In fünf Hamburger Kirchen wird vom 27. Mai – 22. Juli 2018 zeitgenössische Kunst von 23 Künstlerinnen und Künstlern gezeigt. Unter dem Titel „HINSEHEN.REINHÖREN“ wurde die Reihe von der Katholischen Akademie mitkonzipiert. Janne Lenhart hat sich die Ausstellung angeschaut.
Zeitgenössische Kunst im Kirchenraum zu zeigen erfreut sich großer Beliebtheit. Der Berliner Alexander Ochs, der die Hamburger Reihe kuratiert hat, ist Experte auf diesem Gebiet und hat mehr als 30 Ausstellungen dieser Art konzipiert, unter anderem in Berlin und Jerusalem. Für Hamburg hat er nun Werke ausgewählt, die er in thematischer Verbindung mit den ausstellenden Kirchen zeigt. Die Arbeiten in der Hauptkirche St. Jacobi, der Pilgerkirche, präsentiert Ochs etwa unter dem Stichwort „Pilgern.Sitzen.Sesshaft sein“.
Was macht das Zusammenkommen von Kirchenraum und Kunst so attraktiv?
Nachdem Kunst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem im „White Cube“, einem weißen, kahlen und wenig atmosphärischen Museumsraum präsentiert wurde, erscheint die Kirche als Ausstellungsraum gleichermaßen als größtmöglicher Kontrast wie willkommene Abwechslung, um zeitgenössische Positionen zu zeigen. Um eine Wahlverwandtschaft handelt es sich dabei nicht: Den Kirchenraum als Ort der Kunstrezeption zu wählen, knüpft an die Ursprünge der westlichen Kunst an. Bevor in der Frühen Neuzeit private Mäzene die Kunstpatronage übernahmen und der freie Markt für Kunstwerke entstand, war die Kirche Auftraggeberin und Ausstellerin künstlerischer Artefakte zugleich.
Ein Kirchenraum regt dazu an, die Kunstwerke verstärkt in ihrer räumlichen Bezogenheit wahrzunehmen.
Wird heute Kunst im Kirchenraum gezeigt, ist dies eine neue Begegnung. Der atmosphärische Raum der Kirche regt dazu an, die Kunstwerke verstärkt in ihrer räumlichen Bezogenheit wahrzunehmen. Das bedeutet, zu erleben, dass ein Kunstwerk seine Wirkung auch durch den Ort und Raum erhält, in dem es gezeigt wird. Im Kirchenraum tritt die Kunst in einen Dialog: Der ästhetische Raum der Kirche wirkt auf das Kunstwerk, gleichzeitig antwortet das Werk auf den Kirchenraum. Durch dieses Ins-Verhältnis-zueinander-Setzen wird Kunst aus dem Galerie- und Museumskontext gelöst und kann in ihrer Wechselbezogenheit zum Raum erfahren werden.
Die Hamburger Ausstellung eröffnet drei Formen von Bezügen:
Inhaltliche Bezüge
Die gezeigten Arbeiten treffen im Ausstellungskontext auf Werke, die bereits Bestandteil der Kirchen sind. Das Zusammenführen alter und neuer Kunst verstärkt die jeweilige Aussagekraft. Besonders anschaulich ist dies in St. Katharinen, wo die Pieta von Joseph Beuys auf einer Blickachse mit einer Arbeit von Helmut Lander gezeigt wird, die zur festen Ausstattung der Kirche gehört (Abb. 1). Im Raum hintereinander gestaffelt, aber sich nicht verdeckend, können die Pieta und der Leib-Christi-Altar wie in einem Vexierbild wechselweise fokussiert werden. Die Materialästhetik – Eisen mit schwarzer Patina (Beuys) sowie brünniertem Gusseisen (Lander) – unterstützt dieses vergleichende Sehen. Beide Sujets thematisieren verschiedene Aspekte des Opfertods Jesu und ergänzen sich damit inhaltlich.
Formale Bezüge
Eine ganz andere Art von Vergleich ergibt sich, wenn Werke formal aufeinander rekurrieren. So korrespondieren etwa die klappbaren Flügel des Schnitzaltars in St. Jacobi mit den klappbaren Türen des Privaten Gehäuses von Regina Baierl (Abb. 2). Attraktiv ist, dass Baierls Gehäuse haptisch erfahrbar ist und die BesucherInnen es begehen dürfen. Die visuelle Öffnung und Schließung der Flügel des Altares spiegelt sich in der tatsächlichen Öffnung und Schließung der Türen der Arbeit der zeitgenössischen Künstlerin. Die Möglichkeit, im Gehäuse zu sitzen und dessen Fenster aufzuklappen, und erneut den Flügelaltar zu betrachten, evoziert es, sich auch in diesen virtuell hineinzubegeben. Abseits dieser formalen Referenzen klingen Bezüge zu weiteren Werken der klassischen Kunst an; etwa zum schreibenden Hieronymus im Gehäuse Albrecht Dürers. Dass auch in Regina Baierls Studiolo im Gehäuse Tischchen und Schreibwerkzeug zur Verfügung stehen, steigert diese Assoziation.
Ästhetisches Durchdringen
Einen völlig unmittelbaren Dialog eröffnen in der gezeigten Ausstellung diejenigen Werke, die dezidiert auf Korrespondenzen mit ihrem Ausstellungskontext materiell angelegt sind. So etwa Rebecca Horns Arbeit The Universe in a Pearl in St. Katharinen (Abb. 3). Rebecca Horn präsentiert eine Installation aus zwei übereinander liegenden Spiegelflächen, von denen die obere, etwas kleinere, sich rotierend seitlich neigt. Durch eine in ca. 3m Höhe hierüber schwebende dritte Spiegelfläche wird ein unendlich erscheinender Spiegelraum geschaffen. Dieser zeigt gleichzeitig sich selbst und vervielfältigt den umgebenden Kirchenraum. Das Kreuzrippengewölbe, unter dem er aufgestellt ist, erscheint in der Spiegelung wie in einem Kaleidoskop. Der Kirchenraum wird so direkt zum Bestandteil des Kunstwerkes.
Bezug: Verweigert
Der Wermutstropfen der Ausstellung liegt in dem, was sie nicht zeigt. Denn eigentlich sollte die katholische Kirche St. Ansgar (Kleiner Michel) ebenfalls zum Ausstellungsort werden. Dort sollten Arbeiten der Fotografin Julia Krahn gezeigt werden. Dass dies nicht zustande gekommen ist, liegt in der Verantwortung der Kirche, die ZEIT berichtete (Link auf zeit.de). Das Problem: Krahns Arbeiten würden zu erotisch wirken und nackte Brüste und Kleinkinder seien nicht angemessen für einen Ort, an dem während des Ausstellungszeitraums auch Erstkommunionen etc. gefeiert werden.
Aus kunsthistorischer Perspektive erscheint dies verwunderlich: Schon im 16. Jahrhundert gab es Kunstwerke im Kirchenraum, die mindestens ebenso freizügig waren. Die Haltung der Kirche, sich gegen die geplanten Arbeiten zu entscheiden, offenbart das eigene Kunstverständnis: Kunst ist dann erwünscht, wenn sie dekorativ ist und nicht zu viele fordernde Fragen stellt. Dass genau dies auch ein Gewinn sein könnte, gerät dabei aus dem Blick. Kunst, als Spiegel der Gesellschaft, die gleichzeitig Teil von ihr ist und außerhalb von ihr steht, besitzt die Fähigkeit, gesellschaftliche Werte, Ideale und Identitäten zu reflektieren und herauszufordern. Dieser Konfrontation hätte man durchaus reflektiert begegnen können – zum Beispiel in einem die Ausstellung begleitenden Gottesdienst.
Die Ausstellung läuft noch bis zum 22. Juli. Mein Fazit: Hingehen, Hinsehen, Reinhören!
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Janne Lenhart, ist Kunsthistorikerin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg. Zur Zeit promoviert sie im DFG-geförderten Graduiertenkolleg „Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit.“ über Konfessionelle Identitäten in den frühneuzeitlichen Niederlanden.
Beitragsbild: https://www.kirche-hamburg.de/hinsehenreinhoeren.html
Fotografien: © Raymond Willems