Einem Gespräch zwischen zwei geradlinigen Denker:innen geht Burkhard Hose in seiner Betrachtung von „Haltepunkte. Gott ist seltsam, und das ist gut“ nach.
Wer immer noch denkt, Gespräche in Social Media bewegten sich nur an der Oberfläche und seien kein Ort, der in die Tiefe führt, wird von diesem Buch eines Besseren belehrt. Der Auslöser für das Gemeinschaftswerk „Haltepunkte. Gott ist seltsam, und das ist gut.“ ist ein Facebook-Chat zwischen Beatrice von Weizsäcker und Norbert Roth. Ein Post der Juristin und Publizistin fordert den evangelischen Theologen und Psychologen zum Widerspruch heraus. Es geht um Robert Menasses Buch „Die Hauptstadt“, an dem sich ein kontroverses Gespräch über den vermeintlichen Widerspruch von Verstehen und Glauben, von Logik und Theologie entspinnt. Die Autorin outet sich in diesem knappen Disput als „Logik-Schäfchen“ und beschreibt, dass sie immer wieder erlebe, „dass theologisch geschulte Menschen kaum Argumente gegen Logik haben“ (S. 6-7).
Theologisch Geschulte ohne logische Argumente?
Norbert Roth will sich damit nicht zufrieden geben. Was daraus entsteht, ist eine Freundschaft, sind Gespräche und Chats über Sterblichkeit und Musik, über Beten und Schweigen, vor allem aber über das Leben, das ebenso unbegreiflich erscheint wie Gott.
Das Augustinus-Zitat „Was Du begreifst, ist nicht Gott“, das dem Buch vorgeschaltet ist, könnte bei potentiellen Leser:innen den Eindruck erwecken, die Frage nach dem Verhältnis von Glauben und Wissen sei zu Gunsten des blinden Vertrauens oder eines reinen Bekenntnisses entschieden. Wer das Buch deshalb allzu schnell beiseite legt, verpasst aber etwas. Hier begegnen sich zwei Menschen, die Widersprüche eben nicht einfach auflösen. Das Buch transportiert gerade nicht den schwärmerischen Glauben an einen Gott, den man eh nicht begreifen und an den man nur zu glauben hat. Norbert Roth fragt sich denn auch, „…wer den Leuten beigebracht hat, dass die Gegenüberstellung von Glauben und Wissen überhaupt Sinn ergibt“ (S. 42).
„Beide wissen, was das Leben einem Menschen antun kann.“
Es sind konkrete Erfahrungen und Orte, die für Beatrice von Weizsäcker und für Norbert Roth von der Frage nach Gott durchwoben sind. Sehr persönliche Erfahrungen und Schicksalsschläge sind es, die da zur Sprache gebracht werden. Als im November 2019 von Weizsäckers Bruder Fritz ermordet wird, ist Norbert Roth intensiv mit ihr verbunden. Ein Kreuz, eine Feder, ein Filzhund werden zu Haltepunkten, zu Sakramenten in dieser Situation, die Beatrice von Weizsäcker heute noch als „surreal“ bezeichnet. Beide wissen, was das Leben einem Menschen antun kann. Und sie sprechen darüber, hören nicht auf zu kommunizieren.
„Durch und durch Kommunikation“
Das ist vielleicht auch das erste und wichtigste Merkmal dieses besonderen Glaubensbuches: Es ist durch und durch Kommunikation. Jedes Kapitel beginnt mit einem Screenshot einer Facebook- oder WhatsApp-Unterhaltung zwischen Beatrice von Weizsäcker und Norbert Roth. Die Gedanken, die sich anschließen, bleiben ein Gespräch zwischen den Beiden, in das die Leser:innen mit einbezogen werden. Dabei bleiben ihre verschiedenen und vielschichtigen Charaktere erkennbar, nicht nur im unterschiedlichen Schriftbild: Die analytisch fragende Juristin, die 2020 zum katholischen Glauben konvertierte, und der Musiker und Kaminkehrer, der heute als Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde St. Matthäus in München tätig ist.
Das zweite Merkmal, das die Kommunikation zwischen den beiden sehr unterschiedlichen Menschen ausmacht: Sie finden Gemeinsamkeiten, die sich äußerlich zunächst an Orten festmachen, die für beide eine Bedeutung haben und die im Buch als Kapitelüberschriften dienen: München, wo beide heute leben, Berlin, Jerusalem, Rom und wieder München. Und zwischendrin irritiert zunächst eine Kapitelüberschrift, die nicht durch den Namen einer großen Stadt bestimmt wird, sondern durch den Haltepunkt „Kloster“.
„Das Gefühl der Zugehörigkeit“
Die Autorin vereint mit dem Autor nicht nur äußerlich die Anziehungskraft von Klöstern, die zu Sehnsuchtsorten und wichtigen Haltepunkten geworden sind. Für Beatrice von Weizsäcker ist es die Benediktinerabtei St. Ottilien, für Norbert Roth schon seit vielen Jahren das Kloster Heiligenkreuz. An diesen Orten finden beide etwas, was für viele Suchende in unseren Zeiten wichtiger ist als Bekenntnisse und formale Kirchenmitgliedschaft. Es ist das Gefühl der Zugehörigkeit, des Aufgehobenseins, das gängige konfessionelle Kategorien übersteigt. In diesem Buch lässt es sich einmal mehr erahnen: Es sind diese spirituellen Kraftorte, die vermutlich in nach-volkskirchlichen Zeiten an Bedeutung gewinnen. Und es sind Freundschaften, Beziehungen, schlicht Menschen, die eine Frau, die lange Mitglied im Präsidium des Evangelischen Kirchentags war, zum Übertritt in die katholische Kirche bewegt hat. Dass sie deshalb in ihrer Kirche lange nicht zu allem Ja und Amen sagt, wird niemanden überraschen, der Beatrice von Weizsäcker kennt. Sie lässt sich auch als Konvertitin in kein Schema pressen.
Ein Trialog mit Gott.
Das dritte Merkmal, das dieses Gemeinschaftswerk zu einem besonderen Buch macht, ist die Neugier, die beide, die Autorin und den Autor auszeichnet. Die Neugier auf diesen unbegreiflichen Gott, die bisweilen auch in ein Gebet münden kann. „Ja, Gott, du bist seltsam. Und was du tust, ist unergründlich“ schreibt Beatrice von Weizsäcker in Anlehnung an Psalm 139. Und überhaupt scheint beider Kommunikation sich immer wieder zu einem Trialog mit diesem Gott zu weiten, der so viele Antworten schuldig bleibt.
„Haltepunkte. Gott ist seltsam, und das ist gut“ ist für alle geeignet, die sich an der Kommunikation zwischen Beatrice von Weizsäcker und Norbert Roth beteiligen wollen ohne allem zustimmen zu müssen. Es erzählt von Beheimatungen, es bricht mit Klischees, es bietet Gespräche statt Antworten. Es ist geprägt von analytischem Denken und Verstehen-Wollen, kein Widerspruch zu einem manchmal kindlich anmutenden Glauben-Wollen.
Wer sich mit ausreichend eigener Neugier von Beatrice von Weizsäcker und Norbert Roth auf die Suche nach eigenen Haltepunkten im Leben mitnehmen lassen will und sich nicht zu schade ist, irritierende Tiefe auch in Facebook-Chats oder auf dem Oktoberfest zu entdecken, dem sei dieses Glaubensbuch dringend zum Lesen empfohlen.
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Autor: Burkhard Hose ist seit 2008 Hochschulpfarrer in der Katholischen Hochschulgemeinde in Würzburg.
Bild: Mike Cassidy / unsplash.com
Bild 2: Verlag Herder
Literatur:
Beatrice von Weizsäcker / Norbert Roth, Haltepunkte. Gott ist seltsam, und das ist gut., Freiburg im Brsg. 2021