Weihnachten sind die Kirchen gefragt. Aber stehen volle Gottesdienste für eine generelle oder veränderte Wiederkehr von Religion bzw. Christentum? Jan Loffeld (Münster) hakt nach.
Immer wenn gesellschaftlich auf wesentliche Funktionen von Religion und Kirche hingewiesen wird (prominentes Stichwort: Postsäkularität) lauert hinter den Reaktionen die versteckte Versuchung, über die gegenwärtige religiöse Bedeutungskrise innerhalb säkularer Gesellschaften hinweg zu sehen. Und oft kommen die Entlastungsadressen dann auch postwendend: „es geht letztlich doch nicht ohne“.
Wiederkehr der Religion?
Besonders Weihnachten zeigt, wie Christentum und Kirche sich für die meisten Zeitgenossen mittlerweile vor allem punktuell und anlassbezogen-situativ ereignen. Dabei kann sich angesichts der Diskussionen um eine `Wiederkehr der Religion´ die Frage stellen: Was kehrt hier genau wieder? Religion light oder in anderer Formation? Tatsächlich: diese anderen Formen sind begrifflich nicht wirklich auf den Punkt zu bringen, sie sind eher liquid oder fuzzy. Denn schwerlich wird man von außen entscheiden können und dürfen, wie und was jemand empfindet oder glaubt, wenn etwa „Heilige Nacht“ in festlicher Gemeinde erklingt, eine Kerze in einer Kirche entzündet wird oder der Tod eines nahestehenden Menschen einbricht.
Vielleicht hilft hier eine Unterscheidung weiter: Wiederkehr von Religion in ihren anthropologischen Grundfunktionen: ja (wobei die Frage gestellt werden darf, ob diese Religion je `weg war´, oder erst jetzt, nach kirchlicher Exkulturation, eigens wahrnehmbar wird) – in ihren substantiellen Anteilen, wie ihn etwa die christlichen Dogmatiken reflektieren, wird Religion jedoch immer schwerer bestimmbar und zunehmend irrelevant.
Der verlorene Himmel
Säkularität bedeutet dann u.a. – mit dem Historiker Thomas Großbölting gesprochen – einen „verlorenen Himmel“ oder mit Charles Taylor den „Aufstieg einer säkularen Option“, die zunehmend existentiell ratifiziert wird: „Das Hauptmerkmal dieses neuen Kontextes ist, dass der naiven Anerkennung des Transzendenten bzw. von über das menschliche Gedeihen hinausgehenden Zielen oder Ansprüchen ein Ende gemacht wird. Doch hiermit verhält es sich ganz anders als bei den religiösen Umstürzen der Vergangenheit, in deren Verlauf ein naiver Horizont durch einen anderen ersetzt wurde oder eine synkretistische Verschmelzung beider stattfand […].
Wer sich umschaut, sieht, wie real dieses Szenario ist: Weite Teile unserer Kultur leben nicht aus Protest oder nach intensiver Auseinandersetzung ohne persönlichen Gottesbezug, nein, sie benötigen ihn schlichtweg nicht dauerhaft als maßgebliches transzendentes Gegenüber – weder für ihr Glück, noch im Unglück.
Säkulare Option vs. Kulturpessimismus
Diese säkulare Option könnte einen aussichtsreichen theologischen Erkenntnisort bedeuten, an dem sich existentiell insbesondere eine Frage stellt: Wer willst Du künftig sein, christliche Religion? Als Monopolistin war sie eher unfreiwillig und unter großen Machtverlusten in ein `säkulares Zeitalter´ hinein geraten, zugleich hatte sie es mit bedingt. Erst spät auf den Zug neuzeitlicher Subjektivität aufgesprungen, versuchte sie diese dann u.a. schöpfungstheologisch zu begründen. Je deutlicher allerdings gegenwärtig der radikale Bedeutungsverlust persönlichen und gemeinschaftlichen Glaubens – im privaten wie im pastoralen Umfeld gleichermaßen – zu spüren ist, desto vernehmbarer feiert ein Kulturpessimismus lehramtlicher und verkündigender Konfiguration fröhliche Urständ – und so grüßt wiederum das bekannte Murmeltier christlicher Selbstlegimitation: in unseren Reihen herrscht das wirkliche, wahre, tiefe und deshalb eigentliche Leben (vormals: Heil und Gnade), außerhalb säkularer Verfall (früher: Apostasie).
Verheutigung statt Vergestrigung, Welttüchtigkeit statt Weltflüchtigkeit, Inkarnation statt Exkulturation
Anschaulich lässt sich das an mancherlei homiletischen Einlassungen zur Adventszeit verdeutlichen: man spricht demonstrativ von Advents- statt von Weihnachtsmärkten ohne zu merken, dass völlig säkulare Versionen wie „Winter- oder Dezembermärkte“ auch nicht mehr lange auf sich warten lassen. Man verurteilt predigend „Glühweinseligkeit“, stellt etwa die prophetische Kraft der Täufergestalt dagegen, hangelt sich aber zugleich durch den übervollen Kalender diverser Weihnachts- bzw. (!) Adventsfeiern.
Latent bleibt so die Figur eines apologetischen Innen/Außen, Wenn/Dann oder Hier/Dort allenthalben stilprägend. Die säkulare Option – und damit wiederum letztlich Freiheit und Subjektivität – ernst zu nehmen könnte bedeuten, die diversen Eigengesetzlichkeiten unserer Welt (d.h. auch von Religionen und Kirchen in ihr) zu schätzen und sich darin auf den Markt zu begeben. Nicht unter radikaler Selbst- oder Fremdaufgabe, sondern schlichtweg als Aufgabe. Konzilstheologisch formuliert: Verheutigung statt Vergestrigung, Welttüchtigkeit statt Weltflüchtigkeit, Inkarnation statt Exkulturation.
(Jan Loffeld)
Bildquelle: http://www.sueddeutsche.de/bayern/nuernberger-christkindlesmarkt-weihnachtliche-wiesn-1.1537875-5