Vor wenigen Tagen ist Hans Waldenfels SJ (1931-2023) verstorben. Ein Nachruf von Klaus Vechtel SJ
Vor 40 Jahren habe ich den Jesuiten und Professor Hans Waldenfels (Prof. em. Dr. Dr. Dr. h.c.) während meiner ersten Semester in Bonn im Fach Fundamentaltheologie gehört. Zu dieser Zeit hatte ich weder eine Ahnung von dem, was Fundamentaltheologie noch was ein Jesuit ist. Zu beidem hat er mir auf seine eigentümliche Weise einen Zugang eröffnet. Hans Waldenfels verfolgte in diesen Jahren das wegweisende Projekt einer Kontextuellen Fundamentaltheologie, die davon ausgeht, dass der christliche Glaube und seine theologische Reflexion in einen vielschichtigen säkularen und zugleich multireligiösen sowie ökumenischen gesellschaftlich-kulturellen Kontext gestellt sind und darin ihre Dialog- und Kommunikationsfähigkeit erweisen müssen. Das Tun der Fundamentaltheologie lässt sich für Waldenfels „mit dem Stehen an der Türschwelle eines Hauses vergleichen“[1]. Sie hört nicht nur die Argumente derer, die vor der Tür stehen, um sie dann mit dem Wissen derer, die im Haus sind, zu konfrontieren. Sie macht sich vielmehr „zu eigen, was die Menschen draußen wissen und sehen – in Philosophie, Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften“[2], aber auch in den anderen Religionen, vor allem den großen Weltreligionen wie dem Judentum und dem Islam, dem Hinduismus und dem Buddhismus. Dieses Auf- und Ernstnehmen des Denkens der Anderen ermöglicht erst, das Eigene richtig sehen zu lernen und schließlich das „Wissen von innen“ als eine Einladung zu präsentieren an alle, die draußen und drinnen stehen.
Fundamentaltheologie: Eine Wissenschaft „an der Tür“…
Waldenfels nimmt eine gewisse Arbeitsteilung von Fundamentaltheologie und Dogmatik dahingehend an, dass die Fundamentaltheologie eine Wissenschaft „an der Tür“ ist, die in ihrer Reflexion den Geltungsanspruch des christlichen Glaubens zu vermitteln sucht, während die Dogmatik als Wissenschaft „im Innern des Hauses“ die christliche Botschaft als Norm bedenkt. Zugleich lässt er jedoch keinen Zweifel daran, dass jede theologische Disziplin – und somit alles theologische Denken – immer auch an der Tür stehen muss, um zu verstehen, wie und warum sie in das Haus gekommen ist: „Keine theologische Disziplin kann in diesem Sinne auf die fundamentaltheologische Perspektive verzichten.“[3]
Dialog zwischen Christentum und Buddhismus
Das Stehen „auf der Türschwelle“ prägte die theologische Existenz von Hans Waldenfels ebenso wie sein Leben im Jesuitenorden. Von 1956 bis 1965 lebte er in Japan und folgte damit dem Aufruf zur Mission des damaligen Vizeprovinzials in Japan, P. Pedro Arrupe. Bedeutsam war für Hans Waldenfels in Japan die Begegnung mit dem Religionsphilosophen der Kyoto-Schule Keiji Nishitani (1900-1990), die sich in seiner Habilitationsschrift Absolutes Nichts. Zur Grundlegung des Dialogs zwischen Christentum und Buddhismus[4] niederschlug. Nishitani bemerkt dazu im Geleitwort, dass in dieser Studie „wohl zum ersten Mal von westlicher Seite in großer Tiefe auf den Kern des Problems im gegenwärtigen Gespräch zwischen Christentum und Buddhismus“[5] eingegangen wurde: Wie ist überhaupt ein sachgerechtes Verständnis der Begriffe „Nichts“ bzw. „Leere“ möglich, wenn die westlich-christliche Theologie mit diesen Wörtern anderes verbindet, als es der Buddhismus tut, und was kann zu diesen Begriffen aus christlicher Perspektive gesagt werden?
Das Verstehen des Anderen, ohne einen christlichen Überlegenheitsgestus.
Das Verstehen des Anderen, ohne einen christlichen Überlegenheitsgestus, und das Sehen der eigenen Position „mit fremden Augen“[6] prägte die Arbeit von Hans Waldenfels. Auch wenn er nach dem Promotionsstudium in Rom und in Münster und der Habilitation in Würzburg nicht nach Japan zurückkehrte, blieb er seiner zweiten Heimat Japan verbunden, wie sich in vielen Publikationen zum christlich-buddhistischen Gespräch zeigt. Sein Gespür für die Bedeutung der anderen Religionen, die auch mit einer zunehmenden Säkularisierung und „Entchristlichung der westlichen Welt“[7] nicht in ihrer die Lebenswirklichkeit prägenden und die christliche Theologie herausfordernden Bedeutung verschwinden, kommt auch zum Ausdruck in seiner Herausgeberschaft des Lexikon der Religionen[8], welches das von Kardinal Franz König begründete Religionswissenschaftliche Wörterbuch in neuer Gestaltung weiterführte.
Das Wort „Du“ in der Sprache des Gebets.
Die zahlreichen Ehrungen und Preise, die Hans Waldenfels zuteil wurden, die Gastprofessuren und Mitgliedschaften, seine seelsorgliche Tätigkeit und seine theologische Vermittlungsarbeit in den „Düsseldorfer Mittwochsgesprächen“ sowie schließlich seine immense Publikationstätigkeit im Einzelnen zu würdigen, ist an dieser Stelle kaum möglich. Stattdessen möchte ich auf das Schlusskapitel der Kontextuellen Fundamentaltheologie hinweisen, das überschrieben ist mit „Auf Dein Wort hin“[9]. Hier finden sich keine argumentativen Schlüsse, sondern Texte, die P. Waldenfels wohl persönlich wichtig waren, angefangen mit der Berufungsgeschichte im 5. Kapitel des Lukasevangeliums, einer Weihnachtsmeditation seines Ordensmitbruders Alfred Delp, einer meditativen Reflexion für eine Basisgemeinde in Peru – und schließlich am Ende ein Gedicht in rheinischem Dialekt, „auf Kölsch“, überschrieben mit dem Personalpronomen „Du“. Vielleicht kommt darin etwas über das Denken und die theologische Existenz von Hans Waldenfels zum Ausdruck. Erst nachdem man, auf der Schwelle stehend, auf die fremden Stimmen gehört hat, lässt sich in der intimen Form des Dialekts (Hans Waldenfels wurde in Essen geboren, lebte aber über Jahrzehnte in Düsseldorf) das Wort „Du“ in der Sprache des Gebets sagen. Lässt sich damit genau bestimmen, wer das angeredete „Du“ ist? Oder ist die Theologie auf die Schwelle verwiesen, auch wenn sie das Haus betreten hat? Erfahrbar ist, was von dem angesprochenen „Du“ ausgeht an Vertrauen und an Hoffnung: „Eene wie Dech/kann/mer niemols verleere“[10]. Dass Hans Waldenfels seinen Gott niemals verlieren kann, war sein Glaube. Seine Theologie wollte diesem Glauben nachdenken, auch für uns heute.
Klaus Vechtel SJ, studierte Theologie in Bonn und Rom, wo er 1989 durch Kardinal Joseph Ratzinger zum Priester geweiht wurde. 1991 trat er in die Gesellschaft Jesu ein. Seit 2007 lehrt er an der Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main, seit 2014 als Professor für Dogmatik.
[1] Hans Waldenfels, Kontextuelle Fundamentaltheologie, Paderborn u.a. 1985, 87.
[2] Ebd.
[3] Ebd.
[4] Hans Waldenfels, Absolutes Nichts. Zur Grundlegung des Dialogs zwischen Buddhismus und Christentum, Freiburg i. Br. 1976.
[5] Ebd., 3.
[6] Wolfgang Gantke, Hans Waldenfels, in: Michael Klöckner u. Udo Tworuschka (Hg.), Handbuch der Religionen 34, EL 2012, zitiert nach: https://www.waldenfels-born-stiftung.de/HdRBeitragWaldenfels.pdf (letzter Zugriff 15.11.2023). Der Artikel von Gantke bietet eine ausführliche Würdigung von Leben und Werk von Hans Waldenfels.
[7] Waldenfels, Kontextuelle Fundamentaltheologie, 5.
[8] Lexikon der Religionen, hrsg. v. Hans Waldenfels, Freiburg i. Br. 1987.
[9] Waldenfels, Kontextuelle Fundamentaltheologie, 489–495.
[10] Ebd., 495.
Beitragsbild: https://www.jesuiten.org/personen/hans-waldenfels-sj