Ein Leserbrief von Bernhard Körner zu Oliver Wintzeks kritischen Berufungsartikeln.
Oliver Wintzeks „Plädoyer gegen ein Willkürkonzept“ zeigt – nicht ohne polemische Zuspitzung – Schwierigkeiten mit dem Thema Berufung auf. Sie werden freilich in theologisch fundierten Beiträgen durchaus gesehen und beachtet. Dazu einige Bemerkungen und Anfragen.
Der Rekurs auf die eigene Gewissheit, berufen zu sein, verlangt Respekt wie vor jeder persönlichen Überzeugung. Sie sagt aber noch nichts darüber, ob jemand anstreben soll, wozu er bzw. sie sich berufen fühlt. Das subjektive Bewusstsein allein ist kein geeignetes Kriterium. Es kann ein Anstoß sein, muss sich aber auf einem Weg menschlicher und geistlicher Prüfung bewähren. Und so wird es in der einschlägigen Literatur gesehen und wohl auch in verantwortungsvoller Praxis gehandhabt.
Nebenbei: Die Einschränkung auf Priesterberufungen, die Wintzek vornimmt, dient dem Anliegen der Berufung nicht. Sie hat nichts mit Gott, sondern mit der kirchlichen Notsituation zu tun. Angemessener ist es, viele Berufungsmöglichkeiten ins Auge zu fassen.
Eine ausreichende Alternative?
Wintzek spitzt die Alternative, die er vorlegt, zu in der Formulierung: „Gott wäre so nicht willkürlich wählend, sondern ich wählte ihn willentlich. Nicht Gott beruft, ich berufe mich auf ihn in meinem Lebensentwurf.“
Natürlich trifft der, der seine Berufung sucht, eine Wahl, aber das schließt nicht aus, dass zuvor Gott die Initiative ergriffen hat – so, dass der, der seine Berufung sucht, darauf reagieren kann – auf Lebensumstände, Gebets- und Lebenserfahrungen, Vorbilder, Lektüre… Dabei ist die Vorstellung, dass Gott „willkürlich wählend“ (Wintzek) sei, befremdlich. Gott ruft, und für manche wird dieser Ruf zur persönlichen Betroffenheit, für andere nicht. Ob Gott eine Vorentscheidung getroffen hat oder nicht, ist eine anthropomorphe Vermutung und fürs Praktische unwichtig. Auf jeden Fall kann nicht nur der berufende Gott zu menschlich gedacht werden, sondern auch die Kritik.
Machtmissbrauch ist leider auch dann nicht auszuschließen, wenn man auf den Berufungsbegriff verzichtet. Und möglicher Missbrauch spricht nicht gegen einen aus theologischen Gründen durchaus sinnvollen Begriff. Selbstverständlich muss alles getan werden, damit es nicht zu Missbrauch kommt. Nicht zuletzt durch eine solide Theologie, die z.B. die Differenz zwischen Christus und denen, die er beruft, deutlich herausstreicht.
Davon auszugehen, dass der Berufungsbegriff „gnadentheologisch desaströs“ sei, wäre wohl nur dann angebracht, wenn man das Handeln Gottes und des Menschen auf der gleichen Ebene sieht. Dann mag gelten: entweder Gott oder der Mensch. Aber schon auf der menschlichen Ebene ist die Behauptung eines Widerspruchs nicht unumgänglich: Die Vorgaben, die ein Komponist mit seiner Partitur macht, heben nicht die menschliche Freiheit des Interpreten auf und entwerten nicht seine persönliche Leistung. Im Gegenteil. Und das gilt wohl noch mehr im Blick auf die gnadenhaften Vorgaben Gottes, zumal das Wirken der Gnade nicht auf der gleichen Ebene mit dem menschlichen Tun gedacht werden sollte.
Es steht mehr am Spiel
Eine Lösung, die bei Wintzek anzuklingen scheint, ist m.E. nicht gangbar: in den Berufungsaussagen ausschließlich (!) Aussagen des subjektiven Bewusstseins der Berufenen zu sehen. Die Gewissheit, dass Gott ein geschichtsmächtiger Gott ist, darf nicht dadurch verloren gehen, dass am Ende nur mehr biblische Narrative bleiben und Menschen, die sich von ihnen inspirieren lassen. Es wäre ein später Triumph des Deismus. Vielleicht ist das eine der Pointen des Berufungsbegriffs: Gott hat seine Hand im Spiel – in allen Wechselfällen der Geschichte und manchmal durchaus jenseits theologisch-menschlicher Plausibilität.
Alles in allem: Eine so grundsätzliche Dekonstruktion des Berufungs-Begriffs, wie sie Oliver Wintzek vornimmt, ist m.E. überzogen, und man darf sich nicht wundern, wenn sie verunsichert.
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Dr. Bernhard Körner em. Professor für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz.