Mai – Marienmonat, Monat der Frauen. Die Grazer Religionswissenschaftlerin Ulrike Bechmann zeichnet verschiedene Aspekte der Marienverehrung nach, fächert ihre Bedeutung auf und kommt zu einem überraschenden Schluss.
Der Mai gilt als der Marienmonat – als Maria hätte ich mir auch diesen Monat ausgesucht. Frühling, frisches Grün, Hoffnung auf Neues, und bei mir die lebhafte Erinnerung an die Maiandacht in dem kleinen fränkischen Dorf, in dem ich aufgewachsen bin.
„Und nach der Maiandacht kommt die Maiennacht“, stellt Brecht wohl nicht ohne Grund fest. Ich war zu jung für eine Maiennacht. Aber die mit der Maiandacht verbundenen Gefühle lassen sich nach wie vor aufrufen: Die Möglichkeit, abends als Kind legitimerweise im Dorf unterwegs sein zu können; nicht nach Hause und ins Bett zu müssen; der blühende, große Kastanienbaum vor der Kirche; Geschmack und Geruch der lauen Maienabende nach der Maiandacht; die melodischen Lieder, die man so schön mitschmettern konnte („Maria Maienkönigin“); in der Kirche als Kinder eigenständig zu sitzen, die hellen Abende, das besondere Licht im Dorf …, Nostalgie pur.
Und nach der Maiandacht kommt die Maiennacht.
Von dieser Nostalgie ist nota bene nichts übrig geblieben als die Erinnerung. Nach dem Wegzug aus dem Dorf habe ich nie wieder eine Maiandacht besucht. Der kritische Blick zurück, der die Verklärung nur zu gut erkennt, und später die feministische Theologie haben Maria in den Hintergrund treten lassen und bestenfalls zu einem kritischen und alternativen Marienbild geführt. Maria als Prophetin, deren Zusage in der Verkündigungsszene bei Lukas als prophetische Berufung gestaltet ist, geben Ansatzpunkte, sich mit Maria auseinanderzusetzen.
Mit der Entwicklung des Jesus-Verständnisses hin zum Menschen- wie Gottessohn wuchs das Bedürfnis, ähnliches über die Frau zu erzählen, die diesen Gottessohn geboren hatte. Was sich hierzulande in katholischen Traditionen noch erhalten hat, stammt aus der orthodoxen Tradition und dort wiederum liegt insbesondere das Protoevangelium des Jakobus den verschiedenen Aspekten der Marienverehrung zugrunde. Dieses Evangelium füllt die Leerstellen aus, die die biblischen Texte in Bezug auf Maria hinterlassen und erzählt von ihrem reinen Leben, der Verkündigung durch einen Engel, die Jungfrauengeburt. Wie verbreitet dieses Evangelium war, lässt sich an den zahlreichen Übersetzungen ablesen. Man kann mit Fug und Recht vermuten, dass es für die frühchristlichen Gemeinden mindestens so prägend war wie die kanonischen. Es gehört zum Kanon der Äthiopischen Kirche und wird in den Liturgien der Ostkirchen und orientalischen Kirchen bis heute zitiert.
Eine der Grundlagen der Marienverehrung: Protoevangelium des Jakobus
Aber diverse Motive lassen sich auch auf die hellenistisch-römische Religionskultur zurückführen, Isisdarstellungen sind nur ein Bildgeber in den marianischen Darstellungen (Maria mit dem Jesuskind, Maria lactans). Joachim Kügler sieht deshalb in der Madonna eine personifizierte Inkulturation. Dies ist in der Kirchengeschichte vielfach so geblieben, vor allem wenn man die Inkulturation des Christentums in Lateinamerika betrachtet.
Der Streit über die Epitheta Mariens wurde schließlich mit der Frage, ob man sie „Gottesgebärerin“ nenne dürfe, auf dem Konzil in Ephesus 431 n.Chr. geführt. Es ging zwar mehr um die Inkarnation Jesu, weniger um Maria, trotzdem nahm die Marientradition dann ihren eigenen Lauf.
Die Madonna als personifizierte Inkulturation.
Marias jungfräuliche Geburt fand auch im Koran ihren Niederschlag (Sure 3 und 19), Maryam wird im Islam als jungfräuliche Mutter Jesu verehrt, gehört zu den besonderen Frauen, ja sie ist der Tradition nach die Beste aller Frauen und als solche wird sie verehrt. Etwa 70 Verse nehmen auf Maryam Bezug. Ihr Name steht entweder allein, meist aber zusammen mit cIsa (Jesus), der als „cIsa, der Sohn Maryams“ charakterisiert ist. Dieser Titel für Jesus kommt insbesondere in apokryphen Schriften vor, wurde vermutlich ursprünglich in der Äthiopischen Kirche (die das Protoevangelium des Jakobus im Kanon hat) benutzt und wanderte vermutlich von da in den arabischen Raum. Die koranische Wertschätzung Maryams reflektiert die im 7. Jh. im christlich-arabischen Raum weit verbreitete Verehrung Marias. Wie Jesus bleibt sie im Koran dabei menschlich, der Koran verleiht ihr den Ehrentitel siddiqa (Die Gerechte, Wahrhaftige) (Sure 5,75). Dennoch: Marienverehrung von Muslimen und Musliminnen gibt es vielfach in Poesie und Prosa, insbesondere in der Mystik und Volksfrömmigkeit. Das Haus Mariens in der Nähe von Ephesus besuchen auch muslimische Pilger*innen.
Die Beste aller Frauen!
Maria machte sich durch die Tradition auf den Weg in den Himmel. Ihre leibliche Aufnahme in den Himmel (Fest am 15. August) ermöglicht ihre Krönung („O himmlische Frau Königin“, „Wunderschön Prächtige“) und sie erobert sich in vielen Darstellungen zwischen Gott-Vater und Gott-Sohn einen Platz in der Trinität. Sie, die nie am Ende der Zeit zu Gericht sitzen würde, bietet als Schutzmantelmadonna ihren Mantel als Unterschlupf an („Maria breit den Mantel aus …“), vom Himmel aus segnet sie die Menschen („Segne du, Maria …“), denen sie schon im Magnificat Hoffnung auf ein Ende der Ungerechtigkeit verkündete. Die zahlreichen Marienfeste auch außerhalb des Maienmonats hat sich die Volksfrömmigkeit mühsam erarbeitet. An zahllosen Orten sorgt Maria für ihre Verehrung, ihre Feste strukturieren das Kirchenjahr. Der ganze Monat Mai ausgerechnet für Maria? Bei Licht besehen hat sie es verdient – als große Kommunikatorin zwischen Religionen und Kulturen.
Text: Ulrike Bechmann; Bild: Birgit Hoyer
Literatur:
Joachim Kügler, Wunderschön Prächtige, Hohe und Mächtige. Religionsgeschichtliche Notizen zur außerchristlichen Anreicherung des Marienbildes, in: Bibel und Kirche 68, 2013, 208-213
Ottmar Fuchs, „Vas spirituale“. Maria als Gestalt des Heiligen Geistes, in: Alexandra Bauer, Angelika Ernst-Zwosta (Hg.), „Gott bin ich und nicht Mann“. Perspektiven weiblicher Gottesbilder, Ostfildern 2012, 105-133.