Hieronymus, dessen Gedenktag der 30. September ist, gilt als Patron der Bibelübersetzer:innen. Dass es für sie einen Patron braucht, wird offensichtlich, wenn man sich bewusst macht, wie gerade bei Bibelübersetzungen kleine Ursachen große Wirkung haben können. Von Elisabeth Birnbaum.
Der Apfel, die „böse“ Frucht
Dass die Frucht des Baumes der Erkenntnis kein Apfel war, gehört zwar zum gewussten, keinesfalls aber konsequent umgesetzten Bibelvokabular. Dafür sorgt vor allem die bildnerische Ausgestaltung dieser Übersetzungen in zahllosen Gemälden und Illustrationen. Nicht ganz unschuldig an diesem kritikresistenten Phänomen war vermutlich Hieronymus und seine lateinische Bibelübersetzung, die Vulgata. Dass das Wort für „Apfel“ und das Wort für „das Böse“ jeweils malum lautet, dürfte hier eine große Rolle gespielt haben.
Rette mich vor den Hörnern der … ! (Ps 22,22)
Das Einhorn in der Bibel
Weniger in Kinderbibeln, wohl aber in Gemälden, in der christlichen Mystik und weiterführend bis in die Esoterik reicht die Wirkmacht des Einhorns. Auch daran hat unter anderem Hieronymus Anteil. Denn in Ps 92,11 wird scheinbar ein einhörniges Tier erwähnt, zumindest bei wörtlicher Übersetzung: „Du hast mein Horn aufgerichtet wie bei einem re‘em.“ Die Septuaginta übersetzt hier und an anderen Stellen re‘em mit monókerōs (=Einhorn). Die Vulgata des Hieronymus folgt der Septuaginta zwar nicht in Ps 92,11, wohl aber in Ps 21,22Vg (= Ps 22,22) und übersetzt: de cornibus unicornium exaudi me (vor den Hörnern der Einhörner errette mich). Spätestens durch Luthers Übersetzung wird das Einhorn auch in deutschen Bibeln bekannt. Die heutige revidierte Lutherbibel verzichtet jedoch auf Fabelwesen und hat sich für den realistischeren „Wildstier“ entschieden.
Die Frage der Jungfrau
Besonders heikel werden Übersetzungen, wenn sie dogmatische Relevanz gewinnen. Die jahrhundertelang brisante Frage der „Jungfrau“ versus „jungen Frau“ in Jesaja 7 ist das berühmteste Beispiel. Christusanhänger warfen jüdischen Übersetzern Fehlübersetzungen vor und vice versa. Kein Wunder, ging es doch um nichts weniger als um die Frage, ob Matthäus in der Jungfrauengeburt Jesu zu Recht Jes 7 als erfüllt sehen kann. Auch hier wurde die Übersetzung des Hieronymus, der mit virgo mehr die Septuaginta als die hebräische Bibel wiedergibt und sich auch sonst vehement dazu äußert, für das Christentum prägend.
Der Gottesname
Auch in der Frage der Wiedergabe des Gottesnamens im Alten Testament folgt Hieronymus der Tradition der Septuaginta. Das Tetragramm JHWH wird dort mit kyrios (Herr) ersetzt, in der Vulgata findet sich meist Dominus. Die meisten deutschen Bibeln schlossen sich dieser Vorgangsweise an und ersetzen den Gottesnamen durch Herr. Und da gegen die Macht der Gewohnheit und Tradition nur schwer anzukommen ist, ringen heutige Übersetzer:innen vergeblich um durchsetzungsfähige Alternativen.
Efeu und Kürbis
In die Geschichte eingegangen ist Hieronymus jedoch als Verfechter der Hebräischen Bibel. Und auch das hatte einen Übersetzungskonflikt zur Folge.
Da ließ Gott, der HERR, … über Jona emporwachsen (Jona 4,6)
Ausgangspunkt war der pflanzliche Sonnenschutz, den Gott Jona in Jona 4,6 wachsen ließ. So Weder Hieronymus noch Augustinus wussten, welche Pflanze mit dem dort genannten hebräischen qiqajon gemeint war. So konnten die beiden späteren Kirchenväter in eine lebhafte Diskussion eintreten, ob es sich hier um einen Kürbis oder um einen Efeu handelte. Ersteres entsprach der Septuaginta, Letzteres der Übersetzung des Hieronymus. So ging es bei dem Streit längst nicht (nur) um ein botanisches Problem, sondern um die Abkehr des Hieronymus von der kirchlichen Praxis, aus der Septuaginta zu übersetzen. Heute weiß man, dass besagte Pflanze weder Efeu noch Kürbis war, sondern ein Rizinusstrauch. Doch die Zuwendung zur hebräischen Originalsprache, die Hieronymus vollzog, machte später Schule.
Die Lust der Menschen
Weniger grundsätzlich wurde bisher die Übersetzung in Kohelet/Prediger 2,8 diskutiert: Dort schildert Kohelet, wie er sich quasi als weiser und reicher König Salomo mit allem nur denkbaren Besitz umgibt: mit Häusern, Gärten, Dienstboten, Gold, Silber, Sängerinnen und Sängern u.v.a., und – quasi als Höhepunkt – mit der Lust der Menschensöhne bzw. inklusiv verstanden: der Menschenkinder … Doch was diese Lust ist, bleibt unklar. Es folgen drei Worte: 1) schidda (=?); 2) we (=und) 3) schidda in der Mehrzahlform: schiddot (=?). Das Wort scheint sonst in der Bibel nicht auf, seine Bedeutung ist nicht sicher.
Die Lust der Menschenkinder ist …
Viele Übersetzer:innen schließen von ähnlich klingenden Wörtern in anderen altorientalischen Sprachen (und möglicherweise auch von ihrer eigenen Sicht der Dinge) auf etwas Weibliches als Inbegriff der männlichen Freuden. Je nach Vorliebe sind das „Brüste und nochmals Brüste“ (EÜ), „Frauen und nochmals Frauen“ (Zürcher Bibel) oder summarisch „ein großer Harem“ (EÜ 1980).
Dass das nicht die einzige Denkweise sein muss, zeigt die Lutherübersetzung, die bei der Lust der Menschenkinder an „allerlei Saitenspiel“ denkt (ähnlich auch die King James Bible). Und noch einmal anders gelagert sind Übersetzungen, die Gefäße zum Weinausschenken vermuten, wie Hieronymus in der Vulgata übersetzt (scyphos et urceos in ministerio ad vina fundenda) bzw. „männliche und weibliche Mundschenke“, wie Hieronymus noch in seinem Koheletkommentar annimmt[1]. Auch wenn sich keine der beiden hieronymischen Übersetzungen durchsetzen konnte: Indem sie die Bandbreite der Möglichkeiten aufzeigen, beweisen sie, wie sehr sich Koh 2,8 zur philosophischen Reflexion über das Ziel der menschlichen Lust eignen würde.
Verzückung ohne Ende oder temporäres Prophezeien?
Ein praxisrelevanteres Problem ist in Numeri 11,25 zu finden. Dort heißt es, dass Gottes Geist über 70 Älteste kam, die Mose bei seinen Aufgaben während der Wüstenwanderung unterstützen sollten. Die Wirkung dieser Geistbegabung ist nun folgende und durchaus unterschiedliche: Laut der rev. Einheitsübersetzung 2016 „redeten sie“ daraufhin „prophetisch.“ Bei Luther (LUB 2017) hingegen redeten sie nicht, sondern „gerieten … in Verzückung wie Propheten“. Das rührt daher, dass das hebräische Verb naba etwas mit Propheten nebiim zu tun hat, aber nicht genau bezeichnet wird, was. „In irgendeiner Form prophetisch wirken“ wäre also eine passende, wenn auch nicht praktikable Übersetzung.
Auch die Dauer der Wirkung wird unterschiedlich angegeben. In der Lutherbibel blieb die „Verzückung“ konstant, denn sie „hörten nicht auf.“, damit folgt sie einigen alten Textzeugen. In der Einheitsübersetzung „redeten sie“ nur temporär, genauer: „Danach aber nicht mehr.“, wie es auch dem hebräischen Text entspricht. Abgesehen von der grundsätzlichen Frage, wie man sich dauerhafte Verzückung vorzustellen hat: Die Übersetzung ist hier bedeutungsvoller, als es vielleicht aussieht. Immerhin geht es in dem Text um Menschen, die Mose bei seinen Aufgaben entlasten sollen, und da ist die Frage, ob solche Mitarbeiter:innen zeitweise oder doch dauerhaft von Gott inspiriert sein könnten, nicht trivial.
Die Vulgata schlägt hier übrigens einen vielversprechenden dritten Weg vor. Dort heißt es: prophetaverunt nec ultra cessarunt (sie prophezeiten und hörten nicht wieder auf). Hier wird den 70 Ältesten statt einer zeitlich beschränkten prophetischen Gabe (EÜ) und statt einer vermutlich zur Erschöpfung führenden Dauer-Ekstase (LUB) eine dauerhafte prophetische Kompetenz zuteil.
Die Relevanz der Wortwahl
Der Beispiele gäbe es noch zahllose weitere. Fakt ist, dass Hieronymus wohl zu Recht zum Patron der Bibelübersetzer:innen geworden ist. Gerade an seiner Übersetzung sieht man besonders eindrucksvoll, welche Folgen die Wortwahl bei der Wiedergabe des Gotteswortes haben können. Und da ist es schon gut, einen Patron zu haben, der hoffentlich darauf achtet, welche kleinen Ursachen eine große Wirkung haben dürfen.
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Text: Elisabeth Birnbaum ist promovierte Alttestamentlerin und seit 2017 Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks.
Bilder: pixabay
[1] Vgl. Hieronymus, Commentarius in Ecclesiasten 2,8: ministros vini et ministras.
Buchtipp:
Thomas Hieke/Konrad Huber (Hg), Bibel falsch verstanden. Hartnäckige Fehldeutungen biblischer Texte erklärt; Stuttgart: kbw 2020.
Dies.: Bibel umgehen. Provokative und irritierende Texte der Bibel erklärt; Stuttgart: kbw 2022.