Welche Reaktionen erlebt eine junge Frau, die zum Islam konvertiert? Mit ihrem Beitrag irritiert Julia Eitzinger stereotype Klischees. Und sie lädt dazu ein, genau hinzuschauen und nachzufragen.
„Mit Beten und all dem?“, so lautete die erste Frage, die der 24-jährigen Sarah von der Direktorin einer tertiären Bildungseinrichtung in Österreich gestellt wurde, als die Schülerin die Bestätigung ihrer Konversion zum Islam vorlegte, um sich vom katholischen Religionsunterricht abzumelden.
Mit der Entscheidung, zum Islam zu konvertieren, sorgte Sarah, die ich gerne als ziemlich coole Socke beschreibe, für Verwirrung. Sie verkörpert eine unabhängige, junge Frau, trägt Baggy Jeans, selbstbedruckte T-Shirts mit feministischen Sprüchen und hatte einen lässigen Sidecut. Dem stereotypen Bild einer Konvertitin entspricht sie nicht und ihr Auftreten stimmte nicht mit der klischeehaften Vorstellung von einer neuen Muslimin überein. Dennoch beanspruchte sie nun, nach einer langen Auseinandersetzung mit sich selbst, Gott und ihrem sozialen Umfeld, die Bezeichnung „Muslimin“ für sich. An ihrem Weg zum Islam ließ Sarah mich immer wieder teilhaben, indem sie mir von ihren Ängsten und Sorgen erzählte, aber auch von den Freuden und Hoffnungen, die für sie mit der Konversion einhergingen. Aus dieser Vertrautheit heraus bat Sarah mich, sie zur Direktorin zu begleiten, um ihr beim Gespräch durch meine Anwesenheit den Rücken zu stärken.
Im Büro der Direktorin
Nun saßen wir gemeinsam im Büro der Direktorin. Sarah schilderte ihr Anliegen, sich vom katholischen Religionsunterricht abzumelden, legte die Konversionsbestätigung vor und wartete.
„Mit Beten und all dem?“, fragte die Direktorin, während sie vom soeben präsentierten Dokument zu Sarah aufblickte. Was mit „all dem“ gemeint war, offenbarte sich, als auf Sarahs irritierte Miene hin weitere Fragen folgten: „Betest du jetzt auch?“, „Trinkst du keinen Alkohol mehr?“, „Und du isst auch kein Schweinefleisch mehr?“, „Hast du einen muslimischen Freund?“ Sarah blieb keine Gelegenheit, die Fragen zu beantworten, die wie aus der Pistole geschossen aufeinander folgten. Ihre Gelassenheit in der Situation und die ruhigen, humorvollen Bemerkungen, mit der sie das Gespräch freundlich aber bestimmt beendete, bewunderte ich.
Die Direktorin entließ uns aus ihrem Büro, nachdem sie sich abschließend noch nach Sarahs Kopftuch-Plänen erkundigte.
Als die Tür zum Rektorat hinter uns geschlossen war, schauten Sarah und ich uns erstmal einen Augenblick lang nur an. Erstaunen, Belustigung und Resignation las ich auf ihrem Gesicht. Auf meine Beschreibung des Gesprächs als seltsam antwortete Sarah abwinkend: „Ach, das ist ja normal.“
Die Normalität von Konvertit:innen
Die Normalität von Konvertit:innen, die Sarah anspricht, lässt die Spannungen erahnen, welche die Entscheidung, sich in Österreich zum Islam zu bekennen, mit sich bringt. Die deutsche Soziologin Monika Wohlrab-Sahr spricht von einem doppelten Rahmen, auf den die neuen Muslim:innen bezogen sind: den „westlichen“ Rahmen und den „islamischen“ Rahmen. Dazwischen stehen sie in der Spannung von Teilhabe und Abgrenzung. Die Selbstdefinition als österreichische Konvertit:innen findet in Bezugnahme auf beide Rahmen bzw. Lebenswelten statt. Die Konvertierten gestalten ihr Muslim-Sein in der Spannung der beiden Bezugsräume, ohne gänzlich in einem davon aufzugehen. Das erzeugt Reibungen, unter anderem durch vorurteilsbehaftete Anfragen des sozialen Umfeldes beider Lebenswelten sowie durch die Herausforderung, sich selbst zwischen den Stühlen zu positionieren und das neue Selbstverständnis als Muslim:in zu ergründen.
In Sarahs Fall werden Anfragen islamkritischer Stimmen des „westlichen“ Rahmens am Beispiel der Direktorin deutlich. Die Vorstellung der Konversion einer aufgeklärten, europäischen, jungen Frau zum Islam, der in der Wahrnehmung der Direktorin für ein dem westlichen Ideal widersprechendes Weltbild steht, sorgt für Irritationen, Ängste und Sorgen bei ihr. Das drückt sich in den vielen Fragen aus, die im Gespräch gestellt wurden, ohne einen Raum für Antworten zu lassen. Dass jedoch die Direktorin, hier Vertreterin des „westlichen“ Rahmens, nicht die einzige Person mit Fragen ist, wird in der obigen Beschreibung nicht deutlich, jedoch in meinen Gesprächen und Erlebnissen mit Sarah. Fragen, Kritik und Sorgen kommen von beiden Seiten und auch von ihr selbst im inneren Dialog, wie sie mir erzählte. Manche Antworten kennt sie, einige erahnt sie und ein paar sind noch nicht greifbar für sie. Ihre Konversion ist ein Prozess, der eben nicht nur von Freude und Hoffnung, sondern manchmal auch von Angst und Leid geprägt ist.
Doch wie damit umgehen?
Es ist eine Tatsache, dass die österreichische Gesellschaft plural ist und der Glaube eine Option ist, für die man sich frei entscheiden kann und für die man sich vor kaum jemanden verantworten muss. Nicht nur lokale Gemeinschaften sind zunehmend religiös heterogen und bieten daher Kontaktmöglichkeiten mit anderen, potenziell zukünftig eigenen Traditionen, sondern auch durch die Verlagerung eines Großteils des Lebens ins Internet kommen Menschen aus unterschiedlichsten Welten mit Glaubens- und Traditionssystemen in Berührung, zu denen sie vor wenigen Jahren kaum Zugang gehabt hätten. Die unendliche Flut an Möglichkeiten kann ein Gefühl von Überforderung hervorrufen und bedrohlich wirken. Die Abgrenzung zum anderen und das Festhalten am Eigenen sind eine Strategie, damit umzugehen. Doch dann wird das Gegenüber zum Fremden, seine Religion zur Bedrohung und der Mensch mit seiner Geschichte und seinem Selbstverständnis tritt in den Hintergrund.
Weg des Dialogs
Darauf, dass aber gerade ein begegnungsorientierter Weg des Dialogs der Menschen auch einer der katholischen Kirche sein sollte, verweist die viel zitierte Stelle in Gaudium et Spes 1: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger[:innen] Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände.“ Sarah beschreitet selbstbewusst als Mensch von heute nach bestem Wissen und Gewissen ihren Weg, der sie zum Islam geführt hat. Im Sinne von Nostra aetate 2 sollte es ein Anliegen sein, dass sich alle „aufrichtig um gegenseitiges Verstehen […] bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen“.
Daher möchte ich abschließend für authentische Begegnungen plädieren, in denen man sich selbst den anderen mit seinen Sorgen und Hoffnungen zumutet, statt sich hinter Fragen und Vorurteilen zu verstecken. Eine Begegnung, die zum Hören einlädt, zur gegenseitigen Wertschätzung und dazu, einen Strahl jener Wahrheit im Gegenüber zu erkennen, die alle Menschen erleuchtet.
Julia Eitzinger ist Theologin und arbeitet an der Universität Innsbruck an einer Dissertation über Konversionen zum Islam.
Bildquelle: Julia Eitzinger