Acht Milliarden Menschen leben nun offiziell auf der Erde. Mehr als genug, meinen einige, und plädieren aus Klimaschutzgründen (wieder) dafür, auf Nachwuchs zu verzichten. Doch diese Haltung greift zu kurz, und dahinter steckt oft mehr als ein ökologisches Gewissen, meint Elisabeth Zschiedrich.
Auf den ersten Blick mag der Zusammenhang einleuchten: Der größte Feind unseres Planeten ist der Mensch. Es sind seine Abgase, sein Müll, sein Konsumdrang und seine Kurzsichtigkeit, die die Luft, den Boden und die Gewässer verschmutzen, die die Vielfalt von Pflanzen und Tieren reduzieren, die das Klima schließlich derart verändern, dass Leben auf der Erde zerstört wird und das Wohl der Menschheit insgesamt gefährdet scheint. Die auf der UN-Klimakonferenz in Ägypten diskutierten Zahlen und Fakten sind alarmierend. Selbst wenn die Menschen ihr Verhalten besserten, könnte ihre steigende Zahl zur Gefahr für die Erde werden.
Kinderlosigkeit als umweltethisch bester Lebensentwurf
Weil dem so ist, sei es geboten, der Welt nicht immer neue Menschen zuzumuten. Oder, anders ausgedrückt: Wer etwas für die Erde tun möchte, solle tunlichst auf Nachwuchs verzichten. So lautet ein Appell, der bereits im Kontext früherer Umweltbewegungen zu hören war und seit einiger Zeit wieder diskutiert wird. Neu aufs Tableau gebracht hat das Thema in Deutschland vor drei Jahren Verena Brunschweiger mit ihrer These von der „Kinderfreiheit“ als (umwelt-)ethisch bestem Lebensentwurf.[1] Rückendeckung dafür fand sie unter anderem in dem Bericht an den Club of Rome[2] aus dem Jahr 2016. Dessen Autoren plädieren für eine Begrenzung oder, besser noch, eine Umkehrung des globalen Bevölkerungswachstums. Vor allem die Geburtenzahlen in den Industrieländern sollten ihnen zufolge gesenkt werden, denn hier verbrauchten Kinder 30-mal so viele Ressourcen wie Kinder in Entwicklungsländern.[3]
Bisher galten Kinder als gemeinwohlförderlich
Bis die These von der umweltethisch gebotenen Kinderlosigkeit eine gewisse Prominenz erlangte, galt in unseren Breiten nicht die Entscheidung gegen, sondern die Entscheidung für Kinder als Beitrag zum Gemeinwohl. Seit Jahrzehnten sinken die Geburtenraten in den Industrieländern, die Bevölkerungen altern und schrumpfen. Die demografische Entwicklung bringt erhebliche wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Herausforderungen mit sich, deren langfristige Lösung in einem Wiederanstieg der Geburtenzahlen, gepaart mit hoher Zuwanderung, gesehen wird.[4] Das deutsche umlagefinanzierte Sozialversicherungssystem basiert beispielsweise darauf, dass die Jungen etwa gleich hohe Beiträge einzahlen wie Renten an die Alten ausbezahlt werden. Viele Länder unterstützen daher Familien und fördern zum Teil gezielt das Kinder-Bekommen.
Kinder für die Rente – oder lieber keine Kinder fürs Klima?
Wofür sollen sich die Einzelnen angesichts der Herausforderungen entscheiden? Sollen sie Kinder bekommen wegen der Rente oder sollen sie wegen des Klimas auf Nachwuchs verzichten? Allen Ernstes so zu fragen, griffe aus mehreren Gründen zu kurz. Kinder lassen sich weder auf ihre Rolle als Rentenbeitragszahlende noch auf ihren CO2-Ausstoß reduzieren. Der Möglichkeitsraum für all das, was ein Mensch in die Welt einbringen kann, ist so groß, dass zum Zeitpunkt seiner Zeugung kaum Aussagen darüber getroffen werden können, was dies im Einzelnen sein wird. Ein Kosten-Nutzen-Vergleich mit Blick auf jedes neue Leben ist aber nicht nur theoretisch unmöglich, sondern auch ethisch-moralisch gesehen verwerflich. Ein Denken in diesen Kategorien wäre Ausdruck eines verkürzten, instrumentalisierten Menschenbildes. Außerdem handelt es sich bei der national organisierten Rente und dem global wirksamen Klima um Güter, die nicht miteinander verglichen werden können.
Niemand bekommt Kinder der Rente wegen
Die Rettung der Renten der Rettung des Klimas gegenüberzustellen, ist in diesem Zusammenhang aber noch aus einem weiteren Grund absurd: Niemand bekommt Kinder der Rente wegen. Und kaum jemand optiert nur wegen des Klimas dagegen. Wer sich entscheidet, Mutter oder Vater zu werden, tut dies aus den unterschiedlichsten Gründen, vielleicht um verbindlich Verantwortung zu übernehmen, um eine Familiengemeinschaft zu gründen oder um etwas Bleibendes zu schaffen, das über sie oder ihn hinauswirkt. Die wenigsten Eltern können genau sagen, warum sie so entschieden haben. Bei denjenigen, die keinen Kinderwunsch verspüren, ist das meist ähnlich.
Wessen Zukunft soll gerettet werden?
Die „Keine-Kinder-fürs-Klima“-These erweckt dagegen den Eindruck, als könne die für viele Menschen existenzielle, identitätsbildende Entscheidung für oder gegen Elternschaft anhand einfacher und klarer Kriterien getroffen werden. Die Argumentationsgrundlage ist aber auch hier weniger eindeutig, als sie zunächst erscheinen mag. So wird die Richtigkeit der Berechnungen, die den Verzicht auf ein Kind in gut 58 Tonnen jährlich eingespartem CO2 bemessen wollen, von einigen Fachleuten bezweifelt. Auch könnten unsere globalen Probleme eines Tages gerade dank der Ideen neuer Menschen vielleicht besser gelöst werden, als wir das heute sehen. Und schließlich stellt sich die Frage, wessen Zukunft überhaupt mit dem Nachwuchs-Verzicht gerettet werden soll, wenn die Menschen tatsächlich keine Kinder mehr bekämen. Kinder – ja oder nein?, das lässt sich mit einem Verweis auf das Klima also ebenso wenig abschließend beantworten wie mit jedem anderen (scheinbar) rationalen Argument.[5]
Es geht um den Kern des Rechts auf reproduktive Autonomie
Unabhängig von allen Gründen, die die Antwort auf die Kinder-Frage letztlich bedingen: Sie betrifft den Kern der menschenrechtlich verankerten reproduktiven Autonomie und muss daher eine frei zu gebende Antwort bleiben. Tatsächlich ist es aber diese in freiheitlichen Gesellschaften eigentlich selbstverständliche Sache, die häufig zur „Keine-Kinder-fürs-Klima“-These führt. Auch das zeigt sich in dem oben bereits zitierten Buch: Bevor Brunschweiger die Klima-These bemüht, benennt sie die ihrer Meinung nach eindeutigen individuellen Nachteile des Kinder-Bekommens und beschreibt ausführlich ihre persönlichen Negativerfahrungen mit Eltern und Kindern. Die These des angeblich ethisch ohnehin gebotenen Nachwuchsverzichts aus Klimagründen wirkt wie eine hinzugefügte sozial kompatible Rechtfertigung ihres Lebensentwurfs, zu der sie sich als Frau ohne Kinder auch in Zeiten reproduktiver Autonomie genötigt sieht.
Kinderlose stehen immer noch unter Rechtfertigungsdruck
Dass gerade kinderlose Frauen (weitaus mehr als kinderlose Männer!) in unserer Gesellschaft immer noch unter Rechtfertigungsdruck stehen und mit Anfragen konfrontiert werden, die ihren Lebensentwurf betreffen, belegen zahlreiche Zeitungsartikel und Bücher aus den vergangenen Jahren.[6] Das ist traurig und beschämend und zeigt, wie gerade Frauen in unserer Gesellschaft nach wie vor auf bestimmte Rollen festgelegt werden. Angesichts dessen zum Gegenangriff überzugehen und Eltern (und insbesondere wiederum die Mütter) als Klimasünder*innen zu brandmarken, ist allerdings wenig hilfreich.
Gefragt ist ein solidarisches Miteinander von Eltern und Kinderlosen
Vielmehr sollten Eltern und Kinderlose, Mütter und Nichtmütter, solidarisch miteinander umgehen. Das bedeutet, einerseits den Lebensentwurf der anderen mit all seinen Bedingungen und Facetten, nicht reduziert auf einzelne Aspekte, wahrzunehmen und andererseits für die gesellschaftlichen Folgen des eigenen Lebensentwurfs Verantwortung zu tragen. Menschen ohne Kinder sollten Familien unterstützen, weil diese in einer Weise zum Gemeinwohl beitragen, wie sie selbst es nicht tun (können). Menschen, die Kinder bekommen, sollten ihre Kinder für ein klimabewusstes Verhalten sensibilisieren und auch selbst nachhaltig handeln, in dem Wissen, dass Menschen das Klima prinzipiell gefährden. Dass Eltern die Verantwortung, dies zu tun, in besonderem Maße spüren, ist, anders als es die „Keine-Kinder-fürs-Klima“-These nahelegt, nicht unwahrscheinlich. Denn sie haben diejenigen konkret vor Augen, für die es die Erde zu erhalten und das Klima zu schützen gilt.
[1] Vgl. Verena Brunschweiger, Kinderfrei statt Kinderlos. Ein Manifest, Marburg 2019.
[2] Der Club of Rome ist ein internationaler Zusammenschluss von Denker*innen, der mit seiner öffentlichen Tätigkeit die politischen Entscheidungsträger*innen in aller Welt zur Reflexion über die globalen Menschheitsprobleme anregen will.
[3] Vgl. Jørgen Randers/Graeme Maxton, Ein Prozent ist genug. Mit wenig Wachstum soziale Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Klimawandel bekämpfen, München 2016.
[4] Vgl. Elisabeth Zschiedrich, Elternschaft und Gemeinwohl. Ein sozialethischer Beitrag zum demografischen Diskurs, Paderborn 2018.
[5] Vgl. Barbara Bleisch und Andrea Büchler, Kinder wollen. Über Autonomie und Verantwortung, München 2020, 81-84.
[6] Vgl. zuletzt Nadine Pungs, Nichtmuttersein. Von der Entscheidung, ohne Kinder zu leben, München 2022.
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Dr. Elisabeth Zschiedrich ist Doktorassistentin am Departement für Moraltheologie und Ethik der Universität Fribourg/CH.
Bild: S. Hofschaeger – Pixelio.de