Mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit hat sich im kirchlichen Jargon die Rede von „Berufung“ etabliert. Oliver Wintzek reflektiert den Begriff theologisch kritisch.
Angesichts des grassierenden Personalmangels boomen diverse Stabsstellen für Berufungspastoral, werden Gebetsmobilmachungen organisiert und entsprechende Werkhefte in großer Zahl unter das Kirchenvolk gestreut. Offensichtlich ist man hierbei der unhinterfragten Meinung, dass es so etwas wie „Berufung“ gebe. Dabei geht es ebenso offensichtlich nicht um die fraglose Tatsache, dass wir alle mit hinreichenden Gründen Entscheidungen zu treffen haben, wie wir unsere Biographie im Rahmen unserer Möglichkeiten gestalten und vollziehen.
Göttliche Vorabentscheidung.
Stattdessen will „Berufung“ glauben machen, dass es so etwas wie eine göttliche Vorabentscheidung gibt, die es dann nur zu ratifizieren gilt. Dies dürfte jedenfalls implizit vorausgesetzt sein, auch wenn das Wortfeld bevölkert ist mit einer breiten Palette von Formulierungen, man habe etwa auf den Ruf Gottes zu hören, man müsse dem auf die Spur kommen, was der Wille Gottes für mein Leben sei, es gelte zu entdecken, welchen Plan Gott für mich gefasst habe.
Eine weitere unhinterfragte Selbstverständlichkeit kommt hinzu: Gott scheint es in seiner Vorabentscheidung besonders auf die Berufung zum Priestertum abgesehen zu haben, wobei man ihn irgendwie meint zusätzlich motivieren zu sollen, wenn man die genannten Gebetsmobilmachungen für bare Münze nimmt. Sie merken bereits, dass ich dem Konzept einer göttlichen Berufung skeptisch gegenüberstehe.
Ich werde im ersten Teil argumentieren, dass es als begründungshermeneutisch unterkomplex und zudem als autosuggestiv unkontrolliert gelten muss. Im zweiten Teil werde ich aufzeigen, dass geradezu machtmissbräuchlich diskriminierend ist. Dies gilt auch für das subkutan tragende theologische Fundament, das ich ans Licht heben werde: Berufung ist in letzter Konsequenz gnadentheologisch desaströs. Damit wir dann nicht auf einem traurigen Trümmerhaufen sitzen bleiben, werde ich abschließend eine Alternative zu dem bisherigen Willkürkonzept formulieren.
Priestertum kann man sich nicht selbst heraussuchen.
Der bisherige Aufriss in puncto Berufung, besonders Berufung zum Priesterberuf, findet sich in exemplarischer Weise etwa bei Joseph Ratzinger, dem der Ruf vorangeht, kein unmaßgeblicher Theologe zu sein. In entsprechender Sprachgestalt erfährt man wie folgt: „Priestertum kann man sich nicht selbst heraussuchen. Man kann es sich nicht ausdenken als eine Art, wie man in seinem Leben Sicherheit erlangen, sich sein Brot verdienen, eine soziale Stellung erreichen kann. Man kann es sich nicht einfach wählen als etwas, womit man Sicherheit, Freundschaft, Geborgenheit findet; wie man sich ein Leben bauen möchte. Es kann niemals bloß eigene Versorgung, eigene Wahl sein. Priestertum, wenn es recht ist, kann man sich nicht selbst geben, auch nicht selbst suchen. Es kann nur Antwort auf seinen Willen und auf seinen Ruf sein.“1
Berufung – begründungshermeneutisch unterkomplex.
Stellt man sich die Frage, woher die Kenntnis dessen rührt, dass es eine Berufung seitens Gottes gebe, werden in aller Regel biblische Exempla angeführt. Es ist unbestritten, dass die biblischen Narrative mit diesen aufwarten können. Herausragende Gestalten sind in der erzählten Welt göttlich auserwählt, ihre Kunde damit göttlich beglaubigt, sie fungieren als Werkzeuge Gottes, womit ihr Wirken und Wort Gott selbst repräsentiert. Dies kann sich bis zu der Vorstellung steigern, diese Erwählung gelte bereits vom Mutterschoße an, sie sei samt und sonders ganz Gottes Werk und diene zur Realisierung seines göttlichen Planes.
Strittig ist indes, ob diese erzählten Welten als Blaupause für tatsächliche Begebenheiten taugen, ob nicht eine kritische Entmythologisierung längst das Gebot der Stunde hätte sein müssen. Die nachträgliche erzählerische Stilisierung religiöser Prägegestalten ist das eine, die real erwartbaren Gegebenheiten einer im positiven Sinne entzauberten Welt bar jeglicher Leichtgläubigkeit sind das andere. Die erwartbare Fokussierung von Berufung auf die Berufungsgeschichten der Schülerinnen und Schüler Jesu bereitet auf der Ebene der faktischen Rekonstruktion kein sonderliches Problem:
Der Nazarener rekrutiert seine Anhängerinnen und Anhänger. Wird im gegenwärtigen Berufungsjargon auf einen Ruf Jesu abgehoben, bereitet dies ersichtlich denkerische Schwierigkeiten. Zum einen verlagert sich die göttliche Kompetenz auf die Gestalt Jesu, was christologisch zumindest fragwürdig ist. Zudem stellt sich die Frage, wie es um die Gegenwärtigkeit des rufenden Jesus jenseits der eingeübten Formulierungen bestellt sein soll, er sei als der Auferstandene im Geist gegenwärtig,
Bei diesem ersten Kritikgang bleibt als These festzuhalten, die Annahme einer göttlichen Berufung fußt auf einer unkritischen Verwechslung biblischer Erzählwelten mit der realen Welt, suggeriert zudem eine wundersame Ausnahmeaktion Gottes, auf die zu hören sei, die zudem mit einer mehr als fragwürdigen Präsenz Jesu operiert. Da es sich natürlich nicht um ein akustisches Vernehmen eines Rufes handelt, denn so viel Mythologemes wäre dann doch zu viel des Guten, bleibt nur ein inneres Vernehmen oder inneres Gewahrwerden, was indes mit weiterreichenden Problemen einhergeht.
Berufung – autosuggestiv unkontrolliert.
Unter der Voraussetzung, es gäbe eine geplante Erwählung seitens Gottes, der auf die Spur zu kommen sei, verlagert sich Berufung auf die subjektive Seite. Diverse Kriterienkataloge, worauf man hier achtsam zu sein habe, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die unterstellte Objektivität der göttlichen Lebensberufung eine subjektive Interpretationsleistung darstellt. Das Problem liegt nicht in der unvermeidlichen Tatsache des Subjektiven, sondern in der Überbeanspruchung einer zu erringenden Gewissheit, für die es keine Kontrollkriterien gibt.
Es ist unstrittig, dass eine gläubige Lebensinterpretation und Lebensperspektive immer nur die Leistung des Subjektes ist, das sich hoffend auf Gott bezieht und dies als dialogisches Geschehen ausdeutet. So gewiss sich das auch darstellen mag, so sehr ist doch darauf zu insistieren, dass dabei die grundlegende Fraglichkeit Gottes nicht vergessen werden darf. Gewiss mag die gläubige Bezugnahme auf Gott sein, ungewiss bleibt die Realität Gottes. Um diese Unterscheidung zu wissen und sie aufrecht zu erhalten, ist ein Gebot der Selbstaufklärung und der theologischen Redlichkeit. Es geht nicht an, diese subjektiv vermittelte Gewissheit mit dem Etikett göttlicher Unfehlbarkeit zu versehen.
Genau dies ist allerding die lauernde Gefahr, wo Berufungserlebnisse legitimationstheoretisch stark gemacht werden, wo etwa die behauptete Berufung zum Priestertum als göttlich abgesicherter Entscheid für das Leben irritationsresistent gültig sein soll. Ich sehe hier eine lauernde Gefahr in der gängigen Berufungspastoral, die einer solchen pseudoobjektiven Gewissheit Vorschub leistet. Sie leitet an, den Willen Gottes für das Leben finden zu sollen, der sodann seine subjektive Interpretationsleistung im Ergebnis vergessen lässt und sich als göttlich legitimiert verstehen will.
Dabei muss dies gar nicht nur systemstützend die exklusive Priesterberufung meinen, sondern kann auch geradezu ein revoltierendes Potential entfalten, wo es sich um Glaubens- und Lebenszeugnisse von Frauen handelt. Diese bringen ihre vermeintlich objektiv gesicherten Berufungserfahrungen gegen eine patriarchalisch eingegrenzte Berufungskontrolle in Stellung. Die beeindruckende und bewegende Zusammenstellung revoltierender Wortmeldungen von Frauen hinsichtlich ihrer priesterlichen Berufungen unter dem Titel „Weil Gott es so will“ ist ein beredtes Zeugnis dafür, dass die auf Männer zugeschnittene Berufungspastoral gewissermaßen die Geister nicht loswird, die sie gerufen hat.
Hat man einmal die subjektive Seite aus Letztinstanz göttlicher Berufung stark gemacht, darf man sich nicht wundern, wenn dies nun universalisiert wird und auch durch den kläglichen Einspruch, Frauen könnten nicht von Gott zum Priestertum berufen werden, nicht mehr verhindert werden kann. Gleichwohl ist damit das theologische Problem des zugrunde gelegten Berufungskonzeptes mitnichten behoben. Es bleibt dabei, dass es als autosuggestiv und unkontrollierbar dechiffriert werden muss.
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Text: Oliver Wintzek, Prof. Dr. theol., Lehrstuhl für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Katholischen Hochschule Mainz.
Bild: Gerd Altmann, Pixabay.
- Ratzinger, J.: Berufung. In: ders.: Sich hingeben in seinen Willen (1986), Gesammelte Schriften 12. Freiburg, Basel, Wien 2010, 474. ↩