Die „Parabel vom klugen Verwalter“ (Lk 16, 1-9) knüpft an sozioökonomische Missstände an und veranschaulicht zugleich ein fragmentarisches Aufblitzen des Gottesreiches. Kaja Wieczorek liest den Text als Aufforderung, aufmerksam zu sein für die kleinen weltgestalterischen Details, die von großen politischen Bewegungen oder großformatig angelegten Utopien übersehen werden.
„Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe gekommen (Mk 1,15).“ Die jesuanische Verkündigung vom Reich Gottes gilt als Kernbotschaft des Christentums. Der historische Jesus knüpft an futurisch-eschatologische Vorstellungen an, verkündet gleichzeitig aber auch die unmittelbare Anwesenheit des Reiches Gottes: In seinem Wirken, d.h. in Exorzismen, Heilungstaten und Mahlgemeinschaften, blitzt das Reich Gottes bereits auf.
Wie kann noch angemessen von einem »Aufblitzen des Reiches Gottes in der Gegenwart« gesprochen werden?
Heutzutage wird es jedoch zunehmend schwierig, gerade diesen präsentischen Aspekt der Reich-Gottes-Hoffnung plausibel mit Inhalt zu füllen. Die Utopie von einer allumfassend gerechten und friedlichen Welt stellt zwar seit jeher eine der größten und existentiellsten Sehnsüchte der Menschheitsgeschichte dar. Angesichts der aktuellen Herausforderungen in der Flüchtlingskrise, der Angst vor Terror und Selbstmordattentaten sowie vor dem Hintergrund des Erstarkens von Rechtspopulismus, Islamismus und religiös-fundamentalistischen Strömungen scheint die Skepsis gegenüber Utopien im Allgemeinen jedoch stetig zu wachsen. Wie kann vor diesem Hintergrund noch angemessen von einem „Aufblitzen des Reiches Gottes in der Gegenwart“ gesprochen werden?
Wesentliche Unterschiede ergeben sich oftmals aus kleinen Details.
Die neutestamentliche Reich-Gottes-Hoffnung beschreibt einen Ereignisraum, in dem feststehende Systeme, Kategorien und Strukturen durchbrochen werden. Dabei ist jedoch entscheidend, dass sich das präsentische Aufblitzen des Reiches Gottes in den neutestamentlichen Geschichten meist nicht in der Beschreibung eines großformatigen Umsturzes zeigt, sondern den Blick schärft für das Fragmentarische, die kleine Verschiebung, die (als diese) in ihrer Effektivität ernst genommen wird, weil sich wesentliche Unterschiede oftmals aus kleinen Details ergeben.[1]
Die anvisierte Leserschaft des Evangelisten Lukas befand sich gegen Ende des 1. Jahrhunderts ebenfalls in der Situation, anerkennen zu müssen, dass das Reich Gottes absolut nicht in voller Blüte stehend eingetroffen war. Die angekündigte Naherwartung und ihre Hoffnung auf einen baldigen Umsturz gegenwärtiger sozioökonomischer Verhältnisse hatten sich nicht verwirklicht. Der Großgrundbesitz hatte sich im 1. Jahrhundert im gesamten römischen Reich bereits so stark verbreitet, dass seine Ländereien Teile ganzer Provinzen umfassten. Bereits Plinius der Ältere prognostizierte für die Mitte des 1. Jahrhunderts eine Zerstörung Italiens durch die zunehmende Konzentration des Großgrundbesitzes und sah ähnliche Entwicklungstendenzen auch in den Provinzen (Plin. N.h. 18,35).
Lk 16,9: »Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon …«
Zur Zeit des Lukasevangeliums war das Kleinpächtersystem bereits zur maßgebenden Wirtschaftsform geworden. Demnach teilten die Großgrundbesitzer ihre Ländereien auf und vergaben sie gegen Zins an Kleinbauerfamilien zurück. Diese Zinsen verwickelten Pächterinnen und Pächter jedoch in eine tiefe Abhängigkeit und nicht selten in die Situation größerer Verschuldung.
Die „Parabel vom klugen Verwalter“ (Lk 16, 1-9) knüpft an diese sozioökonomischen Missverhältnisse an und stellt zudem ein schönes Beispiel für eine fragmentarische Illustration eines präsentischen Aufblitzens des Reiches Gottes dar. Die Pointe der Parabel liegt unbestritten in Lk 16,9: „Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit, wenn er (d.h. das System des Mammons) zu Ende geht, man euch aufnehme in die ewigen Zelte!“
Im Gegensatz zur herkömmlichen Interpretation wird „Mammon“ in dieser Auslegung nicht einfach mit Geld in eins gesetzt. Lukas verurteilt nicht pauschal das Geld, sondern vielmehr die Strukturen, die damit verbunden sind: den Enteignungsprozess der Bauern, die Bereicherung der Millionäre auf Kosten der Armen, die hierarchische Gesellschaft, die es verhindert, dass die unteren Schichten im römischen Reich zu einer wirklichen Mittelschicht aufsteigen können, und die „Kleinbürgerethik“ der Pharisäer, die an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigeht. Geld verkörpert im Lukasevangelium ein ganzes System von Ungerechtigkeiten. Dies wird im Bild des Mammons, welcher Gott wie ein personifizierter Götze gegenübergestellt wird, literarisch zum Ausdruck gebracht.
Der Verwalter ist wahrlich kein moralischer Held.
Eingeleitet wird die Parabel mit den Worten, dass irgendein reicher Mann seinem Verwalter kündigt. Der reiche Mann repräsentiert einen Großgrundbesitzer. Diese beschäftigten häufig Verwalter, die ihre Ländereien in den Provinzen verwalteten. Bevollmächtigte Verwalter genossen eine große Autonomie. Sie waren allerdings stets dazu verpflichtet, im Interesse ihres Auftraggebers zu wirtschaften. Seine Kündigung ist eine finanzielle und gesellschaftliche Katastrophe für den Verwalter. Da er nun nichts mehr zu verlieren hat, schmiedet er einen Plan, der ihm aus der Patsche helfen soll. So erlässt er mittels seiner letzten Verwaltungsgewalt den verschuldeten Pächterinnen und Pächtern seines Herrn einen Großteil ihrer Schulden. Von dieser Tat erhofft er sich, unter ihnen „Freunde“ gewinnen zu können, die ihn in seinen eigenen Notzeiten aufnehmen (V.4).
Lukas nimmt hiermit den für die römisch-hellenistische Welt typischen Grundsatz do ut des (latein.: Ich gebe, damit Du gibst.) auf. Er galt als fundamentales Prinzip sozialen Verhaltens, hebt aber gleichzeitig auch die Eigennützigkeit des Vorgehens hervor. Der Verwalter setzt seine ökonomischen Fähigkeiten strategisch ein. Weder handelt er selbstlos noch spendet er sein persönliches Geld. Er ist wahrlich kein moralischer Held.
Zumindest für einen gedanklichen Augenblick wird die soziale Spaltung ad Absurdum geführt und durchbrochen.
Die Aussage dieser Parabel besteht vielmehr darin, dass er in seiner ökonomischen Funktion als Verwalter, d.h. als Teil des „ungerechten Mammons“, zugunsten der Pächterinnen und Pächter in das System eingreift. Mit seiner Handlung leistet er einen korrigierenden Eingriff innerhalb der bestehenden sozialen Missverhältnisse.
An dieser Stelle kommt die Parabel zu einer irritierenden Wendung: Der Verwalter erhält für sein kühnes Vorgehen ein unerwartetes Lob, das ausgerechnet von seinem ehemaligen Herrn ausgeht (V. 8). Geradezu ironisch wirkt dieser Aspekt auf die Lesenden, denn immerhin handelt es sich bei diesem Herrn um den gleichen Großgrundbesitzer, den der Verwalter hintergangen hat. Mit seinem Lob wird die soziale Spaltung, bestehend aus dem Großgrundbesitz auf der einen und den verschuldeten Pächterinnen und Pächtern auf der anderen Seite, gänzlich ad Absurdum geführt und durchbrochen – zumindest für einen gedanklichen Augenblick.
Es kommt zu menschlichen Begegnungen, die es vorher aufgrund unterschiedlicher sozialer Stellungen nicht gegeben hat.
Der Schuldenerlass des Verwalters stellt eine winzige Verschiebung dar, die von außen betrachtet zunächst unnachhaltig aussieht. Das System des Großgrundbesitzes ist nicht abgeschafft und auch die Pächterinnen und Pächter sind nicht gänzlich aus ihrer Lage befreit. Doch im Detail betrachtet, hat sich sehr wohl etwas ereignet: Es kommt zu menschlichen Begegnungen, die es vorher aufgrund unterschiedlicher sozialer Stellungen nicht gegeben hat. Verwalter und Pächterinnen und Pächter treten miteinander in Solidarität und legen damit den Grundstein für ein gesellschaftliches Solidaritätsprinzip.
Dass eigennützige Motive dabei mit eine Rolle gespielt haben, schmälert die ethische Bedeutung der Handlungsweise des Verwalters nicht, durch die er sich „seinen Platz in den ewigen Zelten“ sichert. Ihm wird schon im Hier und Jetzt zugesprochen, Teil des Reiches Gottes, d.h. Teil einer allumfassenden, ewigen Solidargemeinschaft zu sein, die im Detail in seiner eigenen Handlung bereits wirksam geworden ist.
Von den Evangelien lernen: dem Fragmentarischen mehr Anerkennung zu zollen.
Die Parabel ruft demnach dazu auf, sich selbst auf die Suche zu begeben nach den eigenen Handlungsspielräumen, aufmerksam zu sein für die kleinen weltgestalterischen Details, die von großen politischen Bewegungen oder großformatig angelegten Utopien übersehen werden. Anstelle sich gänzlich in dem Gedanken an die Notwendigkeit eines allumfassenden moralischen Umdenkens zu verlieren und sich resignativ der Ernüchterung hinzugeben, können wir folglich damals wie heute von den Evangelien lernen, dem Fragmentarischen als solchem mehr Anerkennung zu zollen.
Mit den Worten des systematischen Theologen Günther Thomas: „Die kleine Differenz, der kleine Unterschied, lohnt sich, wird riskiert, dann ereignet sich das Reich. Gegen depressionsfördernde, als nüchterne Rationalität getarnte Klugheitskalkulationen hoffen Menschen im Ereignisraum des Reiches Gottes vom Detail aus.“[2]
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[1] Vgl. Günther Thomas: Reich Gottes. Die Geduld der Hoffnung nach dem Ende der großen Utopien…, in: Ulrike Link-Wieczorek (Hg.), Reich Gottes und Weltgestaltung. Überlegungen für eine Theologie im 21. Jahrhundert, Neukirchen Vluyn 2013, S.14-34.
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Kaja Wieczorek ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Neues/Altes Testament an der Universität Hamburg.
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