Anlässlich seiner Reise in die Arabischen Emirate machte sich Papst Franziskus stark für Menschenrechte und Religionsfreiheit. Die Begegnung mit Grossimam Al-Tayyeb stand im Zeichen der Geschwisterlichkeit. Vor 800 Jahren besuchte Franz von Assisi den Sultan Muhammad al-Kāmil und inspiriert bis heute den Dialog der Religionen. Ein Beitrag von Br. Niklaus Kuster OFMCap.
Wo Glaubenswächter Mauern ziehen, bauen Mystiker Brücken. Diesen Sommer werden es 800 Jahre seit einer Friedensmission, die heute alle größeren Kirchen, Welt- und Naturreligionen in Assisi versammelt. Die Pfingstversammlung der ersten Franziskaner beschloss da 1219, gewaltlos in den Fünften Kreuzzug einzugreifen. Franziskus selbst wanderte mit Gefährten nach Ancona, reiste in einem Schiff der Kreuzritter in den Orient und traf im Sommer im Nildelta ein, wo blutige Kämpfe um die Stadt Damiette tobten. Diese schützte den Zugang zu Kairo, wo Sultan Muhammad al-Kāmil residierte und die islamische Welt von Libyen bis Jemen und Syrien beherrschte. Ihn in seinem Kernland zu schlagen und dadurch das Heilige Land zurückzugewinnen, war das erklärte Ziel des Kreuzzugs.
Franz von Assisi:
weltweite Geschwisterlichkeit
Seit elf Jahren führten Franziskus und seine Brüder die Sendung der Apostel Jesu in der eigenen Zeit weiter: Wie die Nachfolgegemeinschaft in Galiläa suchten sie Frieden in Häuser und Dörfer zu bringen, Ausgeschlossene in die Gesellschaft zurückzuführen und das Evangelium in die Alltagswelt der Menschen zu tragen (Mt 10). Wie es der Auferstandene den Seinen nach Ostern aufgetragen hatte, galt es die Gute Nachricht auch weltweit zu verbreiten (Mk 16, Mt 28). Der Papst erlaubte es den Gefährten 1209 „für Stadt und Erdkreis“. Dadurch weitete die Friedensmission den Blick über Italien hinaus. Ab 1217 errichteten die Brüder Provinzen in ganz Europa und waren mit ersten Equipen vom Atlantik bis Syrien präsent. Menschen verschiedener Kulturen lernten dabei, eine einzige fraternitas zu sein: Das Jesuswort „ihr alle seid Geschwister“ (Mt 23) verband sich mit der Erfahrung, dass Gottes Zuwendung und Sorge keine Grenzen kennen.
Berührende Begegnung mit dem Islam:
interreligiöses Lernen
Im August 1219 griff Franziskus in den Fünften Kreuzzug ein. Am Nil trat der Mystiker aus Assisi im Stil eines biblischen Propheten vor die Kreuzritter und bezeichnete Gewalt im Namen Gottes als gottlos. Im eigenen Lager verspottet, wagte der Friedensbote sich mit einem Gefährten ins Lager des Sultans. Da die beiden Brüder in Kleidung und Verhalten islamischen Sufi-Mystikern glichen, nahm al-Kāmil sie freundlich auf und sprach mehrere Tage mit seinen Gästen. Ihre Gespräche führten zu einer Freundschaft, an die eine islamische Grabinschrift in Kairo und ein kostbares Elfenbeinhorn des Sultans erinnern.
Früchte interreligiösen Lernens
Die Begegnung mit der islamischen Welt inspirierte Franziskus nachhaltig. Zurück in Italien regte er in Briefen „an alle Menschen“ an, dass jedes Volk weltweit in den Alltagsgeschäften innehalte und Gott lobe. Das Angelusgebet der katholischen Kirche ist eine Frucht jenes Rundschreibens an die Menschheit. Die Schriften des Heiligen lassen weitere Früchte interreligiösen Lernens erkennen. Das Wort Gottes soll mit Ehrfurcht behandelt werden, wie Muslime es tun. Beeindruckt von der Weisheit der 99 islamischen Gottesnamen dichtet Franziskus eigene Gebete, die Gott in vielen Namen preisen – und geht dabei sowohl über islamische wie über katholische Litaneien hinaus, indem er Gott auch mit 23 weiblichen Namen preist.
Mission? – Zusammenleben!
Anderen Religionen geschwisterlich begegnen
Die Franziskusregel von 1221 skizziert zwei Wege, wie die Brüder unter Andersgläubigen leben sollten, und distanziert sich sowohl von Heiligen Kriegen wie aggressiven Missionsmethoden. Der beste Weg, den Sendungsauftrag des Evangeliums zu erfüllen, liegt darin, von Gott inspiriert als Brüder zu Andersgläubigen zu gehen, friedfertig mit diesen zusammenzuleben, sich ihnen hilfreich zu erweisen, Streitigkeiten zu vermeiden und in Begegnungen die eigene Religion nicht zu verheimlichen. Mission geschieht grundlegend, indem Brüder ihren Glauben durch das Leben sprechen lassen: ein Leben, das an den Vater aller Menschen glaubt, den Geist Gottes überall wirken sieht und sich Menschen jeder Religion gegenüber geschwisterlich erweist.
das überzeugende Leben von Geschwistern
Franziskus sieht Menschen durch den Glauben „Söhne und Töchter Gottes“ und damit weltweit Geschwister werden. Inspirierte geben dabei dem Heiligen Geistes im eigenen Leben Raum. Dass dies in verschiedenen Religionen geschieht, lässt Franziskus in einem universal offenen Dankgebet durchscheinen, das in die Regel von 1221 gelangt. Der christliche Glaube erschließt darüber hinaus eine dritte Gottesbeziehung: Im Sohn Jesus Christus begegnet Gott menschlich und auf Augenhöhe – als Bruder und Meister. Einen Zugang zu dieser Erfahrung können jedoch weder das Wortgezänk aggressiver Missionare noch Heilige Kriege im Namen Christi eröffnen, sondern nur das überzeugende Leben von Geschwistern und Jüngern des Gottessohnes.
Interreligiöser Dialog:
franziskanische „Zehn Gebote“
Franziskus‘ Erfahrung in Ägypten floss in moderner Zeit in einen Dekalog ein. Die „zehn Gebote“ zu Mission und interreligiöser Begegnung zielen auf spirituelle Grundhaltungen, die Brücken zwischen verschiedene Kulturen und Religionen bauen lassen:
- Dialog aus der Dynamik des Gebetes: Franziskus betet vor dem Weg zu Sultan al-Kâmil um Kraft und Vertrauen für den gewagten Weg. Der Sultan bittet seinen Gast, für ihn zu Gott zu beten, dass er ihn im Glauben erleuchte. Unterschiedliche Bekenntnisse finden sich im Vertrauen auf das eigene und das Gebet des Dialogpartners.
- Die Initiative ergreifen: Die Begegnung am Nil kommt zustande, weil zwei Brüder initiativ werden und trotz ungünstiger Bedingungen auf den guten Willen der Gegenseite vertrauen. Wenn mutige Initiativen die Offenheit des Gegenübers finden, gelingen auch gewagte Begegnungen.
- Den Frieden suchen: Franziskus greift in einen Religionskrieg ein, sucht das eigene Lager von Gewalt im Namen Gottes abzuhalten und wagt sich gewaltlos über die Front. Als Gefangener vor den Sultan geführt, überwinden innerer Friede und gewaltlose Hoffnung Vorurteile. Der Dialog unter vermeintlichen Feinden gelingt.
- Vertrauen in Gottes Geist: Franziskus erlebt den Sultan aufrichtig um den wahren Glauben bemüht und entdeckt Gottesliebe außerhalb der eigenen Religion. Vertrauen in das Geistwirken über alle Grenzen und in die spirituelle Offenheit des je anderen schlägt Brücken und erschließt Freundschaften über Glaubensgrenzen hinweg.
- Jedem Menschen hilfreich sein: Wer anderen Gutes wünscht und guttut, verbindet durch Taten. Franziskanische Menschen fügen sich in die menschlichen Ordnungen anderer Kulturen, verstehen sich als Brüder und Schwestern jeder Kreatur und suchen „jedem Menschen dienstbar zu sein“ (1 Petr 2,13).
- Mitten unter ihnen leben: Franziskus ermutigt seine Brüder, die Lebensbedingungen der Muslime zu teilen, ihnen hilfreich zu sein und im Zusammenleben sensibel zu spüren, ob und wann Glaubensgespräche gut sind. Begegnung und Dialog gelingen im ganzheitlichen Teilen von Erfahrungen, Anteilnehmen und gegenseitigen Lernen.
- Durch Leben und Worte wirken: Franziskus sieht zwei Formen der Verkündigung: durch das eigene Leben und durch Worte. Franziskus zieht die erste der zweiten vor. Erst wenn Brüder mit der anderen Kultur und Religion vertraut sind und nur wenn sie deutlich spüren, dass es Gott gefällt, sollen sie das Evangelium verkünden.
- Die eigene Identität zeigen: Gelungene Begegnungen verdanken sich nicht nur Ort, Rollenverteilung und Wortwahl, sondern dem klaren Profil der Gesprächspartner. Franziskus fordert seine Brüder auf, sich in interreligiöser Begegnung aufrichtig als Christen zu verhalten und zu bekennen.
- Gemeinsam handeln: Franziskus geht mit einem Bruder auf dem Weg zum Sultan. Indem seine Gefährten zu zweit oder in kleinen Gruppen Frieden und das Evangelium in die Welt tragen, lassen sie ein weiteres Zeichen sprechen: Das Verhalten unter Glaubensgeschwistern soll sichtbar machen und bekräftigen, was sie verkünden.
- Zuhören und voneinander lernen: Im Vertrauen auf die Offenheit des Sultans rudert Franziskus über den Nil. Selber offen, entdeckt er Gottesliebe in der anderen Religion und bewundert das Alltagsgebet der Muslime, woraus das christliche Angelusgebet entsteht. Jede Religion gewinnt, wenn sie vom Erfahrungsschatz anderer lernt.
Religionen als gemeinsam Pilgernde:
Assisitreffen der Weltreligionen
Die prophetische Begegnung zwischen Franziskus und dem Sultan liess Assisi 1986 zur «Hauptstadt der Weltreligionen» werden. Als Johannes Paul II. die Kirchen und Religionen zum ersten gemeinsamen Friedensgebet lud, berief er sich auf das jüngste Konzil (Nostra Aetate 5) und den Geist des Poverello. Je 62 Vertreter von Kirchen und Weltreligionen verdeutlichten, dass sie vor demselben Gott stehen und gemeinsam am Frieden auf Erden arbeiten.
Die Versammelten erklärten jede religiös motivierte Gewalt für gottlos.
Am zweiten Assisitreffen der Religionen reagiertem die Versammelten im Frühjahr 2002 auf den Terrorangriff von New York und erklärten jede religiös motivierte Gewalt für gottlos. “Wir verpflichten uns, die Menschen zu gegenseitigem Respekt und Hochachtung zu erziehen, damit Angehörige unterschiedlicher ethnischer Gruppen, Kulturen und Religionen friedlich und solidarisch zusammenleben“. Im Oktober 2011 lud Benedikt XVI. Kirchen, Welt- und Naturreligionen und neu auch Agnostiker nach Assisi. Die 300 Delegationen ermutigten einander, von der je eigenen Weisheit zu lernen. Der Papst erinnerte daran, dass keine Religion und keine Kirche die Wahrheit besitze: Alle seien pilgernd unterwegs auf dem Weg zu tieferer Wahrheit und umfassenderem Frieden. Pilgernde sind nicht Gegner, sondern Gefährten, die voneinander lernen können.
Papst Franziskus reihte sich als Teilnehmer unter die Vertreter der Religionen ein.
Im September 2016 trafen sich die Religionen erneut in Assisi: Nach Europas Terrorsommer setzten sie ein klares Zeichen gegen pseudoreligiöse Terroristen und militante Religiosität. Indem sich Papst Franziskus nicht gastgebend, sondern als Teilnehmer unter die Vertreter der Religionen einreihte, unterstrich er die Geschwisterlichkeit, die alle Menschen und Religionen verbindet. Im gleichen Geist wandte sich Franz von Assisi vor 800 Jahren nach der Begegnung mit Sultan Muhammad al-Kamil „als Bruder… an alle Menschen, wo auch immer auf Erden“ mit der Bitte, „Gott gemeinsam zu lieben“.
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Br. Niklaus Kuster, Dr. theol., ist Schweizer Kapuziner. Er lehrt Kirchengeschichte in Luzern (RPI der Universität), Spiritualitätsgeschichte an der PTH Münster und Franziskanische Spiritualität an der Ordenshochschule ESEF in Madrid. Vom Basiskloster Olten aus ist er zudem in der Fortbildung, als Autor und Reisebegleiter tätig.
Beitragsbild: Friedenszeichen der Religionen im „Haus der Stille“ von Heiligenkreuz bei Graz; Moderne Ikone der Sultan-Begegnung aus dem Atelier der Klarissen von Jongny, aufgenommen von Br. Niklaus Kuster.
Eine ausführliche Version dieses Beitrags erschien mit Literatur- und Quellenangaben in der Zeitschrift ZMR 102 (2018) 122-127.