Rezension am Samstag: diesmal zu einer Bibel speziell „für Mädchen ab 8 Jahren“. Von Joachim Kügler.
In Corona-Zeiten kommen einem manchmal Dinge in die Hand, die schon lange rumliegen und jetzt aufgeräumt werden. Unvermutet können sich dann Fragen stellen, die man vorher gar nicht für möglich hielt. So geriet mir die „Glitzer-Bibel“ in die Hand und plötzlich ringe ich mit der Frage: Kann man von einer Bibel-Ausgabe blind werden? Der Verlag Katholisches Bibelwerk scheint mit seiner „Glitzer-Bibel“ genau das beweisen zu wollen.
„Glitzer-Bibel“
Zumindest ist diese „Prachtausgabe“ für Menschen meiner Generation eine echte Zumutung. Als ich groß wurde, galt jede Rose als kitschig und die kühle Ästhetik der Moderne war für alle Nicht-Hippies quasi ein Naturgesetz. Und das galt auch im Religiösen, wo man nach edler Einfachheit und schlichter Größe strebte. So war selbstredend auch die Bibel etwas Ernstes – sogar für jene, die sie als Produkt religiöser Projektionen ablehnten. Entweder „Wort des lebendigen Gottes“, das man in neuer, kritischer Lesart als Instrument zu flammender Kirchen- und Gesellschaftskritik benutzen konnte, oder eben gefährliches Produkt einer nach Herrschaft und Unterwerfung strebenden, anti-aufklärerischen Religion, aber leicht oder harmlos war die Bibel nie.
Und dann kommt diese Glitzer-Bibel daher, mit Moses in Blümchengewand und vielen, vielen Glitzersternchen, alles in rosa und himmelblau und glänzend und süß …
Allerhöchster Kitsch-Alarm!
Nachdem es mir gelang, meinen inneren Adorno ans Totenbett zu fesseln, konnten die ästhetisch-religiösen Aufwallungen ein wenig abflauen und ich habe eingesehen, dass ich mit dieser Publikation ja gar nicht gemeint bin. Angezielt sind vielmehr jene, die keine Kinderbibel mehr mögen, aber doch noch Freude an bunten Glitzerbildchen haben – vermutlich eher rosa Girls, wie der Verlag andeutet. Für früh gegenderte, blaue Boys braucht man offensichtlich nichts, weil echte Männer ja nicht lesen, sondern grillen …
Wenn ich versuche, mit den Augen eines Einhorn-Regenbogen-Mädchens diese Bibel zu betrachten, dann gefällt mir zunächst die Erklärungsseite, wo eingangs gesagt wird, welche konfessionellen Unterschiede es bei den Namen biblischer Bücher gibt, und wie man übliche Stellenangaben auflöst. Nett und entgegenkommend, wenn auch sehr auf das Lesetechnische beschränkt. Wie die Bibel entstanden ist, was sie in Kultur und Kirche bedeutet, wie sie zu verstehen wäre – mit solchem Kleinkram werden die jungen Leserinnen nicht belästigt.
Revidierte Einheitsübersetzung
Der Text ist die revidierte Einheitsübersetzung. Nichts ist „jugendgemäß“ verändert. Die Botschaft ist wohl: „Du bist jetzt alt genug, du kannst die Bibel so lesen wie die Erwachsenen!“ Sehr attraktiv ist der zweispaltig gesetzte Text auf Dünndruckpapier nicht, aber wer gewöhnt ist, auf Schlau-Fons zu lesen, wird sich an Mikro-Buchstaben nicht stören. Trotzdem scheint mir die Gefahr gering, dass diese graue Anhäufung von Buchstaben zum Lesen verführt. So ist dann auch die Gefahr gebannt, dass die Mädchen über Dinge stolpern, die nicht ganz jugendfrei sind.
Da die Illustrationen sich auf tolle Wunder beschränken, gibt es natürlich auch keine Illustrationen zu so bösen Dingen wie der Kreuzigung Jesu oder der Opferung von Jiftachs Tochter. Gut gefällt mir, dass Jesus hier mal zeitgemäß kurzhaarig daherkommt, was historisch vermutlich viel zutreffender ist als die pseudo-historischen Darstellungen mit jüdischem Gebetsschal und Schläfenlocken. Ein festes Jesusbild gibt es nicht, und auch das muss kein Fehler sein, denn es kann subtil vermitteln, dass eben niemand weiß, wie Jesus ausgesehen hat.
Fazit: Gelesen wird diese Bibel vermutlich genauso wenig wie Politiker-Biografien, aber es ist ein nettes Geschenk, das die Empfängerinnen zumindest nicht verschreckt. Und außerdem: Ein bisschen Pink kann in Corona-Zeiten nicht schaden!
Joachim Kügler ist Inhaber des Lehrstuhls für Neutestamentliche Wissenschaften an der Universität Bamberg.