahrnehmbare Positionierung der Religionsoberen zur Way of the Future-Kirche. Und vielleicht am schlimmsten: Bis heute fehlt eine klare Haltung zu den quasi-religiösen Verheißungen des Silicon Valley. Keine Reaktion auf das prophetenhafte Auftreten eines Steve Jobs oder Tim Cook bei den Präsentationen der neuesten Apple-Geräte, die das in diesem Zusammenhang häufig benutzte Wort Apple-Jünger restlos erklären. Keine Reaktion auf die bunten Werbekampagnen der Techgiganten, die suggerieren, nur mit den neuesten Tools und Gadgets würden wir zu vollständigen Menschen. Keine Reaktion auf den dreisten Versuch von Facebook-Chef Mark Zuckerberg, das Bauen einer „globalen Gemeinschaft“ (er meint: die Nutzer seiner Dienste) durch Vergleiche mit Kirchen zu legitimieren, wie er es bei einer Rede in Harvard getan hat. Und in welcher Kirche, Synagoge oder Moschee hört man klare Meinungen zu den immer mächtiger werdenden Algorithmen?
Religiöse Gemeinschaften wie die christlichen Kirchen können wertvolle Aspekte in den KI-Diskurs einbringen. Doch dazu müssen sie den Menschen Orientierung für die Gegenwart geben und eine Haltung zu den Herausforderungen der Zukunft entwickeln, anstatt sprach- und positionslose Institutionen vergangener Zeiten zu sein.
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Autor: Michael Brendel ist Hörfunkjournalist und arbeitet als
Studienleiter für Politik und Medien im Ludwig-Windthorst-Haus in Lingen (Ems). 2019 erschien sein zweites Buch „Künftige Intelligenz – Menschsein im KI-Zeitalter“, ISBN 978-3-7482-9197-8.
Bild: liuzishan/Adobe Stock.