Florian Schuppe zieht eine „Halbzeitbilanz“ des Reformationsjubiläums aus Sicht eines katholischen Ökumenikers.
„Gibt es die eigentlich auch einzeln?“ so betitelte vor wenigen Wochen die ZEIT-Beilage Christ und Welt eine Bildcollage unterschiedlicher ökumenischer Auftritte des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, und des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Heinrich Bedford Strohm aus den letzten Monaten. Marx und Bedford-Strohm bei der gemeinsamen Pilgerreise von DBK und EKD im Heiligen Land, am Steuer eines Pflegetrucks von Diakonie und Caritas und – natürlich – gemeinsam bei Papst Franziskus in Rom.
„Gibt es die eigentlich auch einzeln?“
Zweifellos die Ökumene in Deutschland hat in der freundschaftlichen Verbundenheit Ihrer beiden Vorsitzenden ein mediales Postermotiv gefunden und die ökumenischen Bilddatenbanken bekommen im Reformationsgedenkjahr eine Frischzellenkur von dem sie für Jahre zehren können.
Was verändert sich wirklich in der Ökumene?
Was aber verändert sich tatsächlich in der Ökumene, wenn die Nähe beider Kirchen in Radlminuten zwischen den Dienstwohnungen ihrer Vorsitzenden gemessen wird? Was wurde erreicht im Jahr des 500. Reformationsgedenkens? Haben die KritikerInnen Recht, die all dies als inhaltsleere „Kuschelökumene“ anfragen, bei der die Kontroversen medienwirksam weggelächelt, aber eben nicht geklärt würden? Oder zeigen die gemeinsamen Auftritte und Texte etwas von einer echten Bewegung in der Ökumene, die immer auch von konkreten Personen lebt, die eine Vertrauensbasis aufbauen und dann neue Schritte gehen, auch gegen Widerstände? Erleben wir gerade einen ökumenischen Kairos oder eine kurze Frühlingsbrise in ökumenisch eigentlich unterkühlten Zeiten?
Große Zeichen und eine intensive Debatte darum, was all das bedeutet – die Kirchenleitungsperspektive
Aus innerkirchlicher Sicht bewegt sich Einiges in der Ökumene: Sowohl die Zeichen, die die beiden Vorsitzenden als auch die Zeichen, die Papst Franziskus mit seinen Handlungen und Worten setzt eröffnen – weil Sie auf einer anderen Ebene ansetzen – nach einer schwierigen Phase des katholisch-lutherischen Dialoges eine neue Dynamik des Miteinanders. Denn natürlich verändert es etwas, wenn das Oberhaupt der Römisch-Katholischen Kirche im vergangenen Jahr gemeinsam mit den Spitzen des lutherischen Weltbundes nicht nur des 50jährigen Jubiläums des katholisch-lutherischen Dialoges, sondern dankbar und auf die Zukunft hin gewendet auch des 500. Beginns der Reformation gedenkt. Eine gemeinsame Feier des Reformationstages wie in Lund, bei der auch von katholischer Seite manche Gaben der Reformation dankbar gewürdigt und eigene Schuld am Zerbrechen der Einheit klar benannt wurde, das hatte es bisher – bei aller Wertschätzung für die ökumenische Würdigung Martin Luthers durch Johannes Paul II. und Benedikt XVI. – so tatsächlich noch nicht gegeben.
Früchte mühsamer Kommissionsarbeit
Natürlich war auch in Lund jedes Wort, insbesondere der feintarierte Dreiklang von Buße, Dank und Sendung, in mühsamer Kommissionsarbeit intensiv vorbereitet worden. Die gemeinsame Erklärung bringt wenig Neues. Doch wie so oft im Handeln des Papstes setzten die nichtsprachlichen Signale und Zeichen die eigentlichen Akzente: Die einheitlichen liturgischen Gewänder der Vorstehenden, eine Sitzordnung, die ohne jedes Signal der Über- und Unterordnung auskam, aber auch die Umarmung von Papst Franziskus und Bischöfin Jäckelen beim Friedensgruß. Man muss es sich noch einmal bewusst vor Augen führen: Es ist nur wenige Jahre her, da wurden weibliche Ordinierte auf offiziellen Bildern mit dem Nachfolger Petri heraus retuschiert und über allem schwebte das berühmt, berüchtigte „nicht Kirche im eigentlichen Sinne“. Wer nur ein wenig um den immer betonten Zusammenhang von Lex orandi und Lex credendi weiß, kann erahnen, was hier gerade geschieht.
Jenseits von: „nicht Kirche im eigentlichen Sinne“
Die ökumenische Diskussion in den Entscheidungsgremien ähnelt den Debatten rund um Amoris Laetitia: Auch hier findet eine teilweise scharf ausgetragene Debatte statt. Neu ist jedoch, dass plötzlich die Pluralität der Positionen auch unter den Bischöfen, um die jeder wusste, die aber gerade im Feld der Ökumene immer wieder gedeckelt wurde und zu einer lähmenden Sprache der Belanglosigkeit führte, sichtbar wird.
Offenes Ringen zwischen den Bischöfen
Ist dies nun ein Fortschritt oder ein Rückschritt für die Ökumene? Manche Positionen zeigen jetzt in überraschender Klarheit, wie weit die Wirklichkeiten und Wahrnehmungen auseinander liegen. Vor allem aber ist mit der kontroversen Debatte die Ökumene wieder neu in größerer Relevanz auf die Tagesordnung der Kirchenleitungen zurückgekehrt. Gerade weil aktuell wieder ernsthaft um die Ökumene ringt, wird diese wieder als etwas Lebendiges erlebt. Der Ausgang der Debatten ist an vielen Stellen offen, doch wird die Diskussion endlich engagiert und ehrlich geführt.
Exemplarisch zeigt sich dies in der Diskussion der deutschen Bischöfe um die Zulassung zum Kommunionempfang für konfessionsverbindende Paare. Erstmals seit Jahrzehnten scheint es realistisch möglich, dass die Bischöfe hier tatsächlich einen Schritt vorwärts gehen und neue Regelungen für den Einzelfall verabschieden.
Marx und Bedford-Strohm: Verstärker
Im Kontext solcher Debatten ist die Bedeutung von Personen, die wie der beiden Vorsitzenden ad extram öffentlich für die Themen stehen und diese zunehmend auch ad intram als wichtige Marker einer Veränderung entdecken lassen, keinesfalls zu überschätzen. Kaum etwas hat wohl die Ökumene so voran gebracht, wie die gemeinsame Pilgerreise von Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die persönlichen vertieften Kontakte und Erfahrungen die dort möglich wurden, trugen dazu bei, dass die Bischöfe auf beiden Seiten das Thema Ökumene mit neuer Verve angehen. Manchmal macht sich der Heilige Geist bischöfliche Klassenfahrten als ökumenische Methode zu Eigen.
Relevanzverlust und neue Fragestellungen – die Perspektive der Basis und von außen
Gleichzeitig wirkt all dies aus der Perspektive der allermeisten Gläubigen und noch viel mehr der nicht kirchlich Gebundenen ein wenig wie seltsam aus der Zeit gefallen. Denn für den Großteil – auch der eng kirchlich Verbundenen – hat die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Konfessionen jede trennende Wirkung im Kontext pluraler Lebenswirklichkeiten längst verloren. Im „besten“ Falle ist man noch gerne katholisch oder evangelisch. Dass darin begrenzende oder ausschließende Unterschiede aufscheinen könnten, erscheint den allermeisten KatholikInnen wie LutheranerInnen als ein Problem der „Organisation“ nicht aber ihres Lebens. Längst wählen sie – je jünger je mehr – auch ihren Gottesdienstort ganz selbstverständlich nicht nach der passenden Konfession, sondern danach, wo sie in ihrer jeweiligen Lebenssituation ernstgenommen und angesprochen sind. Vielfalt wird dabei als etwas Bereicherndes erfahren. Die Frage nach der Einheit wird praktisch gelöst.
Die Frage nach der Einheit wird praktisch gelöst.
Alle soziologischen Befunde zeigen schliesslich, dass in Zeiten der Milieuverengung katholische und evangelische Gemeinden vor Ort tatsächlich keineswegs so unterschiedlich geprägt sind, wie es manch offizielle Texte immer noch betonen. Es gibt vielleicht noch unterschiedliche Klangfarben, die aber oft nur für ExpertInnen erkennbar bleiben. Selbst im hochreligiösen Milieu wird die Erfahrung der Unterschiedlichkeit verschiedener Frömmigkeiten innerhalb der eigenen Konfession meist als wesentlich größer empfunden als die zwischen den Konfessionen.
Ökumene und ihr alltäglicher Relevanzverlust
Viele Themen und Debatten, die für die kircheninterne Perspektive beschrieben wurden, werden aus der Außensicht als etwas empfunden, wo sich Kirchenfachleute mit Dingen beschäftigen, die für „Normalmenschen“ keinerlei Relevanz besitzen. Welche Folgen diese fehlende Lebensrelevanz der Ökumene hat, wird bei einem Blick auf die Altersstruktur ökumenischer Gottesdienste und Bildungsveranstaltungen deutlich: Die Ökumene ist in den meisten Gemeinden längst vergreist und in ihrer Formensprache immer noch von den Achtzigern geprägt. So sind ökumenische Gottesdienste stark wortlastige Gruppengottesdienste bei denen sich Menschen treffen, die gerne zum 100. Mal die Mauern zwischen den Kirchen in Form von Umzugskartons abbauen.
Abschied von einer bestimmten Form ökumenischen Engagements
Wenn es nicht bald gelingt, ökumenisch neue Themen aufzugreifen, die heute die Fragen und Sorgen der Menschen erreichen, wird die Ökumene mit der älteren Generation auf Gemeindeebene bald aussterben. Reformationsgedenken hin oder her.
Spannenderweise fördert auch in diesem Umfeld das gute Miteinander der beiden Vorsitzenden neue Perspektiven. Dass beide Vorsitzende in wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen, die in einer Phase spürbarer Spannungen als höchst relevant erfahren werden, immer wieder gemeinsam Stellung beziehen, verschafft ihnen – und der Ökumene – Gewicht. Das zweifellos augenfälligste Beispiel war die Debatte um den Umgang mit den Geflüchteten. Hier wurde auch für kirchenferne Menschen erlebbar, dass Ökumene relevant und sogar attraktiv sein kann. Vielleicht ist daher das ökumenisch kraftvollste Bild der vergangenen Jahre das Bild der beiden Vorsitzenden, die die zu Tausenden ankommenden Geflüchteten am Münchner Hauptbahnhof begrüßten.
Was steht am Ende auf der Anzeigentafel?
In der Ökumene im Jahr des Reformationsgedenkens spiegeln sich gesellschaftliche Phänomene, die auch in anderen Zusammenhängen diskutiert werden: Die unterschiedlichen Diskurse in den jeweiligen Filterbubbles, das Bedürfnis nach Rückzug in eigene Welten und die selbstverständliche Pluralisierung, die intellektuell und emotional noch längst nicht eingeholt ist. All dies ist so uneinheitlich und komplex, dass eine Halbzeitbilanz des Reformationsgedenkens wirklich schwer fällt. Eins ist sicher: Die ökumenische „Partie“ ist von einem Altherrenkick zu einem spannenden Spiel geworden.
Offener Spielausgang
Ein Ausgang ist bei der Vielzahl der einwirkenden Faktoren kaum zu prognostizieren, ja das Spiel findet mittlerweile auf unzähligen Feldern gleichzeitig statt. Das Spieltempo und die geltenden Regeln sind höchst unterschiedlich. Fokussiert man dazu noch einmal auf die Partie im Feld der Bischöfe und Kirchenleitenden so wird sich die Dynamik des Spieles bis zum 31. Oktober wohl noch einmal verstärken.Manch ruppiges Foul wird auf der einen und andren Seite sicher nicht ausbleiben. Mancher wird versuchen, Ruhe und Ordnung ins Spiel zu bringen, andere werden überraschende Spielzüge anbringen.
Wie viele echte Tore letztlich auf der Anzeigetafel stehen und in welchem Feld sie erzielt wurden, wird sich wohl erst mit etwas Abstand sagen lassen. Letztlich scheint sich aber immer mehr zu bewahrheiten, was Frére Roger schon vor Jahren prognostizierte: „Die Einheit der Kirchen? Eines Tages werden wir feststellen, dass wir sie längst erreicht haben.“
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Dr. Florian Schuppe
Bild: www.sonjawinzer.de / pixelio.de