Wie nachhaltiges unternehmerisches Denken und christliches Handeln zusammen finden können, ist eine Frage genereller Veränderung, mit der sich Patrick Mijnals und Christiane Moser-Eggs befassen.
Für die Kirche bietet sich aktuell die einmalige Chance, einen epochalen Wandel unserer Gesellschaft mitzubegleiten. Sie sollte sie ergreifen, denn was gerade passiert, berührt ureigene, christliche Anliegen. Dabei könnte die Kirche strategischen Partner:innen in einem Bereich finden, mit dem sie bisher eher fremdelt: in der Wirtschaft.
Gemeinwohlorientierte Unternehmen ohne Gewinnmaximierung?
Nicht nur werden Unternehmen zunehmend nach ihrem CO2-Fußabdruck und danach gefragt, welchen Beitrag zum Gemeinwohl sie leisten (siehe taz, S. 18 vom 28./29. August 2021). Es werden immer mehr Unternehmen gegründet, deren ausgesprochenes Ziel nicht die Gewinnmaximierung ist, sondern mit unternehmerischen Mitteln einen gesellschaftlichen, also sozialen, ökologischen oder kulturellen Mehrwert zu erreichen. Diese Unternehmen, die als Sozialunternehmen, Social Entrepreneurs oder Social Startups bezeichnet werden, haben in der Regel keinen christlichen oder konfessionellen Unterbau. Von klassischen Wohlfahrtsorganisationen unterscheidet sie hauptsächlich, dass sie den Fokus auf innovative, kundenzentrierte Lösungsansätze legen, die den Status Quo und die gängige Praxis — oft unter Zuhilfenahme von digitalen Werkzeugen und anderen Technologien — in Frage stellen. Wirksamkeit ist ihr oberstes Ziel, während Profit-Orientierung nur als Mittel zum Zweck dient und Gewinne soweit möglich reinvestiert werden. Viele von ihnen orientieren sich mit ihrer Arbeit an den sogenannten Social Development Goals (SDGs). Diese 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung der Welt wurden 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedet und sollen bis 2030 umgesetzt werden (siehe Quellen). Die Ziele reichen zum Beispiel von „Keine Armut“ (1) über „Chancengerechte und hochwertige Bildung“ (4) bis hin zu „Nachhaltiger Konsum und Produktion“ (12).
Die Frage nach einer Kirche mit Gegenwartsrelevanz
Die Sozialunternehmer:innen widmen sich einem breiten Spektrum von Themen. Neben bereits etablierten und bekannteren Marken wie socialbee – ein Unternehmen, das deutschlandweit die Integration geflüchteter Menschen in den Arbeitsmarkt fördert und dabei mit einem sozialen Zeitarbeitsmodell arbeitet —prägen vor allem kleine Unternehmen und Startups die Szene.
Im Blick auf die Ansätze dieser jungen Unternehmen ließe sich kirchlich einiges lernen:
Indem die Kirche Akteur:innen wie diese unterstützt, kommt sie zum einen auf neuem Wege an ihre ureigenen Ziele wie Nächstenliebe und Schöpfungsbewahrung, um nur zwei der Themenfelder mit hohen Schnittmengen zu caritativen Bestrebungen zu nennen. Zum anderen: In einer Gesellschaft, die ökonomischen Erfolg und die Beteiligung aller am Erwerbsleben so hoch bewertet, ist es für die Kirche schlicht unumgänglich, sich mehr als bisher mit der neuen Arbeitswelt und den Themen einer sich wandelnden Wirtschaft zu beschäftigen, wenn sie relevant bleiben will. Es öffnet sich zudem ein Experimentierfeld für die kirchenentwicklerischen Grundhaltungen des Bistums Limburg, wie zum Beispiel „gastfreundlich sein“, „Mut zu Veränderungen haben“ oder „Förderung einer Fehlerkultur“.
Ein kirchliches Projekt:
die Villa Gründergeist
Wie kann die Zusammenarbeit mit den gemeinwohlorientierten Unternehmen aussehen? Die Villa Gründergeist, ein Projekt des Bistums Limburg in Frankfurt am Main, ist seit zwei Jahren dabei, das zu erkunden. Die gründerzeitliche Villa im Frankfurter Westend dient als Coworking Space für Sozialunternehmer:innen. Mieter:innen sind beispielsweise HeartBeatBus, ein mobiles Ton- und Fernsehstudio, das Hip-Hop-Kurse für mehr Demokratie und Toleranz anbietet, sowie Happy2Learn, ein kleines Team von Karriereberater:innen, die den Fokus auf den Berufungsgedanken legen. Außerdem ist die Villa kirchliches Innovationszentrum. Denn auch kirchliche Mitarbeitende, wie das Team Berufungspastoral oder das Ressort Kirchenentwicklung nutzen die Villa als Arbeits- und Inspirationsort. Als solcher ist sie ein „Cross-Community-Space“, an dem sich kirchliche und nichtkirchliche Akteur:innen begegnen und dient denjenigen als Plattform, die das Ziel eint, gesellschaftlich-ökologischen Fortschritt zum Wohle aller zu erreichen. Die Unterstützung umfasst dabei mehr als Arbeitsplätzen zur Verfügung zu stellen oder Coachings, Vernetzungsveranstaltungen oder innerkirchlichen Kooperationen anzubieten.
Multiplikatorin für Social Entrepreneurs
Ein konkretes Beispiel hierfür ist Lobbyarbeit. Mieterin der Villa ist auch die Interessenvertretung der SocialEntrepreneurs, das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland e.V. (SEND). SEND mobilisiert und befähigt im Vorfeld der Bundestagswahl unter dem Motto #Wegebereiten seine über 600 Mitglieder dazu, in politischen Hintergrundgesprächen die Bundestagskandidat:innen aller demokratischen Parteien vom Potenzial, den Besonderheiten und Bedürfnissen einer gemeinwohlorientierten Wirtschaft zu überzeugen. Denn obwohl es zunehmend ins Bewusstsein von politischen Entscheidungsträger:innen rückt, welchen ungeheuren gesellschaftlichen Mehrwert Social Entrepreneurs bieten, sind sie in Deutschland gegenüber anderen Gründer:innen benachteiligt, was etwa die finanzielle Förderung anbelangt. Die Villa Gründergeist ist Fördermitglied von SEND und agiert als Multiplikatorin für die Inhalte und Botschaften der Kampagne, teilt beispielsweise Termine und Inhalte im eigenen Netzwerk und auf sozialen Kanälen. Als Plattform und Vernetzungsort für Sozialunternehmen nimmt die Villa außerdem am Frankfurter „Politik-Walk“ teil, bei dem Frankfurter Bundestagskandidat:innen Social Startups besuchen. Auf diese Weise trägt die Villa dazu bei, dass die dem gemeinwohlorientiertem Gedanken verpflichteten Ziele, die sowohl die Kirche als auch die Social Entrepreneurs antreiben, in den politischen Programmen der Parteien und dem Koalitionsvertrag der kommenden Regierung verankert werden.
Die Wahrnehmung von Nischen und Rändern
Der Schulterschluss von Kirche und Sozialunternehmen ist für beide Seiten wertvoll und gelingt, wenn sich Akteur:innen auf Augenhöhe begegnen und bereit sind, zu lernen. Die Praxis und die aktuelle Innovationsforschung lehren uns aber auch, dass die besonders innovativen Ideen, erfolgreichen Angebote und Lösungsansätze oft gerade nicht von den großen, etablierten und traditionelle Organisationen ihrer Zunft allein entwickelt werden. Vielmehr entwickeln sie sich in den Nischen, an den Rändern und Schnittflächen zwischen verschiedenen Sektoren und häufig in Kooperation. Von Social Entrepreneurs kann sich Kirche beispielsweise abschauen, wie man neue Lösungen gemeinsam mit der eigenen Zielgruppe entwickelt, sie experimentell erprobt und dann skaliert. Sie wissen außerdem, wie man in Unsicherheit steuert, etwa mit agilen Methoden. Oder wie Diversifikation und Fehlerkultur umgesetzt werden können. Die Kirche hat den neuen Akteur:innen ebenfalls viel zu bieten: Räume, Öffentlichkeit, ein Netzwerk und jahrzehntelange Erfahrung in der sozialen Arbeit und Daseinsfürsorge mit den großen Wohlfahrtsverbänden.
Für wen eigentlich?
Wer diese Potenziale heben möchte, sollte aktiv auf (lokale) Social Entrepreneurs zugehen, den Dialog suchen und als Gastgeber:in auftreten, um zu entdecken, wie gut unternehmirisches Tun und die christliche Nächstenliebe zusammenpassen. Die zentrale, immer wieder zu stellende Frage lautet: „Für wen sind wir als Kirche zukünftig da?“.
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Autor:innen:
Christiane Moser-Eggs, Öffentlichkeitsarbeiterin im Non-Profit-Bereich und freie Mitarbeiterin der Villa Gründergeist.
Patrick Mijnals begleitet als Community- und Innovationsmanager die Social Entrepreurs in der Villa Gründergeist und ist selbst Sozialunternehmer (bettervest.com)
Foto: Danielle MacInnes / unplash.com
Quellen:
Gründer*innen Handbuch für pastorale Start-ups und Innovationsprojekte, Florian Sobetzko und Matthias Sellmann, echter, 2017.
Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland: https://www.send-ev.de/
Wenn alle an alle denken, ist an alle gedacht, Taz am Wochenende, Gesellschaft, S. 18, 28./29. August 2021. https://taz.de/Petition-der-Woche/!5794081/
Ziele für nachhaltige Entwicklung: https://unric.org/de/17ziele/