Die Päpste der Moderne übten ihr Amt nicht nur durch klassisches Regierungshandeln aus, sondern durch Begegnungen, Reisen und die Feier der Liturgie. Dazu gehört auch die Fußwaschung an Gründonnerstag. Von Andreas Matena
Das Charisma der jeweiligen Person als Träger des Amtes ermöglichte diese Form des „außerordentlichen Regierens“: Mit der Nähe zu den Menschen entwickelte sich das „Charisma als Form der Kirchenleitung“ (Andrea Riccardi). Der Tagesablauf Johannes Pauls II. etwa war so strukturiert, dass er möglichst viele Menschen treffen konnte. Die Medienrevolution wie auch die Entwicklung des modernen Verkehrs ermöglichten es dem Papst, seine somatische Präsenz in der Zuwendung zu den Menschen, in Gesten und seiner Art zu kommunizieren in moralisches Kapital umzumünzen.
außerordentliches Regieren
Um jenes Kapital, das sich aus der persönlichen Begegnung ergibt, weiß auch der „Papst von der Peripherie“, Franziskus. Und er weiß auch, wie sehr die Gegenwart der Kirche nach einer „franziskanischen Tat“ verlangt. Der Bestsellerroman „Der Heilige“ von Antonio Fogazzaro, aus dem dieses Zitat stammt und der nur ein Jahr nach seinem Erscheinen (1905) auf persönlichen Wunsch Pius´ X. indiziert wurde, forderte diese Wende ein, welche Pius selbst anfanghaft betrieb. Eine katholische Reform müsse statt Administration und Politik den Geist des heiligen Franziskus suchen, müsse eher eine moralisch-praktische als eine intellektuelle Bewegung hervorrufen.
Die „Wende“ zeigt längst Wirkung, wie man am langen Pontifikat Johannes Pauls II. beobachten konnte sowie an der massiven Kritik an Benedikt XVI., der sich als Person stärker als sein Vorgänger zurücknahm. An Franziskus hingegen schätzt man seit dem Auftritt auf der Loggia des Petersdoms seine Authentizität, seine Bescheidenheit und seine Demut im Geiste des Heiligen von Assisi, dessen Namen er angenommen hat. Dazu gehört auch, daran sei angesichts der kommenden Kar- und Ostertage erinnert, die Fußwaschung an Gründonnerstag. Seine erste Gründonnerstagsmesse feierte Franziskus nicht in San Giovanni in Laterano, sondern im Jugendgefängnis Casal del Marmo und wusch dabei auch zwei Frauen die Füße, von denen eine Muslima war. Damit setzte er eine Praxis fort, die er bereits als Erzbischof in Buenos Aires eingeführt hatte, auch diese Symbolhandlung legte man ihm als Zeichen der ihm eigenen Demut aus.
Doch was geschieht, wenn ein Symbol, wenn eine symbolische Handlung die angestrebte Intention verfehlt? Eine solche symbolische Kommunikation müsste als gescheitert angesehen werden, entweder von Seiten des Rezipienten, der (aus welchem Grund auch immer), nicht versteht, was ihm der Kommunikator zu sagen versucht, oder aber, weil das gewählte Symbol, die gewählte Handlung nicht das auszudrücken in der Lage ist, was sich der Ausführende davon verspricht. Genau das geschieht aber in der Art des Papstes Franziskus, anderen die Füße zu waschen.
Doch was geschieht, wenn ein Symbol die angestrebte Intention verfehlt?
Die im Johannesevangelium überlieferte Fußwaschung Jesu an seinen Jüngern (Joh 13, 1-20) ist wie das Brotwort Lk 22, 19 mit der Aufforderung verbunden, diesen durch Christus selbst gedeuteten Ritus zu wiederholen. Die Aufforderung zur Demut wird aber schon biblisch mit der Rangfrage verknüpft: Es ist der Herr und Lehrer, der jenen Akt an seinen Jüngern vornimmt. Im Kontext der päpstlichen Liturgie des Mittelalters wird die Demut (humiliatio) daher auch, wie gleichzeitig im politischen Bereich, zum Herrschaftsinstrument. Das Repertoire der christlichen Selbsterniedrigung dient der Darstellung von Herrschaftsmacht.
In der Fußwaschung des Gründonnerstags wurde der soziale und hierarchische Unterschied zwischen Waschendem und Gewaschenen symbolisch kommuniziert, der servus servorum war zugleich der dominus, trotz der Kritik, die Bernhard von Clairvaux († 1153) gegenüber Eugen III. übte. Selbst das demütige Namensvorbild des gegenwärtigen Papstes kannte und übte diese Praxis der Herrschaft durch Demut: Seine Autorität im Orden ergab sich daraus, dass er der Einfältigste und Ärmste war. Dennoch, das muss man wohl Franziskus selbst zugutehalten, wollte er gerade aus der Fußwaschung kein hierarchisches Kapital schlagen, denn die nicht bullierte Regel schrieb fest (Kap. 6), dass niemand „Prior“ genannt werden und dass einer dem anderen die Füße waschen solle. In der durch die päpstliche Theologie überarbeiteten Form der regula bullata entfiel dieser Paragraph.1
Bei der Fußwaschung handelte und handelt der Papst in der Nachfolge und auf die biblische Aufforderung Christi. Von einem Ritual, welches die persönliche Demut der Ausführenden zeigt, kann also nicht die Rede sein: Vielmehr diente es als Ausdruck der überragenden Stellung des Papstes gegenüber denjenigen, die er wäscht. Daher wurde diese Praxis auch aus gutem Grund an den Klerikern der päpstlichen famiglia ausgeübt bzw. in der Gegenwart an Priestern der eigenen Diözese.
Von einem Ritual, welches die persönliche Demut der Ausführenden zeigt, kann also nicht die Rede sein.
Durch die Veränderung des Rituals wird die gesamte mit ihm verbundene symbolische Kommunikation verändert: Bezog sich die rituelle Darstellung der Demut auf den symbolischen Ausdruck von Amtsmacht, demonstriert der Ausführende nun eine Demut, die ihm als rein persönliche Eigenschaft angerechnet wird. In beiden Fällen, so scheint es, wird zwischen Person und dem Amt, das diese Person ausübt, unterschieden: Im ersten Fall überlagert das Amtscharisma die Person, im zweiten Fall das persönliche Charisma das Amt, mag sich auch aus diesem moralischen Handeln herrschaftliche Autorität ableiten lassen. Beide Formen sind jedoch problematisch, weder darf das Amtscharisma eine moralisch nicht integre Person schützen, noch darf das moralisch Richtige in Macht umgesetzt werden. Problematisch wird dieses Verhältnis vor allem dann, wenn es vom primus der Kirche ausgeht und damit andere zur Nachahmung anregt:
Der „gute Mensch aus Rom“ hat, so scheint es, vor allem unter den deutschen Bischöfen einen Wettlauf um die mediale Darstellung der eigenen Demut und Bescheidenheit ausgelöst. Es wird sich zeigen müssen, ob es hierbei um eine „franziskanischen Tat“, um eine wirkliche Wende handelt, um ein sinnvolles Austarieren von persönlichem und Amtscharisma, oder aber um einen Wettlauf um positive Presse, um eine Profilierung gegenüber Anderen.
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Text: Dr. theol. Andreas Matena, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Fundamentaltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg.
Bild: Birgit Hoyer
- Auch die benediktinischen Traditionen kennen die Tradition, dass die Ausführung der Fußwaschung am Gründonnerstag ein Privileg des Ranghöchsten, also des Abtes, war. ↩