Uta Jungbauer, Bea Trampert und Barbara Staudigl stellen ihre überraschenden Beobachtungen zur Beichte von Schülerinnen und Schülern vor.
Es ist eine relativ große Schule mit über 800 Schülerinnen und Schülern in einer Kleinstadt mitten in Bayern, die traditionell eine monoedukative Halbtagesschule für Mädchen war, seit 2010 zudem einen gebundenen Ganztageszweig für Jungen und Mädchen anbietet. Am Ort gibt es zwei Realschulen in kirchlicher Trägerschaft, eine staatliche gibt es nicht. Die Schülerschaft ist religiös heterogen, wenngleich in einem traditionell katholischen Milieu.
Zwei Schultage im Jahr, einer vor Ostern und einer vor Weihnachten, sind für ein Beichtangebot eingeplant, das von ca. 150 Schülerinnen und Schülern angenommen wird. Die Jugendlichen sind zwischen 10 und 18 Jahre alt, gehören also entweder der Generation Z an (geboren zwischen 1995 und 2010) oder der Generation Alpha (geboren ab 2010). Die meisten sind getauft, hatten aber seit der Kommunion nie wieder Berührung mit Beichte, manche der Beichtenden sind protestantisch, manche gehören gar keiner Konfession an.
Einigen ist die geschützte Atmosphäre des klassischen Beichtstuhls lieber.
Zwei Lehrkräfte der Religionsfachschaft haben die Beichte organisiert. Sie haben Kontakt aufgenommen zu Priestern, von denen sie aus Erfahrung wissen, dass sie zuhören können; achtsam mit der Verletzlichkeit der Jugendlichen umgehen, Vertrauen als Geschenk verstehen; Priester, die nicht den moralischen Zeigefinger erheben, sondern den Jugendlichen mit Zeit, Verständnis und Einfühlungsvermögen begegnen. Bereits im Vorfeld wird miteinander besprochen, wie unterschiedlich die Vorerfahrungen der jungen Menschen bezüglich Kirchenanbindung und Beichte sind, so dass die Priester flexibel darauf reagieren können.
Um eine wohltuende, heilsame Begegnung bei der Beichte zu ermöglichen, braucht es Räume: Zum einen den Kirchenraum selbst, in dem sich die jungen Menschen in Ruhe vorbereiten können. Zum anderen die Beichträume, die mit Tisch, Stühlen und Kerze zum Gespräch einladen. Wer möchte, kann auch hinter einem großen Tuch Platz nehmen und dahinter verborgen bleiben. Einigen ist die geschützte Atmosphäre des klassischen Beichtstuhls lieber, deshalb wird auch diese Möglichkeit angeboten.
Dass die Beichte etwas Aufregendes ist, das wird schon beim Abholen der Jugendlichen deutlich. Die Lehrkräfte der Religionsfachschaft geleiten sie durch die langen Schulgänge bis zur Kirche – genug Möglichkeit für erste Gespräche, in denen oft eine Mischung aus Anspannung und Freude zu spüren ist: Was ist, wenn ich was falsch sage? Ist dieses Verhalten von mir eine Sünde gewesen? Ich hab Angst, dass der Pfarrer mich schimpft! Ich freu mich so, hoffentlich ist Pfarrer XY wieder da …
Eine Lehrkraft erwartet die Schülerinnen und Schüler in der Kirche. Eine kurze Einführung über den Ablauf der Beichte nimmt Unsicherheiten, wer möchte, kann Fragen stellen. In ruhiger Atmosphäre verweilen sie hier und bereiten sich vor. Stifte, Papier und ein zeitgemäßer Beichtspiegel, der für die Jugendlichen erstellt wurde, liegen bereit. Dieser gibt ihnen Denkanstöße an die Hand, die dazu einladen, die Beziehung
- zu Gott (z. B. danke ich ihm für das, was in meinem Leben gelingt? Wende ich mich an ihn, wenn ich traurig bin?),
- zum Leben mit anderen Menschen (z. B. schädige ich den Ruf anderer? Versuche ich, meine Schuld auf andere zu schieben? Halte ich Wort, kann man sich auf mich verlassen?),
- zur Umwelt (z. B. werfe ich meinen Abfall achtlos weg? Mache ich angerichteten Schaden wieder gut? Gehe ich verantwortungsvoll mit Nahrungsmitteln um?),
- zum eigenen Leben (z. B. erledige ich meine Aufgaben zu Hause und in der Schule ordentlich und gewissenhaft? Gehe ich verantwortungsvoll mit den Medien/Fernsehen und den Kommunikationsmedien Internet/ Social Media um?)
in den Blick zu nehmen und zu hinterfragen, wo und wann es an Liebe gefehlt hat und man sich deshalb schuldig, belastet fühlt.
Der ist voll nett!
Während der Vormittage, an denen die Beichtgelegenheit angeboten wird, sind immer zwei bis drei Priester gleichzeitig anwesend, einer im Beichtstuhl, die anderen jeweils in einem Beichtzimmer. Ist ein Schüler, eine Schülerin bereit, wendet er/sie sich an die anwesende Lehrkraft, die den Überblick hat, wo gerade “Plätze frei” sind, dabei aber auch auf die Bedürfnisse der einzelnen bezüglich des Rahmens für die Beichte eingeht. Vor den Beichtzimmern und am Beichtstuhl warten bereits andere, sodass eine besondere Art der Gemeinschaft entsteht. Jedes Mal, wenn die Tür aufgeht und eine lächelnde Mitschülerin, ein erleichterter Mitschüler den Raum verlässt und vielleicht noch ein heiteres “Mach’s gut!” vom Priester oder ein kurzer Kommentar, wie “Der ist voll nett!”, zu hören ist, geht ein ermutigendes Signal in die Runde.
Wer sich Notizen für die Beichte gemacht hat, zerreißt jetzt den Zettel, legt ihn in einen Korb oder das Glaskreuz und erfährt so ganz leibhaft, dass die Last hinter sich gelassen und ein Neuanfang gemacht werden darf. Die Zettel werden später in einer Feuerschale verbrannt, nach Möglichkeit zusammen mit einer Klasse, was ein weiteres starkes Zeichen darstellt und die jungen Menschen ganz still werden lässt. Wer kann erahnen, was in diesen Momenten in ihnen vorgeht? Wie wird ihr Gottesbild und ihr Bild von sich selbst geprägt, in eine neue Freiheit hinein verändert? Für wen bieten die Beichtgespräche die seltene Erfahrung, bedingungslos angenommen zu sein? In welchem Maße wird die Botschaft von einem zugewandten Gott, der den Menschen in Liebe anschaut und sein Heil, seine Freiheit möchte, durch die Erfahrung bei der Beichte verifiziert?
Frappierende Akzeptanz
Die Akzeptanz der Beichte in der jetzigen jugendlichen Generation ist frappierend. Menschen, die heute 50 oder älter sind, haben sie oft als moralinsaures und anachronistisches Instrumentarium einer männlich geprägten Kirche erlebt. Für die jungen Menschen der Generation Z und der Generation Alpha sind derartige Überlegungen fremd. Der Status des Priesters als Kleriker spielt keine Rolle, wichtig ist, dass er ein zugewandter Fremder ist, der Schweigepflicht hat.
Ein 15-jähriger Schüler: „Für mich ist Beichten gut, weil man sein Gefühl von Schuld nicht in sich hineinfrisst, sondern mit jemandem redet, mit dem man im wirklichen Leben nichts zu tun hat; jemand, der Schweigepflicht hat. Mir persönlich ist es wichtig, in ein Beichtzimmer zu gehen und die Türe zu schließen, damit auch wirklich niemand etwas hören kann.“
Sein 14-jähriger Freund ist anderer Meinung. „Mir ist es lieber, im Beichtstuhl zu sein, wenn ich etwas sage, wofür ich mich schäme. Da will ich niemandem in die Augen sehen.“
Ein 13-jähriges Mädchen: „Ich finde, man braucht schon Mut, sich selbst seine Fehler einzugestehen und sie dann noch einem Fremden zu sagen. Aber der Priester hat mir Tipps gegeben. Das fand ich gut. Und gut ist auch, dass die Lehrerinnen und Lehrer uns abholen und hinbringen. Das nimmt viel Unsicherheit, weil man weiß, dass man nicht allein unterwegs ist.“
Und was löst die Beichte in den jungen Menschen für ein Gefühl aus? Sie beschreiben es ähnlich: „Ich fühle mich freier danach.“ „Ich bin einfach erleichtert.“ „Es ist ein gutes Gefühl, neu anfangen zu dürfen.“ „Ich kann mich dann mehr auf Weihnachten freuen, weil ich innerlich aufgeräumt habe.“ Das Beichtverhalten von vielen jungen Menschen an dieser Schule – getauft oder nicht, katholisch oder nicht – frappiert und macht nachdenklich. Es erzählt von der Sehnsucht der Jugendlichen nach einem begleiteten Raum für Selbstreflexion.
Es erzählt von der Sehnsucht junger Menschen der Generationen Z und Alpha, die das Gefühl haben, sich permanent in den Sozialen Medien inszenieren zu müssen, nach einem geschützten Raum, in dem Schuld und Scham gut aufgehoben sind, in dem sie mit all ihrer Unzulänglichkeit sein dürfen. Und es erzählt von der Sehnsucht nach Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern, die zur Diskretion verpflichtet sind, die das Persönliche, das Intime schützen. Der Jesuit Beat Altenbach diagnostiziert zudem eine Sehnsucht junger Menschen nach dem Heiligen in einer Welt, in der alles verfügbar, konsumierbar und kaufbar scheint. In dieser Welt sind der Zuspruch und das Gesegnet-Werden eine wichtige Erfahrung für junge Menschen.1
Das Beichten in der Eichstätter Schule erzählt von Sehnsüchten. Und lädt die Kirche ein, das zu entdecken, was sie sein kann, sein sollte und was Matthias Sellmann „eine Kirche, die Platz macht“2 nennt. Sellmann entwickelt die Vision einer Kirche, die Gastfreundschaft lebt, die andere Menschen einlädt und ihnen Räume eröffnet; eine Kirche, die nicht um sich und ihr Selbstverständnis kreist, die sich selbst nicht mehr als Zentrum denkt, sondern als Gelegenheit. Eine Kirche, die auf diese Weise Platz macht, macht „Platz für Talente, für Wachstum, für Potenzialentfaltung. Sie macht Platz für Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Sie macht Platz für den je eigenen Reim auf das Leben.“3
Eine Kirche, die Platz macht, so Sellmann, ist nicht eine Kirche, die ängstlich vor den Gefahren der säkularen Welt warnt, sondern eine Kirche, die nicht verpassen möchte, was die Menschen in der säkularen Welt bewegt. Jugendpastoral ist dann nicht der verzweifelte Versuch, an der Kirchlichkeit junger Menschen zu arbeiten, sondern an der Jugendlichkeit des öffentlichen Lebens, zu dem auch Kirche gehören möchte. Und das Kirchenjahr ist dann nicht eine Ansammlung von Folklore, die man gegen die säkulare Welt bewahren möchte, sondern ein Vorschlag lebensklug fundierten Zeitmanagements – gerade in der säkularen Welt.4
Wenn es gelingt, mitten im säkularen Alltag solche Räume zu eröffnen und Gelegenheiten zu schaffen, wenn es gelingt, jungen Menschen derart Platz zu geben, kann Kirche zeigen, dass sie mehr zu bieten hat als saure Pflichtethik. Und es scheint, dass die jungen Menschen bei der Beichte an der Schule diesen Raum geschenkt bekommen – und ihn dankbar annehmen.
___
Barbara Staudigl, Prof. Dr., ist Stiftungsdirektorin der Trägerstiftung der Katholischen Stiftungshochschule (KSH), einer Fachakademie und Fachoberschule in München. Sie war viele Jahre als Lehrerin, Pädagogikprofessorin und Schulleiterin tätig.
Bild: privat
Bild: privat
- Beat Altenbach in einem Interview; vgl. Stam, Sylvia: Warum junge Leute Beichte und Anbetung mögen; katholisch de, veröffentlicht am 15.6.2016. ↩
- Sellmann, Matthias: „Für eine Kirche, die Platz macht!“ Notizen zum Programm einer raumgebenden Pastoral, in: Diakonia 48 (2017), 74-82. ↩
- Ebd. 79. ↩
- Ebd. 79. ↩