Im Herzen von St. Pauli verspricht ein digitaler Beichtstuhl 100% seelische Reinigung. Als Parodie bringt er Besucherinnen und Besucher eines Musikfestivals dazu, das Angebot einer Sündenvergebung einfach mal auszuprobieren. Gerrit Spallek hat es getestet und sich zu Reflexionen anstoßen lassen.
Eine einschlägige Beichterfahrung führt mich zurück auf einen Katholikentag – diese seltsame katholische Parallelwelt inmitten säkularer Öffentlichkeit. Ordensbrüder hatten in ihrer Kommunität ein provisorisches Beichtzentrum eingerichtet. Der Eingangsbereich wurde zum Wartezimmer umfunktioniert. Ein Pater holte mich ab und begleitete mich in ein kleines Zimmer im Obergeschoss. Die Zimmer waren schmal und spärlich eingerichtet. Die Wände waren sehr dünn. Ich konnte hören, was im Nachbarraum vor sich ging. Vermutlich konnte es keiner der dortigen Patres wissen, das geschilderte Setting glich jedoch Eins-zu-eins dem eines üblichen Bordells. Unfreiwillig wird ein Ort, an dem zum Sakrament der Vergebung eingeladen wird, mit sündhaften Assoziationen verbunden.
Am letzten Septemberwochenende war gewissermaßen eine Spiegelung der oben beschrieben Szenerie zu beobachten. Im Rahmen des 11. Reeperbahnfestivals haben drei Kommunikationsdesigner auf der Hamburger Reeperbahn eine Kunstinstallation platziert, die mit modernster Sündenvergebungstechnologie wirbt: der Beichtstuhl 3000. An einem Ort, der zu den kleineren und größeren Sünden einlädt, wird unweit des Straßenstriches und der Herbertstraße (Frauen, die ihren Körper nicht zum Verkauf anbieten, haben hier keinen Zutritt) das Versprechen digitaler Katharsis ausgesprochen – Abbitte 2.0.[1]
Der Beichtstuhl 3000 eröffnet die Möglichkeit, sich anonym und zeitlich begrenzt gegenüber einer unbestimmten Öffentlichkeit zu bekennen.
Der Beichtstuhl 3000 ist demonstrativ „typisch katholisch“ arrangiert. Anstatt eines Geistlichen sitzen Sie jedoch einem Bildschirm gegenüber. Auf diesem steht weiß auf schwarz die Zeile vorgeschrieben: „Ich beichte dass, ich …“ Die weitere Eingabe erfolgt über eine Tastatur. Der Innenraum ist derart gestaltet, dass sich die Tastatur nur bedienen lässt, wenn Sie auf den hierfür vorgesehenen Kniekissen knien.
Oberhalb des Bildschirms erklären vier kleine, leicht verständliche Täfelchen das gesamte Procedere:
- Erfahre: Willkommen. Besinne dich und knie nieder. Der Rechner ist bereit deine schändlichen Missetaten aufzunehmen.
- Beichte: Gib deine Sünden über die Tastatur ein und bestätige mit Enter. Du hast max. 140 Zeichen zur Verfügung.
- Warte: Der Computer verarbeitet nun deine Sünden. In einem Zeitfenster von 5-60 Min. sind sie einsehbar auf beichtstuhl3000.de
- Empfange: Nach kurzer Zeit wird dein persönlicher Ablassbrief vom Drucker ausgegeben. Vielen Dank und auf Wiedersehen.
Obwohl auf den letzten Schritt aufgrund technischer Schwierigkeiten verzichtet werden musste, handelt es sich bei dieser Kunstinstallation um ein bemerkenswertes Experiment. Der Beichtstuhl 3000 eröffnet die Möglichkeit, sich anonym und zeitlich begrenzt gegenüber einer unbestimmten Öffentlichkeit zu bekennen. Damit versuchen die Künstler zwei Versprechen einzulösen, die das reguläre Internet zwar suggeriert, nicht jedoch wirklich einlöst: Anonymität und zeitliche Begrenztheit der gespeicherten Daten. Die Wahrnehmung, dass Internet und Social Media zunehmend zum Medium privater und intimer Bekenntnisse im weiteren Sinne werden, benannten die Künstler als Anstoß zur Planung des Kunstprojekts.
„Vergeben und vergessen – 100% seelische Reinigung garantiert“
Das eingegebene Sündenbekenntnis ist insofern öffentlich, als dass es prinzipiell jede Passantin und jeder Passant online einsehen kann, der von der ausgehängten Internetseite erfahren hat. Die Bekennerin oder der Bekenner des jeweiligen Eintrags lässt sich aber auch durch aufmerksame Beobachterinnen und Beobachtern nicht zurückverfolgen, weil die angesagte Zeitverzögerung die Reihenfolge der eingegangenen Bekenntnisse durcheinanderbringt. Nach gewisser Zeit werden die Einträge von der Internetseite automatisch gelöscht. Im Ankündigungstext der Festivalhomepage heißt es: „Vergeben und vergessen – 100% seelische Reinigung garantiert“.
Am letzten Abend des Festivals habe ich die eingegangenen Bekenntnisse auf der entsprechenden Internetseite verfolgt. Generell lässt sich sagen, dass der digitale Beichtstuhl nicht überlaufen wurde. Dies mag auch an einer weniger günstigen Platzierung der Kunstinstallation gelegen haben. Genauso wird es wenig überraschen, dass viele Albereien unter den eingegangen Bekenntnissen zu finden sind. Beispielsweise bekennt eine Person, bislang zu wenig Bier getrunken zu haben. Bemerkenswert ist aber, dass der Anteil von ernstzunehmenden Bekenntnissen nicht allzu gering ist. Interessant ist auch, dass es sich um Bekenntnisse handelt, die sich nahezu allesamt in assoziative Verbindung mit dem besonderen Ort der Beichtgelegenheit bringen lassen: Beziehungskomplikationen, Seitensprünge, Drogenkonsum. Nicht unbedeutend sind aber auch jene Bekenntnisse, die sich im nicht eindeutig zuzuordnenden Zwischenraum zwischen Klamauk und Ernsthaftigkeit befinden.
Der Pardodie gelingt, was seiner Vorlage nicht mehr vergönnt ist: Der Beichtstuhl 3000 lockt Menschen an.
In der Offenheit der Installation für einen humoristischen Umgang liegt vermutlich sogar ein ganz wesentlicher Faktor dafür, dass sich auch Festivalbesucherinnen und -besucher für ein authentisches Bekenntnis entschieden haben. Gerade als Parodie gelingt es dem Beichtstuhl 3000, was seiner Vorlage nicht mehr vergönnt ist: Er lockt Menschen an, die Lust und Mut mitbringen, das Angebot einer Sündenvergebung – so absurd es auch klingen mag – einfach mal auszuprobieren. Die Künstler haben viel Zeit und Muße in die Recherche gesteckt, wie ein Beichtstuhl von innen ausschaut oder ein Beichtgespräch vonstattengeht. Ob sie nicht auch auf die Idee gekommen seien, das ganze zu Recherchezwecken einmal auszuprobieren, habe ich gefragt. Nein, auf diesen Gedanken seien sie nicht gekommen. Wie hätten sie auch? Und wie wäre die Reaktion ausgefallen, wenn einer der drei (vermutlich nach einer äußerst aufwendigen Recherche im Netz) verlegen an die Tür eines Beichtstuhls geklopft hätte?
Hat das Katholisch-Christliche in säkularer Öffentlichkeit nur noch als Kunstwerk seinen Platz?
Angesichts einer solchen geradezu demonstrativ typisch katholischen Kunstinstallation, die mitten auf St. Pauli ihren Ort findet, stellen sich mir abschließend zwei Fragen. Zum einen: Hat das Katholisch-Christliche in säkularer Öffentlichkeit nur noch als Kunstwerk seinen Platz? Zum anderen: Wo bleiben eigentlich Kirche und Theologie inmitten dieser alltäglich außergewöhnlichen Kontexte? Ich meine hier nicht als persiflierte Kunstwerke, sondern vielmehr als Kunstproduzentinnen und Mitgestalterinnen von kulturellen Selbstverständigungsprozessen. Hierbei geht es weder um gesellschaftliche Anbiederung noch um eine Suche missionsstrategischer Vehikel. Vielmehr geht es um ein Ringen darum, dass das, um was es im Christentum geht, mit der Reeperbahn zu tun hat; genauso wie das, was auf der Reeperbahn und überall anders abgeht, mit dem Christentum zu tun hat. Ansonsten ist die erste Frage einfach zu beantworten.
Die Tatsache, dass die Binnenwelten von Kirche wie auch von universitärerer Theologie häufig so herzlich wenig mit anderen subkulturellen Eigenwelten zu tun haben, stellt eine große Herausforderung dar. Für diese muss sich aber niemand schämen. Auch hier braucht es aber „Vernetzungstalente und dogmatische Nestflüchter“[2]. Wenn Monika Kling mit Blick auf ihre Generation an Theologinnen und Theologen von „Partypastoral“ spricht (feinschwarz, 20.12.2015), gibt sie einen deutlichen Hinweis darauf, wo diese Vernetzungstalente gefunden werden könnten.
[1] Vgl. Ankündigungstext auf der Homepage des Festivals: https://www.reeperbahnfestival.com/de/festival/abbitte-20-modernste-suendenvergebungstechnologie
[2] Hans-Joachim Höhn, Fremde Heimat Kirche. Glauben in der Welt von heute, Freiburg i. Br. 2012, 100.
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Abbitte 2.0 ist eine Arbeit von Luca Candotti, Malte Tröger und Norman Heck. Presented by: HAW Hamburg, Fakultät DMI – Design, Medien und Information
Gerrit Spallek ist Theologe an der Universität Hamburg und Mitglied der Redaktion von feinschwarz.net.
Bild: Norman Heck, www.reeperbahnfestival.com/de/festival/abbitte-20-modernste-suendenvergebungstechnologie