Frauen in Ost- und Westdeutschland – dieses Thema stellen wir in einer Interview-Reihe im Juli immer mittwochs vor. Es geht um Anfänge, Aufbrüche und Aktuelles. Eva Harasta interviewte für feinschwarz.net Frauen aus Ost- und Westdeutschland. Heute im Gespräch mit Claudia Hauptmann.
Harasta: Sie haben in den 1990er Jahren an der Hochschule für Kunst und Design Halle, Burg Giebichenstein bei Gudrun Brüne studiert. Spielte im Studium die Auseinandersetzung mit Geschlechterfragen eine Rolle – etwa in Bezug darauf, als Künstlerin mit dem männlich geprägten Rollenbild des Malers konfrontiert zu sein?
Hauptmann: Mein Malereistudium an der Burg Giebichenstein begann 1989 mit einem „nullten“ Studienjahr, in dem man eine Woche im Monat intensiven Zeichenunterricht an der Hochschule erteilt bekam und die anderen drei Wochen in einem kunstnahen Betrieb arbeiten musste, was ohne Zweifel für eine gewisse Bodenständigkeit der zukünftigen Kunstschaffenden sorgte. Viele meiner Mitstudierenden arbeiteten in Restaurierungs- oder Bühnenwerkstätten. Ich selbst habe das Jahr in einer kleinen Leipziger Bleiglaserei verbracht, wo ich das alte Handwerk der Glasmalerei erforschte, Glasschneiden lernte und Entwürfe für kleinere und auch große Bleiglasfenster entwickelte. Die Firma war ein klassischer Handwerksbetrieb, organisiert in der seit Jahrhunderten tradierten Hierarchie mit einem Meister, einem Gesellen, einem Mitarbeiter und einem Lehrling. Ich habe mich unter diesen vier Männern immer sehr wohl gefühlt und habe mit ihnen eine lebensfrohe Arbeits-Gemeinschaft kennengelernt.
Fähigkeiten und Engagement – nicht etwa das Geschlecht – standen im Vordergrund.
Am Abend eines Arbeitstages hielten alle dessen Ergebnis in den Händen und waren zufriedene, ausgefüllte, selbstbewusste und ausgeglichene Menschen, die in mir als einziger Frau in ihrem Kreis eine anerkannte Kollegin sahen. (Der Soziologie würde ich empfehlen, einmal das Verhältnis zu untersuchen von Selbstentfremdung im Job und Aggressionspotential dem anderen Geschlecht gegenüber.) Fähigkeiten und Engagement – nicht etwa das Geschlecht – standen im Glaserteam im Vordergrund.
Sheherazade
Auch im Studium spielten Geschlechterfragen zunächst keine Rolle. Dass eine Frau einen künstlerischen Beruf ergreift, schien so selbstverständlich zu sein wie es für die meisten Frauen in der DDR selbstverständlich war, nahezu jeden Beruf ergreifen zu können und dafür natürlich auch den gleichen Lohn wie männliche Kollegen erwarten zu dürfen. An der Burg wurden wir Studierenden sowohl von Frauen als auch von Männern unterrichtet. Vielleicht überwogen an dieser Schule sogar etwas die weiblichen Lehrkräfte.
Kunstgeschichte … eine Aneinanderreihung von Männernamen
Warum auch sollten Frauen schwächere Kunstwerke hervorbringen als Männer, wenn sie die gleiche Ausbildung erhalten hatten? Die Kunstgeschichte allerdings stellte sich uns als eine Aneinanderreihung von Männernamen dar, was uns nachdenklich machte und uns immer verdächtiger wurde. Wir Studentinnen begannen zu forschen und zu suchen, uns gegenseitig aufmerksam machend auf Kolleginnen früherer Zeiten und fanden durchaus mehr Künstlerinnen als Paula Modersohn-Becker und Frida Kahlo. Es gab sie über alle Zeiten hinweg, sogar recht zahlreich! Viele von ihnen waren zu Lebzeiten gefeierte Stars, deren Bilder begehrt und hochpreisig waren. Allerdings sind die meisten von ihnen nach ihrem Tod bald wieder in Vergessenheit geraten. Ich erkläre mir das mittlerweile damit, dass diese Künstlerinnen zwar durchaus eigene Werkstätten führten, darin aber kaum ausbilden durften wie ihre männlichen Kollegen und somit keine Schulen begründen konnten, die eine Tradition weitergaben und weiterentwickelten.
Geschlechterfragen waren während des Studium kaum ein Thema.
Dennoch waren Geschlechterfragen während meines Studiums kaum ein großes Thema. Ich war, wie etliche andere Studentinnen auch, Mutter. Meine kleine Tochter ging in den Kindergarten, und ich lernte effektiv zu arbeiten, um das Studium, die kleine Familie und den großen Freundeskreis unter einen Hut zu bringen. Morgens war ich immer eine der ersten im Atelier. Wenn ich nachmittags ging, um die Tochter abzuholen, begannen viele andere erst ihren Arbeitstag auf der Burg. Nach fünf Jahren Regelstudienzeit verteidigte ich mein Diplom und wurde anschließend zwei zusätzliche Jahre Meisterschülerin bei Gudrun Brüne.
Natale
Dass mir Studium und Familie so vereinbar waren, lag aber auch sehr daran, dass die DDR-Strukturen in Sachen Kinderbetreuung Anfang der 90er Jahre noch funktionierten und dass vor allem der Vater des Kindes – er war damals Musikstudent in Leipzig – sich ganz selbstverständlich alle Familienaufgaben mit mir teilte. Ich glaube, dass es uns ziemlich gut gelungen ist, einander die jedem von uns nötige Freiheit zu belassen, ein sehr lebendiges, offenes Haus zu führen und während unserer bunten Hochschulzeit nicht die schlechtesten Eltern zu sein.
Harasta: In Ihren Bildern setzen Sie Männer und Frauen vielfältig ins Verhältnis zueinander. Dabei erscheinen oft auch Aktdarstellungen von Frauen. 1989 fragten die feministischen Guerilla Girls: „Do Women Have To Be Naked To Get Into The Met. Museum?“. Sie wollten darauf aufmerksam machen, dass Frauen (damals) fast nur als Sujet von Bildern ins Museum kamen, kaum als Künstlerinnen, die eigene Werke schufen. Wie gehen Sie um mit der Tradition, dass Frauen – und besonders Frauenakte – als Projektionsfläche des männlichen Blicks dargestellt werden? Was macht ein Frauenbildnis zum Bildnis einer Person statt zur Projektionsfläche männlicher Wünsche?
Hauptmann: Bilder sind immer Projektionsflächen für den Blick der Betrachtenden. Wenn sie es nicht sind, bleiben sie uninteressant. Mich überrascht die seit einigen Jahren um sich greifende neue Prüderie in der Kunst. Während jeder Zeitungskiosk überquillt von nacktem Fleisch und wogendem Busen, verweigern sich zunehmend Galerien und Ausstellungen dem Thema Akt. Auch mir gab eine Berliner Galeristin zu verstehen, dass sie meine Bilder gern ausstellen würde, aber nur wenn auf ihnen keine nackten Menschen gezeigt würden. „Es könnten ja auch Kinder sehen.“
Neue Prüderie in der Kunst?
Das wirkte auf mich verstörend und lächerlich. Ich habe meine Kindheitssommer an den FKK-Stränden der Ostsee verbracht und gelernt, dass man sich für etwas Natur- oder nennen Sie es Gott-Gegebenes nicht zu schämen braucht. Bisher war in der Kunst die Darstellung des unbekleideten Menschen die Königsdisziplin, das Schwerste und Anspruchsvollste. Dabei konnte die Nacktheit entpersönlichend sein und ist deshalb oft in allegorischen Darstellungen zu finden. Sie konnte aber auch den individuellen Ausdruck bis ins Schmerzliche steigern. Sie war, wie es viele – vor allem barocke – Bilder beweisen, in der Lage, überschwänglich Sinneslust und Lebensfreude zu feiern und vermochte das absolute Ausgeliefertsein eines Gekreuzigten vor Augen zu führen.
Erschaffung
Wenn ich Nacktheit darstelle, dann um Geschichten zu erzählen wie beispielsweise die von der Geschichtenerzählerin Sheherazade, die ihrer Bedrohung mit dem ganzen Reichtum ihrer inneren Welt (d.h. unter Einsatz ihrer geistigen wie auch ihrer körperlichen Fähigkeiten) begegnete und als Künstlerin und Therapeutin die Rachsucht und Wut des tiefgekränkten Sultans überwand. Ich erzähle von Penelope, der Geschickten, Geduldigen, der Alternden, von Medusa, der entmachteten und ins Scheusal verkehrten Göttin, die im Tode noch den Kampf und die Poesie gebar, von Salome, der zur Intrige Missbrauchten, von den am versiegten Quell der Inspiration eingeschlafenen Musen, von Eva, die den sich vor ihren Füßen schlängelnden Weg durchs Unwirtliche fand.
Harasta: Würden Sie sagen, die Bedingungen für Künstlerinnen haben sich verbessert, seit Sie die Hochschule verließen? Welche Faktoren, die nichts mit dem künstlerischen Ausdruck zu tun haben, werden am Kunstmarkt systematisch benachteiligt – und zählt das Geschlecht dazu?
Hauptmann: Die Bedingungen für die meisten Künstlerinnen haben sich, wie für viele andere berufstätige Frauen, ganz bestimmt nicht verbessert, da die Karrieremöglichkeiten durch die Doppelbelastung eingeschränkt bleiben. Nach wie vor tragen Frauen die Hauptlast bei der Kindererziehung, bei der Versorgung von Angehörigen und bei der Altenpflege. Vielleicht tun sie das, weil sie eine höhere soziale Verantwortung verspüren. Das nutzt die Gesellschaft immer wieder gnadenlos aus, ohne zu riskieren, dass diese Frauen einmal gründlich streiken könnten, denn das bedeutete für sie, die Hilfsbedürftigen und Schwächeren im Stich zu lassen. Frauen sind manchmal mit ihrem an Stumpfsinn grenzenden Pragmatismus immer wieder diejenigen, die für das Über- und Weiterleben sorgen.
Verweigerung
Der Markt ist ein einziger großer Wettbewerb mit bedrohlicher Eigendynamik. Das gilt auch für den Kunstmarkt. Während ich unter Kolleginnen oft erlebe, dass sie sich bei Ausstellungsmöglichkeiten, Galerien, Sammlern und für Kunstpreise gegenseitig empfehlen und vermitteln, nehme ich diesbezüglich bei Kollegen eher eine dem Konkurrenzgedanken geschuldete Zurückhaltung wahr. Frauen gelingt dadurch eher ein Überleben im Mittelfeld, während Männer die Spitzenpositionen anstreben. – Solche Aussagen gelten nie generell. Es gibt auf beiden Seiten Gegenbeispiele. Aber ich glaube, dass der Wettbewerbs-Ehrgeiz im Allgemeinen bei Männern stärker ausgeprägt ist, die zahlenmäßig auch das sind, was man marktführend nennt.
Und deshalb müssen Künstler und Künstlerinnen auch für die Kunst und von ihr leben können.
Aber sind Ruhm und erzielte Verkaufspreise auch ein Äquivalent für den Wert eines Kunstwerkes? Oft wird sogenannte erfolgreiche Kunst zum Spekulationsobjekt, führt das Scheindasein einer Aktie und wird nur noch nach ihrem (vermeintlichen) Geldwert beurteilt. Wie aber steht es um ihre unvermittelte Wirkungsmacht? Wohin führt und begleitet sie uns? Welche Magie geht von ihr aus? Welche Fragen lässt sie in uns entstehen und wohin leitet sie unseren Blick? Sollte sie uns nicht in irgendeiner Weise eine Hilfe in unserem hochkomplizierten Menschsein sein?
Wenn in der Öffentlichkeit zunehmend vom Geldwert der Kunst und abnehmend von ihren Inhalten gesprochen wird, ist es im Grunde genommen der Kunstmarkt selbst, der die Kunst degradiert zur reinen Ware und diese eigentlich entwertet. Sie ist ja doch etwas, das uns daran erinnern kann, dass nicht alles in Zahlen auszudrücken ist und auch nicht restlos in den Kombinationen von Null und Eins seine Entsprechung finden kann. Und deshalb müssen Künstler und Künstlerinnen auch für die Kunst und von ihr leben können.
Das Interview führte PD Dr. Eva Harasta, Studienleiterin für Theologie, Politik und Kultur an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt e.V. in Lutherstadt Wittenberg.
Weitere Informationen zu Claudia Hauptmann: http://www.claudia-hauptmann.com/
Interessierte am Thema sind bereits jetzt herzlich zur Tagung „Ohne Frauen ist kein Staat zu machen. Frauenbewegungen in Ost und West“ (7. bis 9. Mai 2021) eingeladen – u.a. mit einer Vernissage zur Ausstellung „Muttersprache“ von Claudia Hauptmann (8. Mai bis 31. Juli 2021 in der Ev. Akademie Sachsen-Anhalt e.V. in Lutherstadt Wittenberg)
Bildquellen:
Beitragsbild: Claudia Hauptmann, Madonna del Prato (nach Bellini), 2017, 130 x 100 cm, Öl auf Leinwand, Foto: Bertram Lorenz
Sherezade: Claudia Hauptmann, Sheherazade, 2011, Tempera und Öl auf Hartfaser, 140,0 x 100,0 cm
Foto: Lisa Johanna Thiele
Natale: Claudia Hauptmann, Natale, 2018, Öl auf Leinwand, 140 x 100 cm
Foto: Lisa Johanna Thiele
Erschaffung: Claudia Hauptmann, Erschaffung, 2018, Öl auf Leinwand, 100 x 80 cm
Foto: Hilde Pank
Verweigerung: Claudia Hauptmann, Verweigerung des Urteils, 2016, Öl auf Leinwand, 140 x 100 cm
Foto: Hilde Pank