Der Pflegebereich ist gerade in der Coronazeit in den Fokus gerückt. Helga Kohler-Spiegel rezensiert das Buch „Auf Klingel“ über den Berufsalltag und das Leben von Menschen in der Pflege.
Lange bevor Corona, bereits im September 2017, konfrontierte der Krankenpfleger Alexander Jorde Bundeskanzlerin Angela Merkel in der „ARD-Wahlarena“ mit zahlreichen unbequemen Fragen zum Thema Pflege. Der personelle Notstand, schlechte Bezahlung, schwierige Arbeitszeiten, Ausstattung in den Einrichtungen u.a. rückten in den Mittelpunkt der Diskussion. Die Medien berichteten von katastrophalen Zuständen in deutschen Krankenhäusern und Altenheimen.
Die Autor*innen wollen miterleben, wie das System funktioniert.
Zwei Monate zuvor schon war die Idee zu diesem Buch geboren. Kathrin Feldhaus, Michael Kaiser und Margarethe Mehring-Fuchs fixierten den Plan, „Pflegende in ihre Berufswelt zu begleiten und mehr über die verschiedenen Bereiche der Pflege und den Alltag der Akteur*innen zu erfahren.“ (S. 4) Die Autor*innen interessiert die Welt hinter den negativen Schlagzeilen und der Stigmatisierung des Pflegebereichs, sie wollen genau hinsehen und mit den Pflegenden sprechen, sie auf die Stationen begleiten, selbst hospitieren – ein Jahr lang hat dieser Prozess gedauert. Die Autor*innen wollen miterleben, wie das System funktioniert, von der Kinderklinik bis zum Altenheim, im somatischen und psychiatrischen Bereich, vom ambulanten Sektor bis zum Hospiz. Sie schreiben: „Im Mittelpunkt dieses Buches stehen Menschen, die uns, unsere Kinder, Eltern oder Großeltern pflegen – sowie ihre Sicht auf den eigenen Berufskosmos. Wir haben sie jedoch nicht nur an ihrem Arbeitsplatz aufgesucht, sondern gefragt, ob wir si e mit der Fotografin Britt Schilling in ihrem Leben jenseits des Jobs besuchen dürften. … Manchen haben wir Polaroid-Kameras und den Auftrag gegeben, ihren Alltag damit zu dokumentieren.“ (S. 5) Darüber hinaus kommen auch Expert*innen in Gesprächen zu Wort.
Im Vordergrund dieses Buches stehen diejenigen Menschen, die diese Arbeit tun, wie sie denken, was ihnen wichtig ist.
So ist es möglich, der Altenpflegerin Pauly und dem Kinderkrankenpfleger Michi zu begegnen, Anna und Jiljana und Sabine in der Ausbildung, so werden Shamin und Heike und andere auch lebendig in ihrer beruflichen und privaten Welt. Ihre Worte, ihre Fotos, die Bilder… – ihr Leben. Es stimmt ja, es wird gut sichtbar, was funktioniert und was nicht, wo der Pflegebereich in seinen Anforderungen und in seinen Strukturen an Grenzen stößt. Im Vordergrund dieses Buches aber stehen diejenigen Menschen, die diese Arbeit tun, wie sie denken, was ihnen wichtig ist. Das Buch hat mich zum Blättern und Schmökern und Lesen angeregt, ich wurde von den Fotos eingefangen und habe mich eingelassen auf diese exemplarisch ausgewählten Personen in der Pflege. Ich war beim Lesen manchmal berührt und oft beeindruckt und manchmal zornig über bestimmte Situationen, ich habe aber immer auch wieder geschmunzelt und manchmal gelacht. Wie so oft stimmt: Es gibt Schönes und Schwieriges und Komisches. Mitten in der „Corona-Zeit“ ist das Buch jetzt erschienen – und lädt nochmals mit ganz neuen Perspektiven ein, Menschen in der Pflege zu begegnen. Es ist eine Einladung: „Auf Klingel“.
Feldhaus, Kathrin / Kaiser, Michael / Mehring-Fuchs, Margarethe: Auf Klingel. Berufsalltag und Leben von Menschen in der Pflege. Herausgegeben von der Veronika-Stiftung. Mit Fotos von Britt Schilling. Patmos-Verlag Ostfildern 2020.
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Rezensiert für feinschwarz.net von Helga Kohler-Spiegel, Mitglied der Redaktion