Am 12. Juli 2019 wird Bischof Erwin Kräutler 80 Jahre alt. Franz Helm, selbst viele Jahre als Steyler Missionar in Brasilien, würdigt sein Engagement für die Menschen und die Mitwelt im Amazonasgebiet. Unter Einsatz seines Lebens kämpft „Dom Erwin“ gegen die Ausbeutung und die Zerstörung des Lebensraums. Befreiungstheologisch geprägt versteht er Mission als Lernen und Hören.
„Der aus Österreich stammende Bischof Erwin Kräutler hat wesentlich dazu beigetragen, das Bewusstsein über die Lage in Amazonien zu schärfen, und er hat damit schon vieles bewirkt. Die österreichischen Bischöfe danken ihm für diesen Dienst.“[1] So die österreichischen Bischöfe in einer Presseerklärung nach ihrer Vollversammlung im Juni 2019. Diese ausdrückliche Würdigung, die Bischof Kräutler kurz vor seinem 80. Geburtstag erfährt, steht in erfreulichem Gegensatz zu Ereignissen in der Vergangenheit. 1992 hatte Erzbischof Georg Eder von Salzburg seinem Amtsbruder aus dem brasilianischen Amazonasgebiet ausdrücklich untersagt, bei den „Salzburger Hochschulwochen“ einen Vortrag zu halten. Und auch andere österreichische Bischöfe sahen damals die befreiungstheologischen Positionen und das Verständnis von Mission, für das Bischof Erwin Kräutler bis heute steht, äußerst kritisch. Mit ihrer damaligen Positionierung gefährdeten diese österreichischen Bischöfen das Wirken und das Leben von Bischof Kräutler. Denn jene, die ihn wegen seines Engagements für entrechtete Menschen verfolgten, konnten sich bei ihrer Anfeindung gegen ihn auf die Ablehnung durch österreichische Amtsbrüder berufen.
Papst Franziskus hebt wesentliche Themen von Bischof Kräutler auf weltkirchliche Bühne.
Jetzt, ein Vierteljahrhundert später, ist mit Papst Franziskus ein Lateinamerikaner das Oberhaupt der Katholischen Kirche, der „eine arme Kirche für die Armen“ zum Leitbild seines Pontifikates erklärt hat. Und im Oktober findet in Rom eine „Sonderversammlung der Bischofssynode für das Amazonas-Gebiet“ statt,[2] die wesentliche Themen und Aspekte des Engagements und der Initiativen von Bischof Erwin Kräutler auf die weltkirchliche Bühne hebt. „Neue Wege für die Kirche und für eine ganzheitliche Ökologie“ sollen beschritten werden, um dringend fällige Antworten auf vielfältige mitunter lebensbedrohende Herausforderungen im Amazonasgebiet zu finden.
Betroffen von der Lebensrealität der Menschen
Seit 1965 ist Bischof Erwin Kräutler in Brasilien, genauer im Amazonasgebiet. Als Missionar vom Kostbaren Blut wirkt er bis heute in der Prälatur Xingu, zuerst 15 Jahre als Priester, dann als Bischof. Diese Diözese ist etwa viermal so groß wie Österreich und beherbergt indigene Völker genauso wie Zuwanderer und Zuwanderinnen aus anderen Landesteilen Brasiliens. Beim Amtsantritt wurde Kräutler von den diözesanen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gebeten, kein „Schreibtischbischof“ zu sein. Er solle hinausgehen und das Leben mit den Menschen teilen, was Dom Erwin (so nennen ihn seine Leute) gern tat. Er hat miterlebt, wie die Zerstörung der Mitwelt (dieses Wort zieht er dem Begriff „Umwelt“ vor) ständig zunahm, ob in der Zeit der Militärdiktatur (1964 bis 1985) oder unter demokratisch gewählten Regierungen.
Die indigene Bevölkerung vor Ort zahlt den Preis für die Ausbeutung durch Regierungen und Oberschicht.
Das Amazonasgebiet wurde von den Regierungen und der Oberschicht des riesigen Landes nicht als Lebensraum für die ansässige Bevölkerung gesehen, sondern als Kolonie, deren Holz und Bodenschätze ausgebeutet werden konnten, die unermessliche Expansionsmöglichkeiten für die Agroindustrie bot und schier unerschöpfliche Möglichkeiten für die Erzeugung von elektrischer Energie durch Megakraftwerke versprach.[3] Der Preis, den die Bevölkerung vor Ort dafür zu zahlen hat, ist hoch: Indigene Völker leiden unter eingeschleppten Krankheiten, an der Zerstörung ihres Lebensraumes und ihrer kulturellen Tradition, an Alkoholismus und Perspektivenlosigkeit. Seit die Regierung Bolsonaro am Ruder ist, hat sich das alles noch verschlimmert.
Im Einsatz für das bedrohte Leben
Den indigenen Völkern fühlt sich Dom Erwin besonders verbunden und verpflichtet. Als langjähriger Präsident von CIMI, des Indigenen-Missionsrates der brasilianischen Bischofskonferenz, und als derzeitiger Vize-Präsident des brasilianischen Zweiges von REPAM, des kirchlichen Netzwerkes für Pan-Amazonien, setzt er sich für sie und mit ihnen zusammen für die Verteidigung ihrer Rechte und ihr Überleben ein. Hunderte Quadratkilometer Urwald wurden durch das Mega-Kraftwerk Belo Monte unter Wasser gesetzt, der Lebensraum der FlussbewohnerInnen zerstört und zehntausende Menschen aus ihren Häusern vertrieben. Dom Erwin stemmte sich zusammen mit vielen Verbündeten scheinbar erfolglos gegen dieses Mega-Projekt mit seinen desaströsen ökologischen und sozialen Folgen. Sie konnten es nicht verhindern. Der Protest trug aber entscheidend zu einer Bewusstseinsbildung und einer Vernetzung von Widerstandsbewegungen bei.
Dom Erwin stellte sich auf die Seite der Opfer und verlangte Rechenschaft von den Verantwortlichen.
Angesichts der skrupellosen Ausbeutung von Menschen, sei es als unterbezahlte geschundene Landarbeiter und Landarbeiterinnen oder als Objekte sexuellen Missbrauchs, stellte er sich auf die Seite der Opfer und verlangte Rechenschaft von den Verantwortlichen und Strafverfolgung für die Täter. Das führte zur Verfolgung von Straftaten, hatte aber auch zur Folge, dass er angefeindet und bedroht wurde, bei einem provozierten Autounfall fast ums Leben kam und jahrelang mit Polizeischutz leben musste. Mehrere seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden ermordet, wie die nordamerikanische Ordensfrau und Missionarin Dorothy Stang.
Einfach Mensch – Christ – Missionar
Diese Anfeindungen stehen in starkem Kontrast zur Zuneigung der einfachen Menschen, der pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der unzähligen Menschen, die ihn unterstützen und die ihm verbunden sind. Der gebürtige Vorarlberger spricht spontan die Menschen an und kann sie für sich und seine Sache gewinnen. Trotz aller Berühmtheit und vieler Ehrungen, u.a. mit dem Alternativen Nobelpreis und mehreren Ehrendoktoraten, ist er „der Erwin“ geblieben, der die Menschen herzlich umarmt, mit den Menschen scherzt und singt und ihnen unkompliziert und spontan auf Augenhöhe begegnet. Bischöfliche Insignien verwendet er nicht.
Missionar – als Lernender und Hörender
Sein Selbstverständnis als Missionar ist vor allem das eines Lernenden, eines Hörenden. „Heiser hören“ müsse man sich und den Menschen so sehr zuhören, dass man verstumme, sagte er einmal.[4] Und solidarisch sein mit dem, was sie erleiden. Mission ist „radikale Liebe“ in der Nachfolge Jesu, davon ist er überzeugt. Und Mission ist Wertschätzung für die Menschen, die sich in den Gemeinden einsetzen für das kirchliche Leben und die Solidarität mit den Leidenden. Ganz wichtig ist Dom Erwin der Einsatz dafür, dass Männer und Frauen in ihren Dienstämtern anerkannt und dafür befähigt werden, damit die vielen abgelegenen katholischen Gemeinden im Amazonasgebiet (über)leben, die Eucharistie feiern und die Sakramente empfangen können. Auch um diese Anliegen wird es auf der kommenden Amazoniensynode gehen.
Einer befreienden Pastoral verpflichtet
Als Gründer der Katholischen Arbeiterjugend in Vorarlberg kam er gut vorbereitet auf den methodischen Dreischritt Sehen – Urteilen – Handeln nach Brasilien. Das ist die Arbeitsmethode der Befreiungstheologie. Sie prägt das pastorale Handeln in den Bibelgruppen der Basisgemeinden genauso wie diözesane Versammlungen oder die großen Dokumente der Lateinamerikanischen Bischofsversammlungen von Medellin (1968), Puebla (1979) oder Aparecida (2007). Den Ausgangspunkt bildet die Lebensrealität der Menschen. Sie wird im Licht der Bibel und des christlichen Glaubens reflektiert, um dann zu Handlungsoptionen zu finden, die ein gutes Leben und ein Mehr an Gerechtigkeit und Frieden ermöglichen. Dem Unrecht und den lebenszerstörenden Kräften und Strukturen wird in unerschütterlicher Hoffnung die Überzeugung entgegengehalten, dass Gottes Reich schon in dieser Welt am Anbrechen ist und dass Jesus kam, damit alle Leben haben und es in Fülle haben (vgl. Joh 10,10).
Gutes Leben und ein Mehr an Gerechtigkeit und Frieden ermöglichen
In diese kirchliche Tradition, für die Bischöfe wie Dom Helder Câmara und Pedro Casaldáliga, Paulo Evaristo Arns und der heilige Oscar Arnulfo Romero stehen, konnte Dom Erwin eintauchen und sie weiterführen. Er tat es zusammen mit den pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Xingu, zusammen mit Theologen wie Paulo Suess und zusammen mit einem großen Netz von Unterstützerinnen und Unterstützern, vor allem auch in Österreich. Hier firmt er bis heute gern in Pfarren, hält Vorträge und steht für Gespräche und Interviews zur Verfügung. Möge dieser „servus Christi Iesu“ (so sein bischöflicher Leitspruch, der „Diener Jesu Christi“ bedeutet) auf der Amazonien-Synode und darüber hinaus weiter segensreich wirken!
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Autor: P. Franz Helm SVD ist Steyler Missionar. Er hat von 1987 bis 1993 in Brasilien gearbeitet und Missionswissenschaft studiert. Derzeit wirkt er u.a. als theologischer Berater der Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz für Internationale Entwicklung und Mission.
Beitragsbild: (c) Claudemir Monteiro/CIMI https://www.ordensgemeinschaften.at/presseraum/fotos/2973-bischof-em-erwin-kraeutler
[1] Vgl. https://www.bischofskonferenz.at/2019/presseerklaerungen-zur-sommervollversammlung-2019
[2] Vgl. http://www.sinodoamazonico.va/content/sinodoamazonico/es.html
[3] Vgl. https://redamazonica.org/wp-content/uploads/Dom-Erwin-sobre-el-S%C3%ADnodo-nota.pdf (p.6)
[4] https://www.youtube.com/watch?v=Io2kcRRaWvA&t=1858s (ab 15:00)